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1888.
ZEITSCHRIFT. FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.
136
dafs der Herr seine Hand dem Täufer zuwendet,
den er doch während der Taufhandlung nicht
segnen wollte, und dafs er ein Schriftband in
der Linken hält, worauf die Worte stehen: Bap-
tiza nie Johannes. „Taufe mich Johannes." (Vergl.
Matth. 3, 15.) Die beiden zur Seite des Messias
stehenden Engel halten seine Kleider, Rock
und Mantel. Der erste Engel hebt den Mantel
hoch empor, weil die Taufpathen in alter Zeit
die Kleider des Täuflings in ähnlicher Weise
erhoben, um dadurch die Blöfse des Entklei-
deten ihren Blicken zu verbergen. Dafs der
entfernter stehende Engel nicht ein Tuch, son-
dern einen deutlich gezeichneten mit Besatz-
stücken verzierten Rock hält, ist ein vor dem
12. Jahrhundert in. den Kunstdenkmälern kaum
oder doch äufserst selten vorkommender Um-
stand. Auch der mit Miniaturen überreich ver-
zierte bis jetzt viel zu wenig beachtete Psalter
in St. Godehard zu Hildesheim enthält eine
Miniatur, auf welcher ein Engel den Rock des
Herrn ausbreitet. Aehnliche Darstellungen hat
Strzygowski aus dem Psalter Ludwig des Hei-
ligen -f- 1270, aus einem Psalter in Kopenhagen
u. s. w. nachgewiesen.
Weiterhin sind in der untern Hälfte unserer
Miniatur beachtenswerth aufser dem Fehlen der
Flügel bei den Engeln, die punktirten Heiligen-
scheine, die Punkte auf den Kleidern des ersten
Engels und der fein gemusterte Hintergrund,
der in unserer verkleinerten Abbildung nicht
erkennbar bleiben konnte.
Die obere Abtheilung setzt sich nicht nur
in der Idee, sondern auch in der Zeichnung
zur untern in Parallele. Wie Christus so ist
auch Noe von Wasser umgeben und in Be-
ziehung zu einer Taube gebracht. Die beiden
Propheten entsprechen in der Anordnung der
Figur des Täufers und des zweiten Engels. Der
erste Prophet, der König David, sagt: Lavabo
inter innocentes manus meas. „Unter (d. h.
mit) den Unschuldigen will ich meine Hände
waschen." Ps. 25, 6. Das Spruchband des
andern enthält die Worte: Lavabis me et
super nivem dealbabor. „Waschen wirst du
mich und ich werde reiner als der Schnee."
Ps. 50, 9. Beide Stellen stammen aus den
Psalmen, welche im Mittelalter wie in älterer
Zeit unterschiedslos dem König David zuge-
schrieben wurden. Derselbe David ist also
hier zur Rechten wie zur Linken dargestellt,
das eine Mal bärtig, das andere Mal jugendlich.
Man sieht hieraus, dafs der Miniator eben nur
eine Prophetengestalt bieten wollte, ohne die-
selbe zu individualisiren.
Lehrreich ist das oberste Brustbild. Es ist
in einen den Himmel vorstellenden Kreisab-
schnitt eingezeichnet. Die betreffende Figur
gleicht der des unten im Jordan stehenden
Herrn, trägt gleich ihm den Kreuzesnimbus
und macht den gleichen Gestus. Sie sagt ver-
mittelst ihres Spruchbandes: Hie est Filius
meus dilectus. „Dieser ist mein geliebter Sohn."
Matth. 3, 17. Der himmlische Vater ist dem-
nach hier grade so gebildet wie sein mensch-
gewordener Sohn, das Ebenbild seiner Wesen-
heit. Hebr. 1, 3.
III. Dem dritten Evangelium dient die
Kreuzigung als Titelbild. Der Heiland hängt
an dem nicht ohne Absicht grün gemalten
Kreuz, ohne Fufsbrett, ohne Dornenkrone, mit
geschlossenen Augen, geneigtem Haupt, also
gestorben. Die Füfse hält er so, dafs vier
Nägel nöthig waren; er ist mit einem Lenden-
tuch bedeckt.
Trauernd erhebt Maria ihre Rechte, Johannes
senkt betrübt sein Haupt. Zwischen ihnen und
dem Gekreuzigten stehen die Kirche und die
Synagoge. Die Kirche ist zur Rechten, neben
Maria, als jugendliche Frau in kleiner Gestalt
gebildet. Mit der Rechten erhebt sie einen
Kelch, in dem sie das Blut der Seitenwunde
auffängt, mit der Linken erfafst sie ein Spruch-
band, dessen Inschrift sie der Braut des hohen
Liedes entlehnt, die ihren Bräutigam preist:
Dilectus meus candidus et rubieundus. „Mein
Geliebter ist weifs und roth." Cant. 5, 10.
Im Gegensatz zur Kirche ist die Synagoge
als alte Frau auf die linke Seite gestellt und
weit einfacher gekleidet. Ihr Schleier bedeckt
die Augen; sie hat ihre Fahne umgekehrt, so
dafs deren Tuch unter den Füfsen des hl. Jo-
hannes liegt. Ihr Spruchband beweist ihre Ver-
blendung; denn es lästert den Gekreuzigten:
I Maledictus, qui pendet in lingno. „Verflucht,
) der am Holze hängt." 5. Mos. 21, 23.
Unter dem Fufse des Kreuzes zeigt sich
i der alte Adam, primus homo terrenus „der
I erste, irdische Mensch". 1. Kor. 15, 47. Oben
trauern neben dem Haupte des Gekreuzigten
I Sonne und Mond, die Sonne über der Kirche,
der untergehende Mond über der Synagoge.
Die vier Ecken sind mit vier Brustbildern ge-
i füllt. Ein oben in der linken Ecke gezeichneter
1888.
ZEITSCHRIFT. FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.
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dafs der Herr seine Hand dem Täufer zuwendet,
den er doch während der Taufhandlung nicht
segnen wollte, und dafs er ein Schriftband in
der Linken hält, worauf die Worte stehen: Bap-
tiza nie Johannes. „Taufe mich Johannes." (Vergl.
Matth. 3, 15.) Die beiden zur Seite des Messias
stehenden Engel halten seine Kleider, Rock
und Mantel. Der erste Engel hebt den Mantel
hoch empor, weil die Taufpathen in alter Zeit
die Kleider des Täuflings in ähnlicher Weise
erhoben, um dadurch die Blöfse des Entklei-
deten ihren Blicken zu verbergen. Dafs der
entfernter stehende Engel nicht ein Tuch, son-
dern einen deutlich gezeichneten mit Besatz-
stücken verzierten Rock hält, ist ein vor dem
12. Jahrhundert in. den Kunstdenkmälern kaum
oder doch äufserst selten vorkommender Um-
stand. Auch der mit Miniaturen überreich ver-
zierte bis jetzt viel zu wenig beachtete Psalter
in St. Godehard zu Hildesheim enthält eine
Miniatur, auf welcher ein Engel den Rock des
Herrn ausbreitet. Aehnliche Darstellungen hat
Strzygowski aus dem Psalter Ludwig des Hei-
ligen -f- 1270, aus einem Psalter in Kopenhagen
u. s. w. nachgewiesen.
Weiterhin sind in der untern Hälfte unserer
Miniatur beachtenswerth aufser dem Fehlen der
Flügel bei den Engeln, die punktirten Heiligen-
scheine, die Punkte auf den Kleidern des ersten
Engels und der fein gemusterte Hintergrund,
der in unserer verkleinerten Abbildung nicht
erkennbar bleiben konnte.
Die obere Abtheilung setzt sich nicht nur
in der Idee, sondern auch in der Zeichnung
zur untern in Parallele. Wie Christus so ist
auch Noe von Wasser umgeben und in Be-
ziehung zu einer Taube gebracht. Die beiden
Propheten entsprechen in der Anordnung der
Figur des Täufers und des zweiten Engels. Der
erste Prophet, der König David, sagt: Lavabo
inter innocentes manus meas. „Unter (d. h.
mit) den Unschuldigen will ich meine Hände
waschen." Ps. 25, 6. Das Spruchband des
andern enthält die Worte: Lavabis me et
super nivem dealbabor. „Waschen wirst du
mich und ich werde reiner als der Schnee."
Ps. 50, 9. Beide Stellen stammen aus den
Psalmen, welche im Mittelalter wie in älterer
Zeit unterschiedslos dem König David zuge-
schrieben wurden. Derselbe David ist also
hier zur Rechten wie zur Linken dargestellt,
das eine Mal bärtig, das andere Mal jugendlich.
Man sieht hieraus, dafs der Miniator eben nur
eine Prophetengestalt bieten wollte, ohne die-
selbe zu individualisiren.
Lehrreich ist das oberste Brustbild. Es ist
in einen den Himmel vorstellenden Kreisab-
schnitt eingezeichnet. Die betreffende Figur
gleicht der des unten im Jordan stehenden
Herrn, trägt gleich ihm den Kreuzesnimbus
und macht den gleichen Gestus. Sie sagt ver-
mittelst ihres Spruchbandes: Hie est Filius
meus dilectus. „Dieser ist mein geliebter Sohn."
Matth. 3, 17. Der himmlische Vater ist dem-
nach hier grade so gebildet wie sein mensch-
gewordener Sohn, das Ebenbild seiner Wesen-
heit. Hebr. 1, 3.
III. Dem dritten Evangelium dient die
Kreuzigung als Titelbild. Der Heiland hängt
an dem nicht ohne Absicht grün gemalten
Kreuz, ohne Fufsbrett, ohne Dornenkrone, mit
geschlossenen Augen, geneigtem Haupt, also
gestorben. Die Füfse hält er so, dafs vier
Nägel nöthig waren; er ist mit einem Lenden-
tuch bedeckt.
Trauernd erhebt Maria ihre Rechte, Johannes
senkt betrübt sein Haupt. Zwischen ihnen und
dem Gekreuzigten stehen die Kirche und die
Synagoge. Die Kirche ist zur Rechten, neben
Maria, als jugendliche Frau in kleiner Gestalt
gebildet. Mit der Rechten erhebt sie einen
Kelch, in dem sie das Blut der Seitenwunde
auffängt, mit der Linken erfafst sie ein Spruch-
band, dessen Inschrift sie der Braut des hohen
Liedes entlehnt, die ihren Bräutigam preist:
Dilectus meus candidus et rubieundus. „Mein
Geliebter ist weifs und roth." Cant. 5, 10.
Im Gegensatz zur Kirche ist die Synagoge
als alte Frau auf die linke Seite gestellt und
weit einfacher gekleidet. Ihr Schleier bedeckt
die Augen; sie hat ihre Fahne umgekehrt, so
dafs deren Tuch unter den Füfsen des hl. Jo-
hannes liegt. Ihr Spruchband beweist ihre Ver-
blendung; denn es lästert den Gekreuzigten:
I Maledictus, qui pendet in lingno. „Verflucht,
) der am Holze hängt." 5. Mos. 21, 23.
Unter dem Fufse des Kreuzes zeigt sich
i der alte Adam, primus homo terrenus „der
I erste, irdische Mensch". 1. Kor. 15, 47. Oben
trauern neben dem Haupte des Gekreuzigten
I Sonne und Mond, die Sonne über der Kirche,
der untergehende Mond über der Synagoge.
Die vier Ecken sind mit vier Brustbildern ge-
i füllt. Ein oben in der linken Ecke gezeichneter