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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 1 (Januar 1927)
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Engelmann, Susanne: Die Bedeutung der künstlerischen Unterrichtsfächer für die Erziehung der deutschen Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0008

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unft und Iugend

Deuische Blätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterricht

Zeltschrift des'Reichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinenn

Verantwortlich für die Schriftleitung: Profeffor Gustav Kolb, Göppingen
Drnck und Perlag: Eugen Hardt G. m. b. tz. Stuttgart, Langestratze 18

7. Iahrgang Ianuar 1927 tzeft 1

Die Vedeutnng der künstlcrischen Unterrichtsfächer für die Erziehung der deutschen Frau. Pon Dr. Susanne
Engelmann. — Grnndsätzliches über den Film. Von W- Frantzen. — Ornamentieren mit Schwarzpapier-
schnitten. Von Vngust Vogel, Waldshut (Baden). — Neue Wege in Bayern. Von Braig-München. — Das
Shstem des schöpferischen Gestaltens in der Kinderzetchnung als Grundlage der künstlerischen Erziehung. Von
Vinal-tzeidelberg. — Die Glasmalerei l. — Beitrag zu einer Denkschrist betr. die Beforderung der akad.
Zeichenlehrer insPrentzen. Von G. E. — Erziehung zu künstlerischem Leben und Schönschreibunterricht.Von
Hans Kolb, Varcelona. — Zu'den Schülerarbeiten des Städt. Mädchenlyzeums in Itzehoe i.stz. Von G..sK.

Umschau. — Buchbesprechungen. — Inserate.

Die BedeuLung der künstlerischen Anterrichtsfächer für die
Erziehung der deutschen Frau

Vorlraa, gehalten auf der Zaupttaguna des „Landesverbandes der Akademischen Zeichenlehrer und
Zeicheulehrerinnen Preukienä" am 28. Mat 1S2b. Bon Sludiendirektorin Dr. Susanne Engelmann.

Seit etwa 30 öahren, seit der Wende des 19. zum
20. äahrhunderk, ist in Deutschland allmählich eine
völlige Wandlung in der Merkung derjenigen Ilnter-
richtsfächer eingekreten, die wir frilher — (charak-
leristisch genug fiir das Denken des 19. Oahrhun-
derks) — lediglich als „techniiche" Fächer bezeich-
neken: Zeichnen, Turnen und Nadelarbeit. Die
preußischen „Nichtlinien" vom äahre 1925 nennen
diese Fächer „lechnisch-künstlerische" Ilnkerrichts-
fächer, skellen sie so auf aleiche Linie mii dem Musik-
uukerricht (nicht mehr Gesangunterricht), und drük-
ken schon lurch diese veränderie Vezeichnuna die
neue Erkennknis vom Mert dieser Unterrichtsfächer
sür üie Gesamlheik der Erziehung aus: Der neue
nünsklerisch-lechnische Ilnkcrricht soll nichk mehr nur
in üer Vermikklnug von Ferkigkeiten bestehen, son-
dern soll im Erschlietzen und Erarbeiien künstleri-
scher Werte den ganzen kindlichen und jugendlichen
Menschen zwar auf eine andere, aber gleichwerkige
Weise wie die wisscnschafklichen Fächer zu bilden
suchen.

Wir müssen unS fragen, ob und wie weik der
künsklerisch-kechnische linterricht, besonders der Zei-
chenunkerricht, dazu imskande isk, diese Aufgabe im
Aahmen des Erziehungsgauzeiü'D erfüllen. Ilm
dicse Frage zu beankworken, scheinl es mir richkig,
eincn Blick zu werfen auf die Entwicklung, die
Zeichenunkerrichk, Nadelarbeit und Turnunterricht
in unseren Mndcheuschulen in den letzken 30 äahren
genoinmen haben.

Wer zwischen 1800 und 1900 eine deutsche höhere
Schule besuchk hat und vom Wandel in unserem
Unkerrichkswesen nichks wützke, der würde kaum
seinen Augen krauen, wenn er heuke den Zeichen-
unkerricht, die Turnstunde, den Werk- oder Nadel-

arbeitsunterricht einer deutschen Schule sähe. Melch
ein Abskand zwischen dem mühsamen und lustlosen
Abzeichnen von Borlagen, Gipsmodellen oder auS-
gestopfken Tieren, bei dem aus den mehr oder min-
der ungeschickten Schlllerhänden so verzweifelt un-
persönliche und unlebendige Machwerke hervor-
ingen, und den heukigen farbenfrohen, kühnen und
och kindlichen oder jugendlichen Gestaltungen eines
Märchens, eines musikalischen Mokivs, eines Skücks
heimischer Landschafk tn farbiger Zeichnung, Vunt-
papierbild oder Enkwurk in Wasserfarben! Welch
ein Abstand auch von dem Drill der langweiligen
Freiübungen, die unsere Turnstunden füllten, für un-
sere Mädchenkörper nichk patzten, uns weder genügend
skraffken noch lockerten und nichk wirklich kräfkigken,
die wir in skaubigsn Turnsälen, In langen Kleidern
und mit hohen Skehkrägen ausführken, zu der kräf-
kigenden Köwerschule in leichtester Turnkleidung,
zum frohen Wektspiel auf dem Schulhof, zum fesk-
lichen Volkskanz, die unsere glückliche Mädchen-
jugend jeht im Turnunkerricht erlebt! Welch ein
unendlicher Abskand schlietzlich von den weitz-baum-
wollenen Skrümpfen, den in graugelbem Hakelgarn
hergeskellken und mit blauen Pappschildchen ver-
sehenen Häkelmustern, den Männeryemden mit Noll-
nähten und den Musterküchern für Hohlsäume, dle
die Qual der Handarbeiisstunden unserer Kinderzeit
bildeken, zu den bunken Kikkeln und Kleidern, den
Mlltzen und Blusen, die heute im Handarbeiksunker-
richt hergestellt werden!

Wahrlich, wenn man die heitere Geschäfkigkeit,
den Eifer und die Schaffensfreude unserer Kinder
im heutigen technisch-künstlerischen linkerricht sieht
und sich vergegenwärtigt, datz all dies in einem
Vierteljahrhunderk sorgfälkiger Beobachtung kind-
 
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