Die Photographie als Zeichenvorlage
Von E r ii sl W ii r k e n b e r g e r, Professor an der Landeskunskschule ln Karlsruhe
Wenn ich mli den folgenden AuSfiihrungen der
Phokographie nls Zeichenvorlage das Work rede, so
weijz ich wohl, dasz ich damik ein heikles Thema an-
schneide. 2sk doch schon die Phokographie als Hilfs-
mikkel fiir das Hchaffen des reifen Kiinsklers umskrit-
ten. Das bleberwuchern der Details, die fehlende
Ileber- und Unkerordnung der Formen, die falschen
Tonwerke — in der Phokographie isi z. B. griin als
Tonwerk dunkler, als in der Nakur —, dies Alles
lciszk die Beniihung der Phokographie als unkaugllch
oder zum mindesken als hedenklich ersä-einen.
ES ist bekannk, wie entzsickk die Klinskler waren,
als Ihnen die ersken Phokographien zu Gesichk
kamen, allerdingS zuersk nur In der Form des Da-
guerrotyps: Delacroip z. B. schreibt in feinem Tage-
buch, er bedauere, dasz er nichk schon friiher die Pho-
kographie gekannk habe, er hälke so viele Fehler
vermeiden können. Er versteigk sich fogar zu dem
AuSspruch: neben der absoluten Richkigkeik der pho-
kographischen Form sei sogar Raffael's Form feh-
lrrhafk zu nennen. Wir wiffen auch, dasz z. V. Len-
bach den ausgieblgsken Gebrauch von der Phokogra-
phie machke, dasz er ebenso guk und lebensvoll nach
Phokographle malen konnke, als nach der Nakur.
Äuch Adolph Menzel, als er einmal gefragk wurde,
ob er die Phokographie fitr das kiinstlerlsche Schaf-
fen fiir zulässig halke, kak den Ausspruch: man müffe
von Allem lernen, auch von der Phokographie. Er
selbst habe ihr sehr viel zu verdanken.
Andererseiks wiffen wir aber auch, dah viele
Künsiler durch die Benühung der Phokographie
z. B. beim Porkrät in ein unkünstlerlsches Fahr-
waffer gcrieken. Deshalb nun die Phokographle als
gilfSmikkel zu verwerfen, gehk nlchk an. Gerade un-
sere Zeik kann der Phokographie nichk enkraken,
muh sich doch oft z. A. der Plakakkünstler der Pho-
kographie als direkker Unkerlage bedienen. Bor
nliem aber bieken die Unzahl der illustrierken Zei-
kungen und Zeikschrifken so viel verblüffende und
Ichlagende Sikuakione» und Mokive blldnerischer
Ark, dajz wir nichk ohne Weikeres an ihnen vor-
beigehen können. Es wird darin so viel stnkereffan-
tes an Leben, Vewegung und Charakkerlstik seder
Ark geboten, dah wir auS dlesen Bläkkern ofk Blld-
Ideen und Formmokive herausziehen können.' Man
muh sie nur sehen, hernusfinden und benühen
können.
Es handelk sich also darum, sich der Phokographie
als Nohstoff, ähnlich der Nakur, zu bedlenen. klnd
so kann die Phokographie dem Künstler eine Sku-
dicnzeichnung, dle Werkzeichnung der alken Melster,
ersehen, sofern der Künskler welh, was er in der
Phokographle suchen darf. . Er.muh dle Phokogra-
phie derselben Prozedur unkerziehen, wle er es bei
der Zeichnung vor der Nakur machk. Er mufz sie sie-
bcn, ordnen. Also das machen, was der alke Mel-
sler mik selner Werkzelchnung tak, der, Indem er
zcichnekc, den Nakureindruck vereinfachke, verstärkte,
reinigkc. Ein gesämlkes Auge wlrd also mlk der
Phokographle zu Nande kommen, indem es sofork
seiie Abstricke mackk, die nöklg sind, das Vlld In
der Form zu reinigen. So gibk es z. V. Bildniffr
von VLcklln, dle dieser nach Phokographie malen
muszie und die dieselbe elnfache grohgesehene Form
zeigen, wie seine vor der Äakur gemalken Blldnisse.
Es gelang also Böcklln,, aus der Phokographle dle
wesentliche Form herauszuschälen, well seln Form-
gefühl geschulk war.
Menn üles Neinigen der phokographischen Form
einem Meister mögllch ist, so wird dles beim Schüler
noch nlcht zukreffen, noch nicht der Fall seln. Und
doch könnke dies der Schüler gerade an der Phoko-
graphie lernen. Wenn Ich mich frage, wvmik sich der
Schüler vor der Nakur z. B. belm Kopfmodell aus-
einanderzusehen hak, so wäre es ekwa folgendes:
Die Proporkion, Zalkung, Neigung des Kopfes zu
Brust und Schulkern, das Berhälknis der Gesichks-
keile zum Gesamkumrih des Kopfes, des Schädels,
das Berhälknls der Gesichkskeile unker sich, das Zer-
ausarbeiken eines Körperhaften, des Bolumens usw.
Ferner muß der Schüler das Modell In elne Zeichen-
sprache auf dem Papler umsehen, In eine zeichne-
rlsche Mekhode. Z. B. muh er für Haar und Bart
das strukkurcharakkerisierende Zeichen finden. Er
muß wiffen, was er mik dem Konkur und was er mik
galbkon wiedergeben kann. Er muß die Helldunkel-
werke des Haares, des Mundes, der Augen unker-
schelden lernen. Ferner muh er den Zusammenklang
des Mlenensplels als Ausdruck begreifen. Dles flnd
alles Dinge, dle der Schüler auch an der Phokogra-
phie lernen kann. Es blelbk ganz wenig, was er
nur vor der Nakur skudieren kann, und zwar: das
klmsehen der Körperllchkeik der Nakur In dle Fläche,
das forkwährende Sicheinstellen auf dleselbe Änsichk
und das Auswählen elnes In allen Teilen kongruen-
ken Ausdrucks.
2ch mache mlr bel jedem tn die Klaffe neuelntre-
lenden Schüler — es sind solche darunker, dle schon
iahrelang nach der Nakur Kopfmodell gezelchnsk
haben — daS Bergnttgen, ihn, als erste Aufgabe,
einen Kopf nach Phokographie zeichnen zu laffen.
Der Schüter machk gewöhnllch ein verduhkes Gesichk,
als ob diese Aufgabe unker selner Würde wäre: er
glaubk, daß er dlese Zeichnung ohne welkeres guk
lösen werde. Aber gewöhnlich Isk das Gegenkeil der
Fall. So finden sich ln seiner Zeichnung die ele-
menkarsten - Fehler: Er machk die Gesichkskeile Im
Verhälknls zum Suhern Amrlh des Kopfes enkweder
zu groh oder zu kleln. Es enkgehk ihm der charak-
keriskllche Winkel der Nase zu Sklrne und Gesichk.
Die Enkfernung des Mundes von der Nase wlrd
nichk gekroffen, dle Augen stehen zu weik auselnan-
der oder zu nahe beielnander usw. Er verstehk nlchk,
durch Llnien die stoffllche Skrukkur des Haares, der
Augenbrauen, der falkigen Aauk usw. wlederzugeben.
Er akzenkulerk d!e Härken der Form nlchk, dagegen
machk er weiche Formen hark und bestlmmk. Er
überkreibk belanglose Zalbköne und übersiehk dle ei-
genklichen Schakkenakzenke. Bom Ausdruck des Ge-
lichkes gar nlchk zu reden, wenn schon dle elemenkar-
sten Dlnge verfehlk werden. Kurzum, es unkerlau-
fen dem Schüler alle sene Fehler, d>e Ihm vor der
Von E r ii sl W ii r k e n b e r g e r, Professor an der Landeskunskschule ln Karlsruhe
Wenn ich mli den folgenden AuSfiihrungen der
Phokographie nls Zeichenvorlage das Work rede, so
weijz ich wohl, dasz ich damik ein heikles Thema an-
schneide. 2sk doch schon die Phokographie als Hilfs-
mikkel fiir das Hchaffen des reifen Kiinsklers umskrit-
ten. Das bleberwuchern der Details, die fehlende
Ileber- und Unkerordnung der Formen, die falschen
Tonwerke — in der Phokographie isi z. B. griin als
Tonwerk dunkler, als in der Nakur —, dies Alles
lciszk die Beniihung der Phokographie als unkaugllch
oder zum mindesken als hedenklich ersä-einen.
ES ist bekannk, wie entzsickk die Klinskler waren,
als Ihnen die ersken Phokographien zu Gesichk
kamen, allerdingS zuersk nur In der Form des Da-
guerrotyps: Delacroip z. B. schreibt in feinem Tage-
buch, er bedauere, dasz er nichk schon friiher die Pho-
kographie gekannk habe, er hälke so viele Fehler
vermeiden können. Er versteigk sich fogar zu dem
AuSspruch: neben der absoluten Richkigkeik der pho-
kographischen Form sei sogar Raffael's Form feh-
lrrhafk zu nennen. Wir wiffen auch, dasz z. V. Len-
bach den ausgieblgsken Gebrauch von der Phokogra-
phie machke, dasz er ebenso guk und lebensvoll nach
Phokographle malen konnke, als nach der Nakur.
Äuch Adolph Menzel, als er einmal gefragk wurde,
ob er die Phokographie fitr das kiinstlerlsche Schaf-
fen fiir zulässig halke, kak den Ausspruch: man müffe
von Allem lernen, auch von der Phokographie. Er
selbst habe ihr sehr viel zu verdanken.
Andererseiks wiffen wir aber auch, dah viele
Künsiler durch die Benühung der Phokographie
z. B. beim Porkrät in ein unkünstlerlsches Fahr-
waffer gcrieken. Deshalb nun die Phokographle als
gilfSmikkel zu verwerfen, gehk nlchk an. Gerade un-
sere Zeik kann der Phokographie nichk enkraken,
muh sich doch oft z. A. der Plakakkünstler der Pho-
kographie als direkker Unkerlage bedienen. Bor
nliem aber bieken die Unzahl der illustrierken Zei-
kungen und Zeikschrifken so viel verblüffende und
Ichlagende Sikuakione» und Mokive blldnerischer
Ark, dajz wir nichk ohne Weikeres an ihnen vor-
beigehen können. Es wird darin so viel stnkereffan-
tes an Leben, Vewegung und Charakkerlstik seder
Ark geboten, dah wir auS dlesen Bläkkern ofk Blld-
Ideen und Formmokive herausziehen können.' Man
muh sie nur sehen, hernusfinden und benühen
können.
Es handelk sich also darum, sich der Phokographie
als Nohstoff, ähnlich der Nakur, zu bedlenen. klnd
so kann die Phokographie dem Künstler eine Sku-
dicnzeichnung, dle Werkzeichnung der alken Melster,
ersehen, sofern der Künskler welh, was er in der
Phokographle suchen darf. . Er.muh dle Phokogra-
phie derselben Prozedur unkerziehen, wle er es bei
der Zeichnung vor der Nakur machk. Er mufz sie sie-
bcn, ordnen. Also das machen, was der alke Mel-
sler mik selner Werkzelchnung tak, der, Indem er
zcichnekc, den Nakureindruck vereinfachke, verstärkte,
reinigkc. Ein gesämlkes Auge wlrd also mlk der
Phokographle zu Nande kommen, indem es sofork
seiie Abstricke mackk, die nöklg sind, das Vlld In
der Form zu reinigen. So gibk es z. V. Bildniffr
von VLcklln, dle dieser nach Phokographie malen
muszie und die dieselbe elnfache grohgesehene Form
zeigen, wie seine vor der Äakur gemalken Blldnisse.
Es gelang also Böcklln,, aus der Phokographle dle
wesentliche Form herauszuschälen, well seln Form-
gefühl geschulk war.
Menn üles Neinigen der phokographischen Form
einem Meister mögllch ist, so wird dles beim Schüler
noch nlcht zukreffen, noch nicht der Fall seln. Und
doch könnke dies der Schüler gerade an der Phoko-
graphie lernen. Wenn Ich mich frage, wvmik sich der
Schüler vor der Nakur z. B. belm Kopfmodell aus-
einanderzusehen hak, so wäre es ekwa folgendes:
Die Proporkion, Zalkung, Neigung des Kopfes zu
Brust und Schulkern, das Berhälknis der Gesichks-
keile zum Gesamkumrih des Kopfes, des Schädels,
das Berhälknls der Gesichkskeile unker sich, das Zer-
ausarbeiken eines Körperhaften, des Bolumens usw.
Ferner muß der Schüler das Modell In elne Zeichen-
sprache auf dem Papler umsehen, In eine zeichne-
rlsche Mekhode. Z. B. muh er für Haar und Bart
das strukkurcharakkerisierende Zeichen finden. Er
muß wiffen, was er mik dem Konkur und was er mik
galbkon wiedergeben kann. Er muß die Helldunkel-
werke des Haares, des Mundes, der Augen unker-
schelden lernen. Ferner muh er den Zusammenklang
des Mlenensplels als Ausdruck begreifen. Dles flnd
alles Dinge, dle der Schüler auch an der Phokogra-
phie lernen kann. Es blelbk ganz wenig, was er
nur vor der Nakur skudieren kann, und zwar: das
klmsehen der Körperllchkeik der Nakur In dle Fläche,
das forkwährende Sicheinstellen auf dleselbe Änsichk
und das Auswählen elnes In allen Teilen kongruen-
ken Ausdrucks.
2ch mache mlr bel jedem tn die Klaffe neuelntre-
lenden Schüler — es sind solche darunker, dle schon
iahrelang nach der Nakur Kopfmodell gezelchnsk
haben — daS Bergnttgen, ihn, als erste Aufgabe,
einen Kopf nach Phokographie zeichnen zu laffen.
Der Schüter machk gewöhnllch ein verduhkes Gesichk,
als ob diese Aufgabe unker selner Würde wäre: er
glaubk, daß er dlese Zeichnung ohne welkeres guk
lösen werde. Aber gewöhnlich Isk das Gegenkeil der
Fall. So finden sich ln seiner Zeichnung die ele-
menkarsten - Fehler: Er machk die Gesichkskeile Im
Verhälknls zum Suhern Amrlh des Kopfes enkweder
zu groh oder zu kleln. Es enkgehk ihm der charak-
keriskllche Winkel der Nase zu Sklrne und Gesichk.
Die Enkfernung des Mundes von der Nase wlrd
nichk gekroffen, dle Augen stehen zu weik auselnan-
der oder zu nahe beielnander usw. Er verstehk nlchk,
durch Llnien die stoffllche Skrukkur des Haares, der
Augenbrauen, der falkigen Aauk usw. wlederzugeben.
Er akzenkulerk d!e Härken der Form nlchk, dagegen
machk er weiche Formen hark und bestlmmk. Er
überkreibk belanglose Zalbköne und übersiehk dle ei-
genklichen Schakkenakzenke. Bom Ausdruck des Ge-
lichkes gar nlchk zu reden, wenn schon dle elemenkar-
sten Dlnge verfehlk werden. Kurzum, es unkerlau-
fen dem Schüler alle sene Fehler, d>e Ihm vor der