Deutsche Blätter für Zeichen-Kunst- und Werkunterncht
Zertschrift des Neichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Vermttwortlich für die Schriftleitung; Prosessor Gustav Kolb, GöPPtngeu
Druck nnd Verlag: Gugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
Fiir Vcsprechm'igSexemplarr, Niederschristen oder andere Einsendiiiigen irgendwelcher Art
wird einc Berantwortlichkeit nnr dann iibernoiiniien, wenn ste erbeten «orden sind
Das Griindproblenr der geistigen Erziehnng. Von Prof. Dr. Nndolf Velten. — Zur Neuordnung des höheren
Schnlwesens in Sachsen (Schluh). Von Georg Stiehler-Leipzig. — Menschenformung und Kulturgestalt. Von
Prof. Hauus Schmiedel-Heidelberg. — Ausdruck. Von Müller-Kolberg. — Die junge Kunst und der neuzeit-
liche Knnstnnterricht an den hoheren Schulen. Von Hugo tzändel. — Die Helioradierung. Von Bruno Zwiener.
Erziehung zum Verständuis der Architektur. Von Ernst Harms-Bergen. — Kongreh der Internationalen Ver°
einigung für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst in Prag. Von Ernst Fritz. — Amschau. —
Buchbesprechungen. — Geschäftliches. — Inserate
7. Iahrgang November 1927 tzeft 11
Das Grundproblem der geistigen Erziehung
Von Prof. Dr. Nudolf Belten*
öedem Tiefschauenden ist eS heukzukage klar, dah
nur durch die innere Erneuerung jedes Linzelnen die
staakäbiirgerlichen Problsme der nächsien Zukunft
gelöst werden können. Die Frage der Erziehung tritt
dainit in den Vrennpunkt der ösfenklichen önteressen.
Aber endgültig zu lösen ist auch sie nur durch ein
erneuteS Hinabsteigen in die Ilrgesehmciszigkeit des
meiischlichen Wesens, das sich von lang gepflegten
Traditionen oder politischem Parteigezänke nicht
beirren läszt.
Zwei Grundfähigkeiten des GeisteS müssen zu aus-
geglichenein Zusammenwirken gebracht werden, wenn
der Alensch zu wahrhaft wertvollen Leistungen er-
zogen werden soll. Die erste Fähigkeit ist die Ein-
bilüungskraft, die mühelos von einer Sphnre deS
Vewiisztseins in die andere überzugreifen vermag
imd selbst zwischen den entferntesten Gehirnzentren
verblndende Fäden webk. Mit dieser geistigen Ex-
pansionskraft aber musz die Konzentrationsfähigkeit
Hand ln Zand gehen, die den Gedankengang von
allen Launen deS zwecklosen Abirrens und allen zu-
fälligen Störungen durch sinnliche Einwirkungen be-
wahrt. Veide Fähigkeiten scheinen sich gegenseitig
zil begrenzen und in gewissem Sinne zu verneinen.
Das letzte Ziel der Erziehung müszte es sein, beide
Kräfte zu posikiv-schöpferlscher Wechselwirkung zu
versöhnen. Konzenkration darf nicht zu dauernder
Verengerung deS geistigen Blickfeldes führen: dies
bedeutete Lrstarrung, blullose Pedanterie. Äer Äeich-
liim der alle Gehirnzenkren nmspannenden- Ässozia-
tlonen musz vielmehr unnngetastel bleiben, aber er
iinisi am Leilfaden eines führenden Gedankens zur
Geltnng gebracht werden, und diescr Gedanke mujz
dle höchste Möglichkeit der Persönlichkeit bedeuten.
Diese Phantasle oder, wenn man will, dieser schöpfe-
rische Verstand verbürgk allein die Zukunft der
Einzelpersönlichkeik, des Staakes, der Menschheit.
Man könnte ja hervorheben, datz für die Auf-
stellung eines idealen Erziehungsplanes neben die-
sem formalen Gesichtspunkt auch noch eine rein stoff-
liche Äücksicht maszgebend sein müsste. Man weih,
die rein passive Aufnahmefähigkeit des GedächtnisseS
ist bereits vom 15. Lebensjahr an im Abnehmen be-
griffen. Lüge öa nicht die Forderung nahe, in den
Lehrplan nur jene Ünterrichtszweige aufzunehmen,
üie.im praktischen Leben Verwendung finden? Diese
Forderung ist gewitz dort berechtigt, wo die ganze
geistige Polenz in dem Maß rein passiver Ge-
düchtniskraft gegeben isk; wo sich aber daneben schon
früh die Anzeichen von geistiger Eigentätigkeit ein-
stellen, mutz dec formale Gesichtspunkt durchauS zum
herrschenden gemacht werden. Das immer mehr
schwindende mechanische Gedächtnis wird dann durch
* Disssr aicherordentlich wertvolls Aussatz satzt das ErztehungS»
problem aii dsr Wnrzcl, insvsern er auch die Bedeiitimg der
geistigen Grnndkraft, die rnan Phantasis, odsr sagen wir, Ge-
staltungskrast heitzt, ins Licht riilkt. Leidcr ging die sogen. »Neu-
ordniing" der höhcrsn Schule, die sich inshr und mehr als eine
Bsrsesttgnng der alten starren Formen erweist, den umgekshrten
Weg als den, den dsr Bersasser weist. Durch die neuen Bestimm»
niigen übsr dte Wertuug der eiiizeluen Fäche«. bei den Ber»
setzungen wnrde das Gestaltungssach: Zeichnen, nicht aus seiner
Wiiikclstellung als Nebenfach befreit, wie manche von uus hoss»
ten, sondern im Segenteil noch i» eine grötzere Bedeutuiigslostg-
keit zuriickgcdräiigt. Wir diirsen den Kops nicht in den Sand
steckcn und uus an den schöne» Worten, die mau da und dort
iiber die Bedeutniig der Ki»nst im Rahmeii der Lrziehniig ver»
loren hat, bcrailscheir. .Worte trösten den Meiischsu nicht, nur
Taten." Sagen wir eS niichter» »iid klar heransi Dte Schul-
resorm ist siir unser Arbeitsgebiet gescheitert. Der Sturm hat
ein Mäiislein uud zwar ein schon halbiotes Mäuslein geboren.
SS haben die Philolvgen und die Mathematiker gestegt, nicht die
Männsr wie Profeffor Dr. Belten, die das Srzishungsproblem
aus der »Urgesetzmätzigkeit des menschlicheiiWssens" lösen wollten.
Die Schristleitung.
Zertschrift des Neichsverbandes akad.geb.Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
Vermttwortlich für die Schriftleitung; Prosessor Gustav Kolb, GöPPtngeu
Druck nnd Verlag: Gugen Hardt G. m. b. H. Stuttgart, Langestraße 18
Fiir Vcsprechm'igSexemplarr, Niederschristen oder andere Einsendiiiigen irgendwelcher Art
wird einc Berantwortlichkeit nnr dann iibernoiiniien, wenn ste erbeten «orden sind
Das Griindproblenr der geistigen Erziehnng. Von Prof. Dr. Nndolf Velten. — Zur Neuordnung des höheren
Schnlwesens in Sachsen (Schluh). Von Georg Stiehler-Leipzig. — Menschenformung und Kulturgestalt. Von
Prof. Hauus Schmiedel-Heidelberg. — Ausdruck. Von Müller-Kolberg. — Die junge Kunst und der neuzeit-
liche Knnstnnterricht an den hoheren Schulen. Von Hugo tzändel. — Die Helioradierung. Von Bruno Zwiener.
Erziehung zum Verständuis der Architektur. Von Ernst Harms-Bergen. — Kongreh der Internationalen Ver°
einigung für Kunstunterricht, Zeichnen und angewandte Kunst in Prag. Von Ernst Fritz. — Amschau. —
Buchbesprechungen. — Geschäftliches. — Inserate
7. Iahrgang November 1927 tzeft 11
Das Grundproblem der geistigen Erziehung
Von Prof. Dr. Nudolf Belten*
öedem Tiefschauenden ist eS heukzukage klar, dah
nur durch die innere Erneuerung jedes Linzelnen die
staakäbiirgerlichen Problsme der nächsien Zukunft
gelöst werden können. Die Frage der Erziehung tritt
dainit in den Vrennpunkt der ösfenklichen önteressen.
Aber endgültig zu lösen ist auch sie nur durch ein
erneuteS Hinabsteigen in die Ilrgesehmciszigkeit des
meiischlichen Wesens, das sich von lang gepflegten
Traditionen oder politischem Parteigezänke nicht
beirren läszt.
Zwei Grundfähigkeiten des GeisteS müssen zu aus-
geglichenein Zusammenwirken gebracht werden, wenn
der Alensch zu wahrhaft wertvollen Leistungen er-
zogen werden soll. Die erste Fähigkeit ist die Ein-
bilüungskraft, die mühelos von einer Sphnre deS
Vewiisztseins in die andere überzugreifen vermag
imd selbst zwischen den entferntesten Gehirnzentren
verblndende Fäden webk. Mit dieser geistigen Ex-
pansionskraft aber musz die Konzentrationsfähigkeit
Hand ln Zand gehen, die den Gedankengang von
allen Launen deS zwecklosen Abirrens und allen zu-
fälligen Störungen durch sinnliche Einwirkungen be-
wahrt. Veide Fähigkeiten scheinen sich gegenseitig
zil begrenzen und in gewissem Sinne zu verneinen.
Das letzte Ziel der Erziehung müszte es sein, beide
Kräfte zu posikiv-schöpferlscher Wechselwirkung zu
versöhnen. Konzenkration darf nicht zu dauernder
Verengerung deS geistigen Blickfeldes führen: dies
bedeutete Lrstarrung, blullose Pedanterie. Äer Äeich-
liim der alle Gehirnzenkren nmspannenden- Ässozia-
tlonen musz vielmehr unnngetastel bleiben, aber er
iinisi am Leilfaden eines führenden Gedankens zur
Geltnng gebracht werden, und diescr Gedanke mujz
dle höchste Möglichkeit der Persönlichkeit bedeuten.
Diese Phantasle oder, wenn man will, dieser schöpfe-
rische Verstand verbürgk allein die Zukunft der
Einzelpersönlichkeik, des Staakes, der Menschheit.
Man könnte ja hervorheben, datz für die Auf-
stellung eines idealen Erziehungsplanes neben die-
sem formalen Gesichtspunkt auch noch eine rein stoff-
liche Äücksicht maszgebend sein müsste. Man weih,
die rein passive Aufnahmefähigkeit des GedächtnisseS
ist bereits vom 15. Lebensjahr an im Abnehmen be-
griffen. Lüge öa nicht die Forderung nahe, in den
Lehrplan nur jene Ünterrichtszweige aufzunehmen,
üie.im praktischen Leben Verwendung finden? Diese
Forderung ist gewitz dort berechtigt, wo die ganze
geistige Polenz in dem Maß rein passiver Ge-
düchtniskraft gegeben isk; wo sich aber daneben schon
früh die Anzeichen von geistiger Eigentätigkeit ein-
stellen, mutz dec formale Gesichtspunkt durchauS zum
herrschenden gemacht werden. Das immer mehr
schwindende mechanische Gedächtnis wird dann durch
* Disssr aicherordentlich wertvolls Aussatz satzt das ErztehungS»
problem aii dsr Wnrzcl, insvsern er auch die Bedeiitimg der
geistigen Grnndkraft, die rnan Phantasis, odsr sagen wir, Ge-
staltungskrast heitzt, ins Licht riilkt. Leidcr ging die sogen. »Neu-
ordniing" der höhcrsn Schule, die sich inshr und mehr als eine
Bsrsesttgnng der alten starren Formen erweist, den umgekshrten
Weg als den, den dsr Bersasser weist. Durch die neuen Bestimm»
niigen übsr dte Wertuug der eiiizeluen Fäche«. bei den Ber»
setzungen wnrde das Gestaltungssach: Zeichnen, nicht aus seiner
Wiiikclstellung als Nebenfach befreit, wie manche von uus hoss»
ten, sondern im Segenteil noch i» eine grötzere Bedeutuiigslostg-
keit zuriickgcdräiigt. Wir diirsen den Kops nicht in den Sand
steckcn und uus an den schöne» Worten, die mau da und dort
iiber die Bedeutniig der Ki»nst im Rahmeii der Lrziehniig ver»
loren hat, bcrailscheir. .Worte trösten den Meiischsu nicht, nur
Taten." Sagen wir eS niichter» »iid klar heransi Dte Schul-
resorm ist siir unser Arbeitsgebiet gescheitert. Der Sturm hat
ein Mäiislein uud zwar ein schon halbiotes Mäuslein geboren.
SS haben die Philolvgen und die Mathematiker gestegt, nicht die
Männsr wie Profeffor Dr. Belten, die das Srzishungsproblem
aus der »Urgesetzmätzigkeit des menschlicheiiWssens" lösen wollten.
Die Schristleitung.