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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 229-204)

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Nr. 261 - Nr. 270 (7. November - 18. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43256#0383
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He'MbergervMsbla


Ski-rlbers, Ritrws», 1Z. Rovrmber IM

7«. MhrsMg / Rr. AK

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M LMtuM / Kirmwartt / WifsMMsst unö Kmft

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Einzelnr. 10 Erscheint wöchentl. 6 mal. Ist die Zeitung am Er-
^^udert, besteht kein Anrecht auf Entschädigung. Anzeigenpreis: Die 1-spalt.
^^il« f4g Hx.) 7 Textteil: Di« 70 mm br. Millimeterzsile W
Aimatzsitung mit den Beilagen: Aus der Welt der Frau


Die Beauftragung eines Vertreters der
kleinen litauischen Minderheit ist wiederum
eine Herausforderung der gesamten
Bevölkerung des Memelgebiets und steht in
krassem Widerspruch zu den Bestimmungen
des Statuts vom Haager Urteil vom 11. 8.
1932 und vor allem den in jüngster Zeit
wiederholt abgegebenen feierlichen Bespre-
chungen der litauischen Regierung gegenüber
den Signatarmächten und sogar vor dem
Völkerbund. Ebenso gut wie Borchertas
hätte man auch den zurückgetretenen Vruve-
laitis beauftragen können. Man hat den
Signatarmächten der Meuelkonvention selbst
schriftlich versprochen, ein Direktorium nach
den Bestimmungen des Statuts zu geben,
d. h. also ein solches Direktorium, das das
Vertrauen des Landtages erhält.
Borchertas, der früher Borchert
hieß, gehört seit jeher zu den extremsten und
fanatischsten Vertretern der litauischen Par-
teien im Memelgebiet und hat stets in einem
unüberbrückbaren Gegensatz zu der autono-
mietreuen großen Mehrheit der memellän-
dischen Bevölkerugn gestanden. Er war be-
reits Mitglied des ersten litauischen Direk-
toriums Kaclius, das nach dem litauischen
Einfall ins Memeloebiet gebildet wurde.
Später wurde er Präsident des Direktoriums
und erhielt am 23. November 1925 vom er-

sten memelländischen Landtag das Mißtrau-
ensvotum. Ende 1926 wurde er jedoch wieder
Mitglied des litauischen Direktoriums Falk,
das ebenfalls das Mißtrauen des Landtags
erhielt. Borchertas gehörte auch dem da-
rauffolgenden lit. Direktorium Schwellnus
an, das im Jahnuar 1927 den Landtag sta-
tutwidrig auflöste und ihn neun Monate
ausschaltete, um schon damals nach dem Wil-
len der kleinen litauischen Minderheit gegen
die große Mehrheit der Bevölkerung regie-
ren zu können. Borchertas gehörte ferner
den meisten Landtagen des Memelgebiets
als Führer des litauischen Blocks an.
Aus diesem Auftrag des litauischen Gou-
verneurs ist zu ersehen, daß die litauische Re-
gierung nach wie vor nicht daran denkt, die
Autonomie entsprechend den Bestimmungen
des Statuts durchführen zu lassen.
Zum mindesten muß die vom litauischen
Gouverneur eingeleitete Aktion als eine
Verschleprung der Direktori-
umsbildung gewertet werden. Es bleibt
abzuwarten, wie sich die Signatarmächte der
Memelkonvention zu diesem Vorgehen der
litauischen Behörden stellen werden, nachdem
die Versprechungen des litauischen Außen-
ministers Lozöraitis in dieser Weise
gehalten werden.

. 12. Nov. Der Gouverneur des
. hat einen der fünf litauischen
M, neten des Memelländischen Land-
srüheren Hafendirektor Bor-
hb^mit jder Bildung des Direkto-
Auftrag veröffentlicht die litau-
?phenagentur folgende Meldung:
* "" Vorstellung des Präsidiums
u^neur wurde die Frage der Bil-
N Direktoriums berührt. Darauf hat
^kch-.?^ueur das Mitglied des Landtags,
s?' beauftragt, mit den Fraktionen
i^ands Bildung eines Direktoriums
aufzunehmen. Borchertas Hai
.Hyr, "Mngnahme bereits ausgenommen
Eliten?end für die Ernennung des Prä-
m Direktoriums ist nach dem Sta-
öderes als das Wahlergeb-
!^ccu^ fünf litauischen Abgeordneten.
litauische Abgeordnete Borcher-
auf dem Rücken der aus Groß-
^istg arößten Teil widerrechtlich ein-
Elemente in den Landtag hin-
Mosk^^n. Ihnen gegenüber steht die
w Einheitsliste mit 24 Abgeord-
ist sonderbar, daß der litauische
dieser unvergleichlich größe-
"M keinen Präsidenten finden will

, Litauische Serausfordtnmg an Mmel
, n Litauer mit der Bildung -es MimldirektoMms heaustmgt / Ms werden die SignatnrnMte tun?

^ÄenWer Protest an die Sanktionsstaaten

über

lichem und finanziellem Charakter zu ergreifen,
Die Unterbindung des ganzen italienischen Ex-
portes ist mehr als eine wirtschaftliche Maß-
nahme, sie ist ein wahrer Akt der Feindschaft,
der die unvermeidlichen Gegenmaßnahmen
Italiens voll rechtfertigt.
Die Sanktionen und Gegensanktionen, so
wird weiter betont, würben schließlich die
schwersten moralischen und psychologischen Fol-
gen nach sich ziehen, indem sie
eine Verwirrung der Geister beschwüren,
die viel länger dauern könne, als die Fol-
gen der Sanktionen selbst.
Italien hat sich bisher von der Genfer In-
stitution nicht lösen wollen, ungeachtet seiner
Gegnerschaft gegen das Vorgehen, das zum
Schoden Italiens unternommen wurde; denn
Italien wünscht zu vermeiden, daß dieser Kon-
flikt noch zu schwierigen Komplikationen führt.
Im übrigen h at die italienische Regierung
ihrerseits unterdessen alle Dispositionen getrof-
fen, um zu verhindern, daß sich aus der gegen-
wärtigen Lage noch neue Gefahren entwickeln.
Die Note schließt: Die italienische Regierung
wird sich freuen, zu wissen, in welcher Weise
jede Regierung in freier und souveräner Wil-
lensbildung die Absicht hat, sich gegenüber den
Zwangsmaßnahmen zu verhalten, die gegen
Italien vorgeschlagen wurden.

und wendet sich dann mit aller Schärfe gegen
das Waffenausfuhrverbot nach Italien und
die Aufhebung des gleichen Verbots zugunsten
Abessiniens. Eine solche Maßnahme, beißt es
in der Note, sei weit davon entfernt, die Be-
endigung des Konfliktes zu erleichtern, sie
nähre nur seine Schwierigkeiten und drohe
seine Dauer zu verlängern.
Die italienische Regierung wendet sich in der
Protestnote weiter gegen die zahlreichen Maß-
nahmen von wirtschaftlichem und finanziellem
Charakter, die gegen Italien ergriffen wurden.
Solche Sanktionen würden zum ersten Male
gegen Italien angowenbet werden unter Um-
ständen, die die italienische Regierung und das
italienische Volk als ungerecht und willkürlich
empfinde, und gegen die die Regierung stärkste
Verwahrung einlegen müsse. Die Note weist
auf die Folgen dieser Maßnahmen
für die gesamte Weltwirtschaft
hin und fährt dann fort:
Niemand wird das Recht und die Notwen-
digkeit bestreiten können, die eigene Existenz
des italienischen Volkes zu verteidigen und zu
sichern. Die italienische Regierung wird daher
verpachtet sein, Maßnahmen von wirtschaft-

Der Reichsbauerntag
AgrartechnWe Beratungen
Goslar, 12. Nov. Die geschlossenen Son-
dertagungen des dritten Reichsbauerntages
in Goslar haben am Dienstag ihren Fort-
gang mit Fachberatungen gefunden, die vor-
wiegend agrartechnischen Fragen galten. In
einer Sondertagung für Geräte- und Ma-
schinenwesen wurde die Organisation der Ma-
schinenprüfung und Beratung erörtert.
Eine weitere Besprechung.über Grundla-
gen der Betriebsführung behandelte zunächst
die Bedeutung und Durchführung der Boden-
schätzung unter rechtlichen und technischen Ge-
sichtspunkten und dann die gegenwärtig ge-
gebenen Wege der landwirtschaftlichen Selbst-
finanzierung.
Zeitgemäße Marktfragen wurden in den
Tagungen der „Hauptvereinigung der deut-
schen Getreidewirtschaft" und der „Hauptver-
einigung der deutschen Kartoffelwirlschast"
klar gestellt. Die Juristen des Reichsnährstan-
des zusammen mit den Hauptstabsleitern und
den Verwaltungsabteilungsleilevn klärten die

wiü '?2. Nov. Die italienische Regierung
°er im q^its gemeldet, an die Regierungen
n^. - bund vertretenen Staaten eine
E, die im Lause des Dienstag ver-
i»k werden soll. Gleichzeitig ist die Note
an diejenigen Staaten über-
M ijst. '°en, die nicht im Völkerbund vertre-
ten scharsen Worten wird darin
^"ktinn G'us beschlossenen wirtschaftlichen
">it der Mächte Protest erhoben und
Gegenmaßnahmen gedroht. Es
"»!> siiw'diw«ische Schritte wirtschaftlichen
^'erd??j?Een Charakters angekündigt, um
Ae nnuc ' daß sich aus der gegenwärtigen
Mi,^ beue Gesahrenmomente entwickeln.
nÄ? sich bisher von der Genfer Jnsti-
r SNersÄl ^en wollen, ungeachtet seiner
ffN rDM gegen das Vorgehen, das zu Ita-
c? >li,c^-" unternommen worden sei. Denn
Zvons il- düng des ganzen italienischen
Ann 'e> Mehr als eine wirtschaftliche Maß-
M sei ein wahrer Akt der Feind-
öl "le unvermeidlichen Gegenmaßnah-
°U°ns voll rechtfertige.
kr «all der Art«
italienische Regierung
Men a> ' erstens die Gründe der italie-
M 1^. Nstchrist keiner entsprechenden Prü-
wurden und zweitens, daß
nicht in seinen der gegen-
entsprechenden Bestimmungen
'st. Die nach der letzten
All Versammlung eingetretene Lage,
ZRe fort, habe den italienischen
""He BKO.. Protasten Italiens bedeutungs-
Die R Fracht.
gekoin»?Gerung Abessiniens sei zahlreich
lienzum sich unter den Schutz Jta-
» Regierung habe die Sklaverei
Z-Zysten Gebieten aufgehoben und
der dre Freiheit gegeben, die sie
^I,^'ung m Addis Abeba vergeblich
n. Die befreite Bevölkerung sehe
i»^Veit Macht, die das Recht und die
ci^ öen der h»hen Schutz zu entfal-
M NfW^^Eerbundspakt m Artikel 22 als
seit Is? der Zivilisation anerkenne. Sol-
^reian>-.r ufer Entscheidungen eingetvete-
s» 9 stufen müßte der Völkerbund Rech-
daraus die notwendigen Kou-
dez bestreitet dann die Zuständigkeit
iwnen »Aiungsausschusses, der die Sank-
"Mossen habe.

schwebenden Fragen der Verwaltung im
Reichsnährstand.
Auch die weltanschaulichen Erörterungen
der Reichshauptabteilung I fanden ihre Fort-
setzung mit Vorträgen von Stabsleiter Ries
über den „Sippengedanktn" im Bauerntum,
von Stabsleitcr Dr. Senf über die „Auf-
gaben des bäuerlichen Sippenbuches" und von
Stabsabteilungsvorstand Dr. Wünsch üb-
„Bauerntum und Waffenführung".
Lutze in Goslar
Goslar, 12. Nov. Auf dem Flugplatz von
Goslar traf am Dienstag mittag Stabschef
Lutze in seinem Dienstflugzeug „Horst Wessel"
ein, um am Reichsb-auerntag teilzunehmen.
Nach d«m Empfang besichtigte der Chef des
Stabes die Stadthalle von Goslar, in der im
Augenblick die letzten Vorbereitungen zur
Durchführung der Haupttagungen des Reichs-
nährstandes und der verschiedenen Sonderver-
anstaltungM getroffen werden.

ÄMrvolitik
Bemerkungen zu dem Thema insbesondere
im Hinblick auf badische Verhältnisse.
1.
Vox einiger Zeit hat der Reichsminister
für Ernährung und Landwirtschaft Herr
Darrs in einer Ansprache an die pommer-
schen Bauern Ausführungen gemacht, die
sehr bemerkenswert sind, weil sie auf staats-
männische Einstellung und Kenntnis der
deutschen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte
des Redners schließen lassen. Der Herr Mini-
ster hat nämlich Vergleiche angestellt zwischen
der Vesitzverteilung an Grund und Boden im
Norden und Osten einer- und im Süden und
Westen anderseits. In seinen Betrachtungen
ist der Minister dazu gekommen zu sagen,
daß die Verhältnisse im Süden und Westen
ideale seien, während im Norden und Osten
er das Gegenteil sehe.
Im Süden besteht eine gesunde Mi-
schung aller Besitzgrößen, während
im Norden die Großbetriebe vorwiegen. Der
Stand der Dinge beruht überall auf geschicht-
licher Entwicklung. Im Norden und Osten
begründeten die Grundherren seit dem Aus-
gang des Mittelalters eigene große Guts-
wirtschaften. Die Folge dieser größeren
Gutsorganisation war, daß die Bauern mit
Arbeitsleistungen in den Dienst der Grund-
herren gezogen wurden und daß mit dem
steigenden Bedarf landwirtschaftlicher Arbeit
ihre Stellung immer drückender geworden
ist. Zugleich lag in der Ausdehnung größerer
Betriebe der Anreiz zur Einverleibung im-
mer größerer Landstrecken in den gutsherr-
lichen Besitz. Man schob das alte Recht der
Bauern bei Seite, sah das Eigentum der
Bauern als zurücknehmbar an und kassierte
eine große Anzahl bäuerlicher Stellen zugun-
sten gutsherrlicher Arrondierung und Ver-
größerung. Dieses Verfahren nennt man
„Bauernlegen". So sind die Latifun-
dien im Norden u. Osten entstanden. (Schön-
berg: Handbuch der Sozialwissenschaften Bd.
II S. 178 ff.). Richard Schröder schildert den
Werdegang der Entstehung und Entwicklung
des Großgrundbesitzes an mehreren Stellen
seines Lehrbuches der deutschen Rechtsge-
schichte. Insbesondere findet er einen Weg
zur Erweiterung des ritterschaftl. Besitzes,
als die Fürsten durch Finanznöte gezwun-
gen waren, die ihnen von Schulzen und Bau-
ern zustehenden Abgaben und Hoheitsrechte
kaufvfand- und lehenwsise auf ihre Vasallen
zu übertragen, indem die Ritterlehen dadurch
mit Herrschaftsrechten ausgestattet wurden
und schließlich, da die Anschauung des Mittel-
alters hiermit die Idee des Obereigentums
verband, zu großen Herrschaften wurden.
Es war also im Mittelalter der Grund zu
größeren Herrschaften aelegt worden und es
verwandelte sich der Ritter schon vom 16.
Jahrhundert an allgemein in einen fried-
lichen Rittergutsbesitzer; an Stelle der mit
spärlichem Eigenbetrieb verbundenen Grund-
berrschaften trat die Gutsherrschaft.
Die Reformation und die Säkularisation
haben das ihrige zur Vernichtung des selb-
ständigen Bauernstandes beigetragen. Im
Nordwesten war es dem zähen Charakter der
Niedersachsen gelungen, die Höfe bis auf den
heutigen Tag zu erhalten. „Ein erhebendes
Beiiviel bäuerlichen Freiheitstrotzes" nennt
Willy Andreas in seinem schönen Buche
„Deutschland vor der Reformation" den sieg-
reichen Kampf der Ditmarschen gegen Lan-
desfürsten und Adel.
Derselbe Autor bestätigt, daß das Bau-
ernlegen in irgendwelchem Ausmaß in Nie-
dersachsen nicht stattgefunden hat. „Von die-
sem Krebsschaden der östlichen Verhältnisse
blieb der Nordwesten verschont." (S. 427) im
8. Bande der Geschichte des deutschen Volkes
erzählt Janssen, wie es den Bauern auf
Rügen und Vorpommern noch bis in das
erste Drittel des 16. Jahrhunderts gut ge-
gangen hat; sie standen „im gebührlichen
Rechten und Wohlstand". Das änderte sich
aber bald infolge der Lehre der Reforma-
toren und der Juristen; so meinte der meck-
lenburgische Jurist Husanus: „Der Gutsherr
habe das unbedingte Recht, zu jeder Zeit die
leibeigenen Bauern aus ihren Höfen zu ver-
treiben und dann Bauernfeld zum Herrngut
zu ziehen". Das Bauernlegen d. h. das Ein-
ziehen der Bauernhöfe durch die Ritterschaft
hatte damals, also um 1550 herum bereits
 
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