ENTWICKLUNG UND UEBERGANG
bautechnik und künstlerische formsprache
Neue Aufgaben für die Architektur bilden sich im
allgemeinen zunächst aus dem, aus irgendwelchen
Gründen »geänderten Bedürfnis« heraus, — sei es
durch lediglich praktische, physische Zwecke, sei es
durch psychische Erfordernisse bedingt. Aus derartigen
Bedürfnissen ergeben sich die Bestandteile der neuen
Bau-Aufgaben, die neue Zwecksetzung für das Baupro-
gramm, bezw. die Abänderung oder Erweiterung des bis-
herigen, — ohne daß zunächst überhaupt eine veränderte
»ästhetische Idee« in Tätigkeit zu treten braucht.
★
Die Anfänge der Entwicklung einer neu auf treten-
den Raumgestaltung sind gleichzeitig Endglieder
von Entwicklungs-Reihen auf anderen Gebieten mensch-
lichen Seins, — oder sie können es zum mindesten sein.
Tritt ein derartig zweckhaft-praktisches Bedürfnis nach
neuer Raum-Gestaltung als »Endglied« irgendeiner kultu-
rellen Entwicklungs-Reihe auf, so ist die Erfüllung und
bestmögliche Befriedigung dieses neuen Bedürfnisses die
nächste Aufgabe der »Bau-Technik«. Zum Auftakt, zur
»Vorstufe« wird die technische Gestaltung und schließ-
liche Lösung der konstruktiven Bedingung der neu auf-
getretenen Aufgabe. . Die Formsprache aller technisch
nicht notwendig zu ändernden Teile des Bauwerks kann
hierbei vorerst durchaus die althergebrachte und ge-
wohnte bleiben, — und sie bleibt es auch zumeist in-
folge der vorwaltenden psychischen Beharrungs-Tendenz.
So können wir als das Merkmal eines »endogenen
Uberganges«, einer ersten »Stilphase« das Auftreten
neuer konstruktiver Gedanken und Versuche feststellen,
unter vorläufiger Beibehaltung bezw. »Anpassung« der
bisher gewohnten Schmuck- und Nebenformen, — mit
einem Wort: ein Beibehalten der bisherigen Formsprache.
*
Auch das umgekehrte Verhältnis tritt häufig ein:
daß nämlich die neueingeführte Formensprache sich zuerst
an ornamental-dekorativen Einzelheiten auswirkt, — als
an der bei oberflächlicher Betrachtung besonders in die
Augen springenden Stelle. In allen solchen Fällen handelt es
sich um »Übertragungen«,»Akkulturationen«, denen gegen-
über sich der eigene Formwille überall dort durch-
setzt, wo er konstruktiv am stärksten gebunden ist.
Äußerlichkeiten, Dekorationen sind am ersten spielerisch
»übertragbar«, da ihnen die richtige Stütze der »Stetig-
keit« fehlt, die in der praktischen Zweck-Erfüllung liegt.
*
Die neue Konstruktion, hervorgerufen durch das
neue Zweck-Bedürfnis, erzeugt — unter der Herrschaft des
ästhetischen Grundsatzes von der »Einheit in der Mannig-
faltigkeit« — allmählich eine neue, ihr entsprechende
Sprache auch der Schmuckformen, ja aller Einzelheiten;
denn eben aus dem angeführten Grundsatz heraus wohnen
der Konstruktion ebenso »formbildende« Prinzipien
inne, wie dem Baustoff selbst. Es vollzieht sich auf dieser
Entwicklungsstufe — unter der Wandlung der geschicht-
lichen Struktur des Bewußtseins von dem »Beharren« auf
die »Anpassung« hin — die Verschmelzung der
neuen Konstruktion mit der neuen Formsprache.
Der Zeitpunkt tritt ein, da die Bau-Aufgabe nach ihrer
technischen ebenso wie nach der formalen Seite hin ihrer
endgültigen Lösung — (der Idee nach) — zugeführt wird.
In der dieser Phase vorausgehenden »Frühzeit« er-
zeugt die Unausgeglichenheit zwischen Zweck und Idee,
zwischen Formsprache und Konstruktions-Bestrebungen,
einen Widerspruch, eine zutage tretende »Spannung«
der ästhetischen Reize, die allen hochstehenden Werken
solcher Frühzeiten ihren besonderen Wert verleiht. . . .
★
Bei der Entwicklung des jeweiligen architektonischen
Raum- und Formproblems von der »Frühzeit« bis zur
»Blüte« kann die Lösung zu einer vollendeten »Harmo-
nie« oder zu der »Unterordnung« des einen Prinzips
unter das andere führen. . Bei der harmonischen Ver-
einigung von Konstruktion und Dekoration, von Raum-
gestaltung und Formsprache erscheint das Bauwerk von
vollendet in sich ruhendem »Sein« erfüllt, es hat »klas-
sische« Gestaltung erhalten. . Bei der »Unterordnung«
des einen Elementes unter das andere scheint die Form
wie im Ringen mit der Konstruktion hervorgegangen.
Diese Lösung erweckt infolge des zur Herrschaft gelang-
ten Prinzips der Überordnung des konstruktiven Mo-
ments über das Dekorative, — also des Ausschlusses
des Gleichgewichts, der harmonisch-freien Entfaltung
beider, — in hohem Maße das Gefühl der »Aktivität«.
Das Ergebnis für den ästhetischen Eindruck der s o ent-
falteten Blüte ist nicht mehr der eines harmonisch in sich
ruhenden »Seins«, sondern der eines von — wenn auch
ästhetisch gebändigten — Disharmonien erfüllten Strebens,
eines von ewig ungestillter Sehnsucht nach Vollendung
erfüllten Lebens. . . . dr. leo adler, (»wesen der Baukunst« )
★
VOM WIRKUNGS-KREIS
A ls Naturerscheinung unter anderen löst jeder Mensch
_l \ mit Notwendigkeit spezifische Wirkungen aus —
im qualitativen wie quantitativen Verstände. Daß dem
so ist, erweist die eine Erfahrung, daß seine wahre
Wirklichkeit unter allen Umständen, trotz aller Absicht
und Vorspiegelung, über die dauernde Wirkung ent-
scheidet. . Jeder ist tatsächlich, was er »unwillkürlich« ist.
Jeder kann nur, was er unwillkürlich kann. Jeder wirkt
unwillkürlich seiner faktischen Eigenart gemäß.
★
Jeder Mensch hat einen »natürlichen Wirkungs-
kreis«, welcher nach Weite sowohl als Besonderheit der
jeweiligen »Eigenart« genau entspricht. . Der Mensch
allein kann die äußerste ihm erreichbare Wirkung aus-
üben, der seinen natürlichen Wirkungskreis exakt be-
bestimmt, d. h. seine Grenzen richtig erkennt und
als Natur-Tatsachen akzeptiert. Denn da er unter keinen
Umständen für die Dauer mehr erreicht, als »in ihm liegt«,
so helfen Einbildung und Absicht zu nichts.
★
Verstellung beschwört Widerstände. Wer lügt, ver-
zerrt oder verbiegt damit seine eigene Gestalt. . Dem
Wahrhaftigen und Aufrichtigen aber muß es auf die
Dauer glücken. Gewiß ist nicht Jedem Erfolg im üblichen
Sinn beschieden. Hat einer indes, den äußeren Möglich-
keiten entsprechend, nur ganz getan, was seine Erkennt-
nis als seine Bestimmung anerkannte, dann hat er
sein Schicksal erfüllt. . . Wille und Schicksal aber
sind im Tiefsten eins..... graf hermann Keyserling.
bautechnik und künstlerische formsprache
Neue Aufgaben für die Architektur bilden sich im
allgemeinen zunächst aus dem, aus irgendwelchen
Gründen »geänderten Bedürfnis« heraus, — sei es
durch lediglich praktische, physische Zwecke, sei es
durch psychische Erfordernisse bedingt. Aus derartigen
Bedürfnissen ergeben sich die Bestandteile der neuen
Bau-Aufgaben, die neue Zwecksetzung für das Baupro-
gramm, bezw. die Abänderung oder Erweiterung des bis-
herigen, — ohne daß zunächst überhaupt eine veränderte
»ästhetische Idee« in Tätigkeit zu treten braucht.
★
Die Anfänge der Entwicklung einer neu auf treten-
den Raumgestaltung sind gleichzeitig Endglieder
von Entwicklungs-Reihen auf anderen Gebieten mensch-
lichen Seins, — oder sie können es zum mindesten sein.
Tritt ein derartig zweckhaft-praktisches Bedürfnis nach
neuer Raum-Gestaltung als »Endglied« irgendeiner kultu-
rellen Entwicklungs-Reihe auf, so ist die Erfüllung und
bestmögliche Befriedigung dieses neuen Bedürfnisses die
nächste Aufgabe der »Bau-Technik«. Zum Auftakt, zur
»Vorstufe« wird die technische Gestaltung und schließ-
liche Lösung der konstruktiven Bedingung der neu auf-
getretenen Aufgabe. . Die Formsprache aller technisch
nicht notwendig zu ändernden Teile des Bauwerks kann
hierbei vorerst durchaus die althergebrachte und ge-
wohnte bleiben, — und sie bleibt es auch zumeist in-
folge der vorwaltenden psychischen Beharrungs-Tendenz.
So können wir als das Merkmal eines »endogenen
Uberganges«, einer ersten »Stilphase« das Auftreten
neuer konstruktiver Gedanken und Versuche feststellen,
unter vorläufiger Beibehaltung bezw. »Anpassung« der
bisher gewohnten Schmuck- und Nebenformen, — mit
einem Wort: ein Beibehalten der bisherigen Formsprache.
*
Auch das umgekehrte Verhältnis tritt häufig ein:
daß nämlich die neueingeführte Formensprache sich zuerst
an ornamental-dekorativen Einzelheiten auswirkt, — als
an der bei oberflächlicher Betrachtung besonders in die
Augen springenden Stelle. In allen solchen Fällen handelt es
sich um »Übertragungen«,»Akkulturationen«, denen gegen-
über sich der eigene Formwille überall dort durch-
setzt, wo er konstruktiv am stärksten gebunden ist.
Äußerlichkeiten, Dekorationen sind am ersten spielerisch
»übertragbar«, da ihnen die richtige Stütze der »Stetig-
keit« fehlt, die in der praktischen Zweck-Erfüllung liegt.
*
Die neue Konstruktion, hervorgerufen durch das
neue Zweck-Bedürfnis, erzeugt — unter der Herrschaft des
ästhetischen Grundsatzes von der »Einheit in der Mannig-
faltigkeit« — allmählich eine neue, ihr entsprechende
Sprache auch der Schmuckformen, ja aller Einzelheiten;
denn eben aus dem angeführten Grundsatz heraus wohnen
der Konstruktion ebenso »formbildende« Prinzipien
inne, wie dem Baustoff selbst. Es vollzieht sich auf dieser
Entwicklungsstufe — unter der Wandlung der geschicht-
lichen Struktur des Bewußtseins von dem »Beharren« auf
die »Anpassung« hin — die Verschmelzung der
neuen Konstruktion mit der neuen Formsprache.
Der Zeitpunkt tritt ein, da die Bau-Aufgabe nach ihrer
technischen ebenso wie nach der formalen Seite hin ihrer
endgültigen Lösung — (der Idee nach) — zugeführt wird.
In der dieser Phase vorausgehenden »Frühzeit« er-
zeugt die Unausgeglichenheit zwischen Zweck und Idee,
zwischen Formsprache und Konstruktions-Bestrebungen,
einen Widerspruch, eine zutage tretende »Spannung«
der ästhetischen Reize, die allen hochstehenden Werken
solcher Frühzeiten ihren besonderen Wert verleiht. . . .
★
Bei der Entwicklung des jeweiligen architektonischen
Raum- und Formproblems von der »Frühzeit« bis zur
»Blüte« kann die Lösung zu einer vollendeten »Harmo-
nie« oder zu der »Unterordnung« des einen Prinzips
unter das andere führen. . Bei der harmonischen Ver-
einigung von Konstruktion und Dekoration, von Raum-
gestaltung und Formsprache erscheint das Bauwerk von
vollendet in sich ruhendem »Sein« erfüllt, es hat »klas-
sische« Gestaltung erhalten. . Bei der »Unterordnung«
des einen Elementes unter das andere scheint die Form
wie im Ringen mit der Konstruktion hervorgegangen.
Diese Lösung erweckt infolge des zur Herrschaft gelang-
ten Prinzips der Überordnung des konstruktiven Mo-
ments über das Dekorative, — also des Ausschlusses
des Gleichgewichts, der harmonisch-freien Entfaltung
beider, — in hohem Maße das Gefühl der »Aktivität«.
Das Ergebnis für den ästhetischen Eindruck der s o ent-
falteten Blüte ist nicht mehr der eines harmonisch in sich
ruhenden »Seins«, sondern der eines von — wenn auch
ästhetisch gebändigten — Disharmonien erfüllten Strebens,
eines von ewig ungestillter Sehnsucht nach Vollendung
erfüllten Lebens. . . . dr. leo adler, (»wesen der Baukunst« )
★
VOM WIRKUNGS-KREIS
A ls Naturerscheinung unter anderen löst jeder Mensch
_l \ mit Notwendigkeit spezifische Wirkungen aus —
im qualitativen wie quantitativen Verstände. Daß dem
so ist, erweist die eine Erfahrung, daß seine wahre
Wirklichkeit unter allen Umständen, trotz aller Absicht
und Vorspiegelung, über die dauernde Wirkung ent-
scheidet. . Jeder ist tatsächlich, was er »unwillkürlich« ist.
Jeder kann nur, was er unwillkürlich kann. Jeder wirkt
unwillkürlich seiner faktischen Eigenart gemäß.
★
Jeder Mensch hat einen »natürlichen Wirkungs-
kreis«, welcher nach Weite sowohl als Besonderheit der
jeweiligen »Eigenart« genau entspricht. . Der Mensch
allein kann die äußerste ihm erreichbare Wirkung aus-
üben, der seinen natürlichen Wirkungskreis exakt be-
bestimmt, d. h. seine Grenzen richtig erkennt und
als Natur-Tatsachen akzeptiert. Denn da er unter keinen
Umständen für die Dauer mehr erreicht, als »in ihm liegt«,
so helfen Einbildung und Absicht zu nichts.
★
Verstellung beschwört Widerstände. Wer lügt, ver-
zerrt oder verbiegt damit seine eigene Gestalt. . Dem
Wahrhaftigen und Aufrichtigen aber muß es auf die
Dauer glücken. Gewiß ist nicht Jedem Erfolg im üblichen
Sinn beschieden. Hat einer indes, den äußeren Möglich-
keiten entsprechend, nur ganz getan, was seine Erkennt-
nis als seine Bestimmung anerkannte, dann hat er
sein Schicksal erfüllt. . . Wille und Schicksal aber
sind im Tiefsten eins..... graf hermann Keyserling.