Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0295
DOI Artikel:
May, Ernst: Das fröhliche Haus: bauen wir aus dem Geist der Zeit!
DOI Artikel:Hausenstein, Wilhelm: Beziehung zum Leben
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0295
INNEN-DEKORATION
julius 11rasek-w1en. fachkl. prof. strnad landhaus mit galerie. südfront. modell
DAS FRÖHLICHE HAUS
bauen wir aus dem geist der zeiti
In rasendem Fortschritt hat während des letzten hal-
ben Jahrhunderts die Technik früher als unüberwind-
lich geltende Hindernisse niedergezwungen, und tausend
andere Wunder, die wir heute nur ahnen, werden sich
erfüllen. . Aber immer noch umgibt sich der moderne
Mensch mit den geschwungenen Möbeln des Rokoko, dem
feierlichen Empire, dem melancholischen Biedermeier.
Der Fabrikant, der in seinem Streben nach vollkommen-
ster Rationalisierung der Arbeits-Vorgänge seines Be-
triebes mit der Stoppuhr die Bruchteile von Sekunden
messen läßt, die eine Arbeit erheischt, läßt sich auch heut-
zutage noch eine Villa im Stile einer Epoche errichten, in
der die Menschen sich in schwerfälligen Karossen auf die
Reise begaben. . Fort mit dieser Maskerade. Bauen
wir endlich aus dem Geiste unserer Zeit! . . . .
★
Erwägen wir weiter, daß im Menschen ein neues
Schönheits-Gefühl erwacht ist, das ihn den unge-
pflegten Körper verachten lehrt, ihn die Schulung und
Stählung des Leibes zur neuen Pflicht macht, so bedingt
all das letzten Endes Umwälzung des Wohnprogrammes
von Grund auf. . Fragt man eine schöne junge Frau, was sie
alles zur Stählung ihres Körpers, zur Ausbildung ihres
Geistes, zur Erhebung und zum Vergnügen tut, so be-
kommt man immer wieder die stereotype Antwort: »Ich
hätte ja so große Lust, — aber die Haus-Arbeit läßt
mich ja zu nichts kommen«! Und worin besteht die
Hausarbeit? Die Venus von Milo wird täglich hinten und
vorne, oben und unten abgestaubt, dann kommt das kost-
bare Porzellan, die Vasen auf den verschiedenen Etageren
und Vertikos, endlich die Galerie der Photographie-Rah-
men, Plüsch-Sofa und Sessel — und so geht es weiter.
★
Im völlig neuzeitlich eingerichteten Hause, mit
eingebauten Schränken usw. und mit rationell eingerich-
teter Küche ist die Hausfrau all dieser Schmerzen ent-
hoben. Dabei ist auch die »Perle des Hauses« stets
guter Dinge. Nach vollbrachter Arbeit schließt sie ihren
Kopfhörer an die Radio-Anlage an — und hört sich,
während sie an Hand des Kochbuches neue Probleme
wälzt, traurige oder lustige Weisen an.....ernst may.
★
»BEZIEHUNG ZUM LEBEN«
Stillosigkeit kann trotz reger Kunstpflege herrschen,
wenn eben jene Pflege des Künstlerischen »nur in
gehobenen Stunden« geschieht. Das Künstlerische
ist erst dann wahre Zweck-Erfüllung, wenn es in einer
glücklichen Beziehung zum Leben steht. Eine ama-
teurfreie Kunst ist überall da erreicht worden, wo die
Kunst die Funktion einer wohlorganisierten Gemeinschaft
war. Das formal Entscheidende ist immer: ob der Künst-
ler einer Gemeinschaft dient oder ausschließlich der Ver-
mittler individueller Genüsse ist. . Wilhelm hausenstein.
1927.VII. 3.
julius 11rasek-w1en. fachkl. prof. strnad landhaus mit galerie. südfront. modell
DAS FRÖHLICHE HAUS
bauen wir aus dem geist der zeiti
In rasendem Fortschritt hat während des letzten hal-
ben Jahrhunderts die Technik früher als unüberwind-
lich geltende Hindernisse niedergezwungen, und tausend
andere Wunder, die wir heute nur ahnen, werden sich
erfüllen. . Aber immer noch umgibt sich der moderne
Mensch mit den geschwungenen Möbeln des Rokoko, dem
feierlichen Empire, dem melancholischen Biedermeier.
Der Fabrikant, der in seinem Streben nach vollkommen-
ster Rationalisierung der Arbeits-Vorgänge seines Be-
triebes mit der Stoppuhr die Bruchteile von Sekunden
messen läßt, die eine Arbeit erheischt, läßt sich auch heut-
zutage noch eine Villa im Stile einer Epoche errichten, in
der die Menschen sich in schwerfälligen Karossen auf die
Reise begaben. . Fort mit dieser Maskerade. Bauen
wir endlich aus dem Geiste unserer Zeit! . . . .
★
Erwägen wir weiter, daß im Menschen ein neues
Schönheits-Gefühl erwacht ist, das ihn den unge-
pflegten Körper verachten lehrt, ihn die Schulung und
Stählung des Leibes zur neuen Pflicht macht, so bedingt
all das letzten Endes Umwälzung des Wohnprogrammes
von Grund auf. . Fragt man eine schöne junge Frau, was sie
alles zur Stählung ihres Körpers, zur Ausbildung ihres
Geistes, zur Erhebung und zum Vergnügen tut, so be-
kommt man immer wieder die stereotype Antwort: »Ich
hätte ja so große Lust, — aber die Haus-Arbeit läßt
mich ja zu nichts kommen«! Und worin besteht die
Hausarbeit? Die Venus von Milo wird täglich hinten und
vorne, oben und unten abgestaubt, dann kommt das kost-
bare Porzellan, die Vasen auf den verschiedenen Etageren
und Vertikos, endlich die Galerie der Photographie-Rah-
men, Plüsch-Sofa und Sessel — und so geht es weiter.
★
Im völlig neuzeitlich eingerichteten Hause, mit
eingebauten Schränken usw. und mit rationell eingerich-
teter Küche ist die Hausfrau all dieser Schmerzen ent-
hoben. Dabei ist auch die »Perle des Hauses« stets
guter Dinge. Nach vollbrachter Arbeit schließt sie ihren
Kopfhörer an die Radio-Anlage an — und hört sich,
während sie an Hand des Kochbuches neue Probleme
wälzt, traurige oder lustige Weisen an.....ernst may.
★
»BEZIEHUNG ZUM LEBEN«
Stillosigkeit kann trotz reger Kunstpflege herrschen,
wenn eben jene Pflege des Künstlerischen »nur in
gehobenen Stunden« geschieht. Das Künstlerische
ist erst dann wahre Zweck-Erfüllung, wenn es in einer
glücklichen Beziehung zum Leben steht. Eine ama-
teurfreie Kunst ist überall da erreicht worden, wo die
Kunst die Funktion einer wohlorganisierten Gemeinschaft
war. Das formal Entscheidende ist immer: ob der Künst-
ler einer Gemeinschaft dient oder ausschließlich der Ver-
mittler individueller Genüsse ist. . Wilhelm hausenstein.
1927.VII. 3.