Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0422
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Ritter, Heinrich: Ueber den Geschmack
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INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT MAX WIEDERANDERS IN MÜNCHEN SCHRANK. NUSS U. AHORN. AUSFÜHRUNG: J. WOLF
UEBER DEN GESCHMACK
Geschmackvoll« will sagen, daß einem Menschen voll«, weil es neue, eigene Maßstäbe mit sich bringt und
oder einem Werk die Qualität »Geschmack« als infolgedessen zunächst nicht jenes gelöste, sinnliche Be-
erhöhende, wertgebende Eigenschaft innewohnt. . »Ge- hagen spendet, das sich bei Festhaltung gewohnter Ord-
schmacklich« will sagen, daß sich die Qualität »Ge- nungen einstellt. . Geschmack betrifft bloß die eine, die
schmack« in unterstrichener, betonter Weise vordrängt; formale und die sinnliche Seite des Menschenlebens. Wer
es enthält schon ein leises Aburteil. . »Geschmäck- tiefer bei sich selbst und anderen aufmerkt, wird diese
lerisch« endlich will sagen, daß ein Mensch mit dem Spannung zwischen dem Geschmack und der eigentlichen,
Wert »Geschmack« unziemlichen Mißbrauch treibt, daß tieferen Lebenswirklichkeit an vielen Punkten wahr-
er geschmackliche Gesichtspunkte da anwendet, wo sie nehmen. Hier enthüllt sich, daß Geschmack nie etwas
nicht hingehören, daß er mit ihnen ernstlos und falsch anderes als eine Qualität zweiten Ranges sein kann und
verfährt. . Geschmack kommt von »schmecken« und be- darf. Geschmack hat nur da das Wort, wo es auf Ord-
zeichnet »Wohlgeschmack«, also ein Lustgefühl, das sich nung, Haltung, Einfügung, Gebärde ankommt. Das eigent-
an alles anhängen kann, was Menschen hervorbringen, an liehe, das stiftende und gründende Leben steht auf der
das Kunstwerk, an Wohnung und Kleidung, an Auftreten anderen Seite, und nie darf sich das Geschmackliche an
undHandeln, an Denk-und Sinnesweise. Geschmack ist dessenStelle setzen wollen. Das führt immer zu teils lächer-
in allem, was sich gewissen bestehenden Maßstäben ge- liehen, teils grotesken, teils abstoßendenUberschneidungen.
horsam anpaßt und daher als wohllautend, als sinnlich an- An der ihm zukommenden Stelle steht der Geschmack
genehm empfunden wird. Daher ist ja auch das eigent- nur dann, wenn er einem erfüllten seelisch-geistigen Leben
lieh Produktive, das schöpferisch Neue selten »geschmäck- die edle, formvolle Gebärde verleiht. . Heinrich ritter.
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT MAX WIEDERANDERS IN MÜNCHEN SCHRANK. NUSS U. AHORN. AUSFÜHRUNG: J. WOLF
UEBER DEN GESCHMACK
Geschmackvoll« will sagen, daß einem Menschen voll«, weil es neue, eigene Maßstäbe mit sich bringt und
oder einem Werk die Qualität »Geschmack« als infolgedessen zunächst nicht jenes gelöste, sinnliche Be-
erhöhende, wertgebende Eigenschaft innewohnt. . »Ge- hagen spendet, das sich bei Festhaltung gewohnter Ord-
schmacklich« will sagen, daß sich die Qualität »Ge- nungen einstellt. . Geschmack betrifft bloß die eine, die
schmack« in unterstrichener, betonter Weise vordrängt; formale und die sinnliche Seite des Menschenlebens. Wer
es enthält schon ein leises Aburteil. . »Geschmäck- tiefer bei sich selbst und anderen aufmerkt, wird diese
lerisch« endlich will sagen, daß ein Mensch mit dem Spannung zwischen dem Geschmack und der eigentlichen,
Wert »Geschmack« unziemlichen Mißbrauch treibt, daß tieferen Lebenswirklichkeit an vielen Punkten wahr-
er geschmackliche Gesichtspunkte da anwendet, wo sie nehmen. Hier enthüllt sich, daß Geschmack nie etwas
nicht hingehören, daß er mit ihnen ernstlos und falsch anderes als eine Qualität zweiten Ranges sein kann und
verfährt. . Geschmack kommt von »schmecken« und be- darf. Geschmack hat nur da das Wort, wo es auf Ord-
zeichnet »Wohlgeschmack«, also ein Lustgefühl, das sich nung, Haltung, Einfügung, Gebärde ankommt. Das eigent-
an alles anhängen kann, was Menschen hervorbringen, an liehe, das stiftende und gründende Leben steht auf der
das Kunstwerk, an Wohnung und Kleidung, an Auftreten anderen Seite, und nie darf sich das Geschmackliche an
undHandeln, an Denk-und Sinnesweise. Geschmack ist dessenStelle setzen wollen. Das führt immer zu teils lächer-
in allem, was sich gewissen bestehenden Maßstäben ge- liehen, teils grotesken, teils abstoßendenUberschneidungen.
horsam anpaßt und daher als wohllautend, als sinnlich an- An der ihm zukommenden Stelle steht der Geschmack
genehm empfunden wird. Daher ist ja auch das eigent- nur dann, wenn er einem erfüllten seelisch-geistigen Leben
lieh Produktive, das schöpferisch Neue selten »geschmäck- die edle, formvolle Gebärde verleiht. . Heinrich ritter.