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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 7 (Juli 1927)
DOI article:
Könitzer, Paul: Allerlei Problematik aus dem Zeichen- und Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0200

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ües Vefühls, des Erlebnilses, Linsiimmen in die
Arbeit, Freimachen der Phankasie, ein Weg zum
Sichselbstvergessen, zum hemmungslosen Gestalten,
zum Schaffen, das Leben, das Flietzen meiner Un-
lerrichtsarbeit, das Hinuntertauchen in den Urgrund
der eigenen Seele. bch lrönnte diese Probleme auch
die Brennpllnlrte, die Sammelpunlrte unserer Arbeit
im Zeichensaal nennen. Sie erhaiten mich frisch,
sie sind die Wärmeguelle für unsere gemeinsame
Arbeik, sie bewahren meine Schülec vor üem
Schenra, vor schulspiejzeriger Verfiachung, die ich
am meisten fürchte und hasse. Wie lrommen sie htn-
ein in die Unterrichtsarbeitr Slehen sie im Leyrplan,
find sie wohlgeordnet über die 2ahresarbeit verteilt?
üa und auch nein. 2a, sie hängen mit dem Unter-
richtsstoff zusammen, üer planmäjzig auf die einzel-
nen Stufen verteilt ist, nein, üenn sie ergeben sich
erst aus einem glüclrlichen Moment der Arbeit, ganz
ungewollk, ich möchte diesen Moment die augen-
blickliche lrünstlerische Atmosphäre des Unterrichts
nennen, die rpeder an bestimmt festgelegten Zeiten,
noch an eine beskiinmke AlterS- oüer Klassenstufe
gebunden ist. Sie sinü also plötzlich da, die Arbeit
wirft sie selbst zwischen uns. Ein Schüler, der ent-
wedec durch öie Originalität seiner 2dee oüer durch
starlre formale Kraft zum Führer aller andern wicd,
gibt sie uns. Sie sind da. Ein lrritischer Vergleich
üer Gesamtleistungen einer Klasse zeigt uns, da ist
einer, vieileicht sind's auch zwei, drei, vier oder noch
mehr, die fallen mit ihren gesteigerten Leistungen
aus dem Gejamkrahmen sehr lrlar und sehr augen-
fällig heraus. Alle sehen das, da brauchl man den
Einzelnen nicht ersl zark oder unzarl darauf zu sto-
hen. 2unge Menschen haben schon ein feineä Emp-
finden füi Qualität, für Originalität des Gedankens.
Da ist einer, üer zeigt mit seinen Leistungen weit
voraus, der reijzt den andern die dicke Binde von
den Augen, der öffnet schnell alle feine Pförtchen
zur Gefllhlsguelle der eigenen Persönlichkeit. Was
Belehrung nuc sehr selten, vielieicht nie vermag, die
Quelle fließt, das innere Ohr ist geöffnet, die Auf-
nahmefähiglreit ist da, die Unterrichtsarbeit wird zum
Erlebnis, der Zeichenlehrer vermag ohne Mühe die
Fäden zu lrnüpfen, üie von heute auf gestern führen,
vielleicht auch von heute auf morgen, von der Ge-
skaltung Jugendlicher zur Kraftäuberung der Mei-
ster der Farbe und üer Form, hln zu den Bahnbre-
chern auf dem Gebiet lrünstlerischer Produlrtion. 2n
einer Obersekunda war es. Es ging um das Ordnen
gegenständlicher Formen in der Fläche, um den Zri'-
sammenlrlang des Formalen und des Farbigen mit
dem Näunrlichen. 2eder hatte einige Gegenstände,
üie sein besonderes Wohlgefallen erregten, fllr die
es für ihn vielleicht auch einen inneren geistigen Zu-
sammenhang gab, vor sich hingestellt, nicht zusam-
mengestellt, so elwa wie man sonstwo die Dinge
zum Slilleben zusammenstellte, nein ja nicht. 2ch
hasse dieses Wort Skilleben, es läuft^mir immer ein
kalter Schauer über den Äücken, wenn ich's höre,
ich mujz dann immer an eine Zeit denken, wo ich
noch Lehrling in Künstlers Werkstalt war, wo zur
Trompeke immer die weisze Notenrolle und der Lor-
beerzweig, zur Kaffeeknsse immer die Schrippe, zum
Bierglas immer die Tabakspfeife zusammengelegt
werden mrchte. Nein, so etwas mag ich nicht, das
>st geiskiger Bankerott, das wären bequeme Zeichen-

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saalrezepte, deren Erfolg nur die künstlerische Ber-
blödung sein mützte. Wie habe ich mlch gefreut, als
einmal ein bekannter Berliner Maler in einer gro-
jzen Kunstausstellung diese Sorte von SLillebenkunst
gründlichst verhöhntel Sein Bild zeigte wahllos zu-
jammengeworfenes Gerümpel neben dem Müll-
kasten. Das nannte er Stilleben. Ls wäre völlig
widertjnnig, das Ordnen der Gegenstände archerhalb
der Äildfläche vorzunehmen, das lrann und darf nur
innerhalb der Bildfläche vorgenommen werden und
ist damit zu einem Hauptteil dec Gestaltung gewor-
den. Nur so entsteht das Bild, nämlich ein Organis-
mus mit durchaus eigenen Wachstumsgesetzen. Wir
sollten uns sreuen, wenn die Schüler die grotesken
Dinge zum Ailde ordnen und damit ihren gesunden
Humoc zeigen. Wir liönnen gar nicht starlr genug
ankämpfen gegen jene weinseligen, spietzerigen Alte-
lantenstilleben, die man heute vielfach noch als
schauerliche Hausgreuel hängen sieht. 2ch habe im-
mer beobachtet, datz bei diesem Ocdnen der Bildteile
innerhalb der Bildfläche sich ganz von selbst die ryth-
mische Ordnung einstellt, wenn der Lehrer jede Be-
lehrung dabei unierlätzt, mit der er nur Hemmungen
in den natürlichen Berlauf des Gestaltungsprozesses
hineinbringen würde. Schon durch das Befühlen der
Augen entlang der rein äutzeren Form der einzelnen
Bildteile und noch mehr durch üie dem Zeichnen
cigentümlichen Handbewegüngen bei der bildhafken
Wiedergabe der Form werden jene Schwingungen
im Blut des Schaffenden erzeugt, die wir in ihrem
geordneten Ausschiag als Rhythmus bezeichnen. Sie
entstehen im Unterbewutztsein, in ihrer Auswirkung
liegt etwas Zwingendes, etwas Hypnotisches, im
Anfang liegt zugleich der Fortgang und auch das
Ende. So fügt sich auf üer Bildfläche Form an
Form, eine Formlogik oer Gestaltung. Die Linie
wird zum Formelement und zum Bindemittel aller
Einzeiteile der Aildfläche. So erhält sie beim Zu-
sammenbinden der Bildmassen ihre hohe primäre
Bedeutung für den Bilüaufbau und bleibt sekun-
därer Wert beim Bilden der Einzelformen.

Die rhythmische Ordnung aller Bildteile bedingt
an sich schon ihre grötzere oder aeringere rein for-
male Umwerkung je nach Begabung oder persön-
licher Einstellung des Schlllers. Dieler Amwer-
lungsprozetz verjrärkt und differenziert sich aber noch
eindrucksvoller, sobald die Farbe als Gestaltungs-
faktor hinzutritt. Und gerade darum ging es dies-
mal in üer Obersekunda. Ein Bergleich der abge-
schlosienen Arbeiten untereinander zeigte höchst per-
sönliche Farbenempfinüungen, zwei Arbeiten aber
waren geradezu ein Problem, das sofort höchst will-
kommen aufgegriffen und zum Mittelpunkt gegen-
seitiger Aussprache und eines längeren Meinungs-
austausches gemacht wurde. Es lag der Fall vor,
datz diese beiden Schüler die Eigenfarbe der darge-
stellten Gegenstände beim farbigen Aufbau ihres
Bildes völlig unberücksjchtigt gelassen hatten. Sie
hatten damit elne starn persönliche Farbenkomposi-
tion gegeben, die in ihren Zusammenklängen eine
durchaus märchenhaft-dramatische Stimmung aus-
löste. Die Farbe war enlinaterialisiert worden, Franz
Marcs blauen Pferde wurden lebendig., Wir hat-
len nun eine willkommene Gelegenheit, das ganze
Farbenproblem in seiner Bielgestaltigkeit sowoyl
nach seiner materiellen Seite, als auch vom Stand-
 
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