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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 10 (Oktober 1927)
DOI article:
Kolb, Gustav: Einige Worte zu den Vorträgen, [2]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0253

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und politischen Strömuuc,en der verschiedenen Zeiten
nicht völliii eulziehen lmnn, ohne lebensfremd zu
merden, wle könnte dnnn eln Ankerrichk, der immcr
mehr Kunslunkerricht sein und werden wollke, sich
von den jeweils wirkenden luinstlerischen Lebens-
krnfken — die Kunsl ist jn der getreueste Spiegel
des Lebens — nbsperren, ohne zu vertrocknenl Ge-
wiß isk nuch: Le slnrker die künstlerische Lebenskraft
eines Kunsklehrers Ist, desko mehr wird ihn der klinst-
lerische Llkem seiner Zeit durchslrömen.

Und üoch geht es nicht an, alle Wandlungen und
auch nlie Errungenschnften und Forkschrikke unseres
Arbeilsgebiekes auf diesen einen Nenner zu bringen.

Nevolutionen glbt es auf dem Gebiet der Erzie-
hung nicht. Neformen kommen im Schulleben nichk
plöhlich. Sle sind immer lange schon vorbereiiek,
wenigstens in der Theorie vorbereiket, ehe sie sich
in der Schulprapis auszuwirken beginnen. Solche
Lehrer, die nichk in Verbindung mik der Enkwicklung
ihreS ArbeikSgebietes und namenklich auch mit den
LebenSkrclfken ihrer Zeik stehen, überfällt das
Neue dann wie dcr Dieb in der Nachk, und sie hal-
tcn das, was im langsamen organischen Werden ent-
standen war, notwendig enkskehen mußke, für eine
Umstürznng des „guken bewährten Alken".

Der heutige Zeichen- und Kunskunterrichk hat zwei
Wurzelni eine p s y ch o l o g i s ch e und eine k ü n sk -
lerische. Und zwar ist die psychologische die ur-
sprünglichere und skärkere; aus ihr ermächst auch
die künstlerische, insofern die enkscheidenden künst-
lerischen Fragen des bildhaften Gestalkens zuglelch
auch psychvlogische Fragen sind.

Die heuke maszgebenden psychologischen Grund-
lagen unseres Arbeiksgebiekes wurden aber, ohne
Beziehung auf jeweilige Kunstskrömungen, als Er-
gebnisse allgemein-erziehlicher Erwägungen und Er-
kennknisse nach und nnch heransgearbeiket. Wir
werden dns bestätigk finden, wenn wir die Haupt-
stnliouen der Geschichke des Zeichenuukerrichts seit
ä. 2. N o u s s e a u, der, abgesehen von Comenius,
dieses Bildungsmikkel erskmals syskemakisch dem Er-
zichungsplnn einfügte, an uns vorüberziehen lassen.

ckn ErziehungSplan Nousseaus dient das Zeichnen
zunächst der Schärfuug der Sinne. „Emil" soll es
pflegen, um ein sicheres Auge und eine gewandte
Hand zu bekommen. Diese Sinnenbildung dient aber
der Geistesbildung. „Emil" soll sich durch eigene
Arbeik klare Vorskellungen von den Dingen seiner
llmgebung erwerben. Deshalb wlrd nichk nach Vor-
lagen, wie damals üblich, gezeichnek, sondern un-
milkelbar uach der Nakur: „Nur kein Nachahmen
von Nachahmungen!" Künstlerische Ziele verfolgte
N. uicht. Diese Aufgabe mnszke ihm, der die Kunst.
uud die Wissenschafken als die gröszken Feinde des
Menschen belrachkeke, verborgen bleiben. Für
ihn gab eS kein Gedächlniszeichnen und noch weniger
ein Phankasiezeichnen: „Die schlimmste Feindin des
Glückes isk die Phanknsie". Lln eine nakurgemäsze
Enkwickluug der kindlichen Vildsprache dachke er
uichk. liedenfalls halke er, der seine Kinder ins Findel-
haus gab, niemalS Gelegenheit, Kinder bei ihren
eigcnlricbigen zeichnerischen Verslichen-zu beobachten.
Sousk hätke er, der Prophek der Nakur, unbedingt
auf den nakurgemäszen Weg des Zeichenunterrichts
in unserem Sinne kommen müssen. Denn niemand
hak cs vor ihm klarer erkannk und ausgesprochen,

dajz man dem „Trieb freie Bahn geben", dasz man
die Natur walten lassen und Achkung vor dem Ent-
wlcklungscharakter des Kindes haben, den Skufen-
gang der Enkwicklung einhalten müsse. — „Nichts
verfrühen! Hintanhalken!" — „liedes Lebensalter hat
seine eigene Vollkommenheit, selne Reife, die ihm
entspricht, seine Schönheik."

Diese psychologischen Erkenntnisse, die für die Be-
gründung des neuzeitlichen Zeichen- und Kunstunter-
richts so wichtig wurden, hat dann Pestalozzi
noch entschiedener herausgearbeiket.

Er gah dem Begriff „Anschauung" einen neuen
und kieferen Sinn. Anschauung Ist nicht nur äuszere
Wahrnehmung, sondern inneres' Schauen, das, ge-
fühlSbetonk, zur Aktivität drängt. Er stellke inS
Lichk: über den Grundbegriffen Work und Zahl steht
der Vegriff Form, der der älteske und sinnfälligste
ist, dem die beiden nnderen untergeordnet sein müs-
sen. Er, der selbsk nichk zeichnen konnke, hat seine
Schüler, nach dem Urteil von Augenzeugen, im
Zeichnen auf eine unbegreifliche Weise geförderk.
Zedenfalls kannte er die freien Zeichenversuche der
Kinder sehr genau, sonst häkle er es nichk so klar
aussprechen können, worauf wir uns gründen: Der
Trieb zum Zeichnen lst dem Kinde eingeboren.
Das Kind, vom Selbskkrieb der Kräfte, die in ihm
liegen, gedrungen, fängt mik dem Gebrauche der
vielseikigen Kräfte seiner Sinne und Glieder, die
seiner Tätigkeit zur Kunst entsprechen, vonselbst
a n. Die Anfangspunkte mllssen nokwendig in einer
naturgemäszen Enkfnlkung der dem Kinde
innewohnenden Krafk gesuchk werden.

Die Enksalkung der schöpferischen Kräfke mu^ der
Enkwicklung des Kindes folgen. Das Kind geht in
seinem eigenkriebigen Gestalten in lelbständiger Frei-
heit vornn. Die nachhelfende Vildung inusz dieser
freien Täkigkeit des ungebildeken Kunstsinnes nlchk
voraneilen. Die vornehmske Aufgabe des Lebrers
isk es, dem Kind Gelegenheik, Anregung und Miktel
zu geben zur S e l b st entfaltung seiner nakurkrieb-
hafk in ihm wirkenden Geskaltungskräfte. Das ist
Peskalozzi'sche Gesinnung.

Für ihn hakte das Zeichnen noch einen höheren
Vildungs- unü Erziehungswert als für Nousseau:
Das Kind gewinnk dadurch „ein durch nickks zu er-
sehendes Äu s d r u ck s m i tk el", sein Sinn für
Ordnung, Zarmonie, für Schönheit in Nakur und
Kunsk wird geweckt. Es gewinnk also durch eigenes
Schaffen die Grundlagen und Elemenke der Kunsk-
bildung.

P. erstrebke schon eine Kunskerziehung, die den
ganzen Menschen ersaszte und auch seinen Wil-
len und seine gesamken sikklichen Kräfke stärkt und
emporziehk.

Wie nahe stehk er uns mik diesen Erkennknissen!
Er fand, auf sich selbst geskellt, mlt nachkwandlerischer
Sicherheik den Weg, den wir nach langen lörrfahr-
ken ersk heuke wiedergefunden haben. Von seinen
Unkerrichksversuchen im Zeichnen sagt er: „Es war
eigentlich ein Pulsgreifen der Kunst, die ich suckte
— ein ungeheurer Griff: ein Sehender häkke ihn
nicht gewagk. llch war zum Glück blind, sonst häkke
ich ihn auch nichk gewagk." Er hatke auch schon er-
kannt, dasz das Kind dle großen Menschheiksschrikke
der geistigen Enkwicklung aus sich heraus wieder-
holk, obwohl von einer wlssenschafkllchen Erkenntnis
 
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