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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Franz Marc
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 7. 10. November 1916

Die Kunsichrouik und der Kunstmarki erscneinen am hreitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zeilschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

FRANZ MARC

In den Räumen des »Sturm« in Berlin ist eine
Gedächtnisausstellung für den im März des Jahres ge-
fallenen Maler Franz Marc veranstaltet worden. Es ist
nicht die große Gedächtnisausstellung, die wohl an anderer
Stelle geplant ist. Aber zusammen mit den oft sich
wiederholenden Ausstellungen, die an der gleichen
Stelle zu sehen waren, — der Katalog zählt deren neun
im Laufe von nur fünf Jahren — ermöglicht sie doch
einen hinreichenden Überblick über das Schaffen des
jung Verstorbenen. Wir haben vor einem halben Jahr
die Nekrologe gelesen, die mit seltener Einmütigkeit
die Bedeutung von Marcs Kunst anerkannten. Auch
aus dem »anderen Lager« vernahm man Worte, die
von einem Eindruck Zeugnis legten, dem sich selbst
die Gegner nicht ganz zu entziehen vermochten. Es
sprach eine Persönlichkeit aus dem Werke, es war ein
eigener Klang in ihm, ein Rhythmus der Formen, ein
Leuchten der Farben von weithin eindringlicher Wirkung,
eine neue und nur diesem Einen eigentümliche Bild-
gestaltung, die auch sonst unempfängliche Augen leicht
in ihren Bann zog. Man kannte Marc, wenn man nur
ein oder zwei Bilder seiner Hand gesehen hatte. Seine
Form prägte sich ein, und sein Name wurde zum In-
begriff eines Stiles.

Marcs Schaffen an dieser Stelle aufs neue in Worten
zu umschreiben, wäre aus diesem Grunde überflüssiges
Bemühen, und es erübrigt sich doppelt, nachdem
Ernst Benkard in einem ausführlichen Aufsatz der
»Zeitschrift für bildende Kunst« eindringende Ana-
lysen einer Reihe typischer Werke des Künstlers ge-
geben hat. Aber es bleibt die letzte Folgerung zu
ziehen, es bleibt die endgültig wesentliche Frage zu
stellen nach dem bleibenden Wert und der künstlerischen
Bedeutsamkeit dieses Schaffens, dessen Art und Sinn
unschwer zu fassen und zu umreißen war. Gehört
Marc wirklich zu den Wenigen, Begnadeten, die in vor-
bildlichem Schaffen einer Epoche die Wege weisen,
oder bleibt seine Schöpfung eine im letzten Grunde
abwegige Sonderform? Das ist die Frage, die wir
stellen müssen, der wir Antwort suchen, unbeirrt durch
das harte Schicksal, das den Künstler in der Blüte der
Jahre dahinraffte.

Drei Stufen lassen sich in Marcs Schaffen unter-
scheiden. Sonnige, in ihrer blassen Farbigkeit allzu
körperlose Landschaften mit Tieren, Rehen und Kühen
und Pferden stehen am Anfang. Unvermittelt folgen
die starkfarbigen Tierbilder mit ihren eigenwillig rhyth-
misierten Formen, die den besonderen Ruf des Malers
begründet haben. Und am Schluß stehen Versuche
einer Umstilisierung in das kubistische System mit zu-
weilen deutlichen Anklängen an Kandinskys Pinsel-

spiele. Dieser Weg, der in verhältnismäßig kurzer Zeit
durchmessen wurde, ist nicht eben geeignet, von vorn-
herein Vertrauen zu erwecken. Wir wissen, wie die
Meister begonnen haben, Renoir und Cezanne, Lieber-
mann und Münch, um nur ein paar Namen zu nennen.
Auch sie waren Schüler und mußten sich frei machen
aus einer Tradition, um ihren eigenen Stil zu bilden.
Aber schon in der fremden Sprache offenbarte sich
die überragende Persönlichkeit, spürte man die ge-
waltige Faust. Und man hat umgekehrt ein Recht
zum Mißtrauen gegenüber dem frühreifen Eklektiker
Picasso wie dem harmlosen, fast dilettantischen Illustrator
Kandinsky. So will es auch schwerlich einleuchten,
daß aus dem matten Nachfolger Heinrich Zügels ein
schöpferischer Geist, ein Reformator der Kunst sich
entwickeln sollte.

Die blauen Pferde, die gelben Kühe, die roten
Hunde, und wie die Bilder des neuen Marc sonst heißen
mögen, geben jedem Zweifel Recht. Die freie Linie
wird zum gebundenen Ornament. Die blasse Farbe
wandelt sich in volle Töne, die Fleckentechnik wird
abgelöst durch einen breitflächigen Auftrag. Aber
was gewonnen wurde, ist nicht ein Bild, sondern eine
Dekoration. Der Rhythmus ist leicht faßlich wie ein
gewöhnlicher Reim. Die Farbe steht unverarbeitet auf
der Fläche, und sie leuchtet als Materie wie die Gläser
einer farbigen Laterne, wie das stechende Licht eines
bunten Projektionsbildes. Es. ist ein neuer »Jugendstil«,
nicht allzu weit entfernt von dem alten des einst ebenso
beliebten Christiansen. Vergleiche mit Münchener
Malerei, die vor l o Jahren modern war, drängen sich
auf. Man denkt an Fritz Erlers großfigurige Deko-
rationen, und verfolgt man den Gedanken, so wird
man sich mit einiger Verwunderung bewußt, wie gut
ihrer künstlerischen Gesinnung und Tendenz nach die
Tierbilder Franz Marcs in einen Saal der Münchener
»Scholle« passen würden.

So bleibt der dritte Marc endlich, der die »Tier-
schicksale« gemalt hat, den »Mandrill« und die »Vögel«
und das »Bild mit Rindern«. Der Weg ist klar. Von
den wesentlich zeichnerisch stilisierten Bildern, die mit
großen Konturen und farbig zugestrichenen Flächen
arbeiten, galt es zu einer in allen Teilen gleichförmigen
Durchbildung zu gelangen, wie die Lehre der Kubisten
sie als Forderung aufstellte. Die frei laufenden Kurven
werden gebrochen. Der Raum wird mit Flächenteilen,
die sich gegen- und ineinander schieben, gefüllt. Es
braucht hier nicht vom Wesen oder Unwesen der ku-
bistischen Bildformel gesprochen zu werden, da Marc
sie nicht schafft, sondern als fertiges Gebilde über-
nimmt und nur mit sichtlichem Bemühen seine alte
Zeichnung in das neue Schema zwingt. Restlos gelingt
es ihm nicht. Es bleiben immer noch unverarbeitete
 
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