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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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Kunstgeschichte und Weltkrieg
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVIII. Jahrgang 1916/1917 Nr. 10. 1. Dezember 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und Augusi nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. IIa.
Abonnenten der Zettschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

KUNSTGESCHICHTE UND WELTKRIEG

Neben Wölfflin, dem großen Formalisten des Äs-
thetischen, tritt als zweite bedeutende Persönlichkeit unter
den Kunsthistorikern unserer Zeit Strzygowski immer
deutlicher als Erforscher des Innenlebens (Inhaltes) in der
Kunst auf. Ob die so liebenswürdig vorgebrachte Bitte,
die Ricarda Huch in ihrer ausgezeichneten, menschlich
sympathischen Kritik des letzten Wölf Hinsehen Buches
(Neue Rundschau juniheft) an den Meister der formalen
Kunstbetrachtung gerichtet hat, doch auch einmal den
letzten Schritt zu tun und seiner formgeschichtlichen
Kunstbetrachtung eine geistesgeschichtliche folgen zu
lassen, an die richtige Adresse gerichtet war, wird uns
die nächste Zeit wohl lehren. Daß sie, und zwar
in weitaus größerem Umfang als dem angeforderten
und gewohnten, von anderer Seite erfüllt werden dürfte,
läßt Strzygowskis neueste Schrift ahnen1). In größerem
Umfang, denn die Grenzen sind viel weiter gesteckt.
Die westeuropäischen Kulturländer mit Italien an der
Spitze werden nicht mehr allein, und von der Welt-
geschichte losgelöst für sich betrachtet werden, sondern
die Völker werden an ihren Wurzeln angefaßt und
von ihren Anfängen her auf ihre künstlerische Wesen-
heit hin verfolgt und beobachtet werden. Der Krieg
hat bekanntlich auf die Gemeinde der romanistischen
Kunsthistoriker die sonderbare aber bezeichnende Wir-
kung ausgeübt, daß man vom verräterischen Italien
unter Krokodilstränen endgültig Abschied nahm. Auf die
naheliegende Antwort nach der künftigen Beschäftigung
empfahl man die noch immer zu sehr vernachlässigte
Erforschung der deutschen Kunst größerer Beachtung.
Niemand wohl nahm diesen Abschied und die auf
seiner Basis trotzig aufgestellten guten Vorsätze so
tiefernst, wie sie im ersten Zorn vielleicht wirklich ge-
meint waren. Gesetzt jedoch sie würden von nach-
haltiger Wirkung sein, kehrte dann die deutsche Kunst-
forschung nicht ganz im Widerspruch mit der deutschen
Zukunftspolitik in jene engen Heimatswälle zurück,
deren Durchbrechung dieser Krieg gilt? — Nun rächte
sich an unserem zünftigen kunstgeschichtlichen Betriebe
die Engherzigeit, und man wußte nichts Besseres als
sich bieder in den deutschen Schmollwinkel zurück-
zuziehen. Daß es, selbst unter den Kunsthistorikern,
nicht jedermanns Sache ist, sich mit einer ausschließ-
lichen Heimkunstforschung zu bescheiden, wurde bei
dieser Paroleausgabe übersehen. —

Dieser kleinmütigen Heimkehr gegenüber wirkt
Strzygowskis »Kunst des Ostens« wahrhaft befreiend!
Auf das knappste wissenschaftliche Beweismaterial sich

1) Die Kunst des Ostens von Hofrat Prof. Dr. Josef
Strzygowski; Bibliothek des Ostens, bei Dr. Werner Klink-
hardt, Leipzig. 1,50 Mark.

beschränkend, ist das Bändchen eine Kriegsschrift im
besten Sinne des Wortes, die auf unsere älteste künst-
lerische Vergangenheit zurückweist und auf Grund
ihrer einstigen Wege dem Deutschen seinen künftigen
Weg zu weisen sucht. In der Tat! Vollzieht sich in
der deutschen, im Schlagwort Berlin-Bagdad gipfelnden
Weltpolitik von heute nicht eine, wenn auch axial
etwas anders orientierte, Parallelerscheinung zu jenem
ältesten halb vorhistorischen Zug der Indogermanen
aus dem Nordosten Europas über den Kaukasus quer
durch den westasiatischen Kontinent nach Indien? Ist
es daher nicht heute mehr denn je unsere Pflicht, die
Spuren, die jene große historische Bewegung hinter-
lassen hat, zu verfolgen?

Die entwicklungsgeschichtliche Übersicht über die
Kunst des Ostens ist hier dem Zwecke der Schrift
entsprechend nur mit wenigen kräftigen Strichen skizziert.
Die Beweisführung für die neuen darin ausgesprochenen
Behauptungen werden erst künftig erscheinende Ar-
beiten des Verfassers, zunächst ein Buch »Altai Iran
und die Völkerwanderung«, dann ein großangelegtes
Werk über die christlichen Baudenkmäler Armeniens
bringen. Die Kritik wird daher erst dann einsetzen
können. Einzelne Hypothesen, wie z. B. die Zuweisung
der Schöpfung des ostiranischen Kuppelhauses an den
arischen Stamm der Saken werden dann Gelegenheit
zur Diskussion geben. Aber diese Einzelheiten sind
nicht von einschneidender Wichtigkeit für das Gesamt-
resultat, dem man heute schon unbedingt und erfreut
zustimmen muß. Erfreut über die Tiefe der Kon-
zeption, die Neuheit der Gesichtspunkte, die Kühnheit
des Aufbaues und über die Weite des Blickes, der
hier herrscht.

Der Hinweis auf die beiden großen Achsen natur-
völkischer Ornamentik, der arischen und der ural-
altaischen, als auf die zwei wichtigsten Generatoren
der gesamten eurasischen Ornamentik des Mittelalters
wird für eine Klärung der verwickelten Probleme dieser
Mischkunst grundlegend bleiben. Was die Aufstellung
von so großzügigen Thesen bedeuten und an müh-
samer langjähriger Detailarbeit und Materialkenntnis
voraussetzen, weiß nur der, der sich selbst damit be-
schäftigt. In zahlreichen Spezialstudien hat Strzygowski
sich in jahrzehntelanger Arbeit bis zu dieser Klarheit
des Blickes durchgerungen, ohne sich durch die stets
von neuem einsetzenden, oft bis zu beleidigenden
Schmähungen ausartenden Widersprüche kurzsichtiger
Besserwisser in der Verfolgung seines intuitiv erfaßten
Zieles anfechten zu lassen. Die große Verbreitung
und das Wesen der indogermanischen Kunst, die sich
mit der Völkerwanderung über Südeuropa bis Spanien
verbreitete, hat bereits A. Haupt in seiner »Baukunst
der Germanen« in klarer und eindringlicher Weise
 
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