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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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263

Literatur

264

Wundervoll menschlich wird uns in einigen großen
/ Etappen der Verlauf der europäischen Kunstgeschichts-
schreibung vorgeführt. Vasari, Winckelmann, Schnaase,
Burckhardt, Riegl heißen ihm die Entwicklungsgelenke.
Vasari gründet die erste Hauptform, von der C. van
Mander, Sandrart, Houbraken, Roger de Piles, Tiraboschi,
Lanzi nur als Variationen genommen werden. Dieser ganze
Typus geht von den Bedürfnissen der Künstlerschaft aus
und ist meist von Künstlern selbst geschrieben. Er orien-
tiert unter Ausschaltung des Mittelalters an der Renaissance
als absolutem Höhepunkt. Er gibt Einzelkünstlergeschichte
mit solidarischer Standesruhmbegierde. Das Unberechen-
bare im Spiel der Leidenschaften ist hier Agens der Ge-
schichte. Zugleich verfolgt man einen praktisch-pädago-
gischen Zweck, hat menschlich den Begriff des Cortigiano,
künstlerisch den entsprechenden des absoluten Könnens
hinter sich. Theoretische Traktate werden angefügt.

Nach eindringlicher Darlegung der inneren Verfassung
gibt uns Heidrich warm den bleibenden Sinn jener Geistes-
lage zu spüren, indem er in einer plötzlichen Wendung
von Riegl her gegen dessen sublime Problemgeschichte
die andersartigen Werte einer vielseitigen Anschauungslust
hervorkehrt, samt ihrer skrupellosen Anekdotenschreiberei.

Dann wird die strenge Gestalt Winckelmanns hoch
aufgerichtet. Ihm versinkt der Einzelkünstler vor der
großen Ahnung einer Gesamtheit und ihrer Abwandlung.
Die Werke werden jetzt zurückbezogen auf eine in sich
geschlossene Geistigkeit, die sich in ihnen Gestalt gibt.
Damit erst ist der Begriff des Stiles eingeführt. Es
schwindet das nur kennerhafte Interesse am Objekt,
indem es zu dem aufkeimenden Humanitätsideal in Ver-
bindung tritt. Eine Gesetzlichkeit von Anstieg, Höhe und
Verfall wird zusammenschließend in die Abwandlung dieses
Geistigen eingeführt. Die dafür nötige Distanz ist möglich
aus einem feierlichenGefühl unüberbrückbarer Ferne. Wieder
wird aufgezeigt, was hier an Kategorien erobert wurde,
mit denen wir noch heute arbeiten. Wieweit das anti-
kisierende Ethos der Zeit aber dahin führte, mehr Ideal
und »Lehrgebäude« als Geschichte zu geben, wird als
Schranke aufgewiesen, ebenso der rationalistische, kon-
struierte Begriff des Nationalen und seiner Wandlung.

Der dritte Aufsatz gibt zunächst Schnaase. Er legt
dar, wo dieser den Begriff der allgemeinen Geistigkeit, aus
der ein Stil erwachse, im Sinne der Romantik neu durch-
dringt und wie erst jetzt die Vorstellung der nationalen
Stile durchfühlter herauskommen konnte. An Stelle des
astronomisch - naturwissenschaftlichen Kalküls tritt eine
intuitivere Erfassung der Lebenseinheiten, das religiöse
Moment wird als tiefste Schicht des jeweils formenden
Wollens eingeführt. Die große Entdeckung des deutschen
Mittelalters, der niederländischen, ägyptischen, indischen
Kunst bringen nun erst die Vorstellung einer Welt-
geschichte. Weitspannende Systemtendenzen im Sinne
Hegels geben hierin Stütze. Auch da zieht Heidrich die
Grenzen von Schnaases Zeit und Persönlichkeit, die in
einer oft allzu schnell erschlossenen Geistes- statt Kunst-
geschichte und deren eiligen Verknüpfungen gesehen
werden. Auch wird gesagt, wie in Schnaases Welt-
geschichte andererseits der Auseinanderfall von Material-
Sammlungen und tiefsinnigen Gesamtbetrachtungen immer
wieder bemerkbar ist. Hierzu mag aber mitgeteilt sein,
daß Heidrich unter den besprochenen Forschern die
bleibendste Verehrung gerade für Schnaase in sich trug.
Heidrichs Hindurchgehen durch die Lebensarbeit Burck-
hardts, Riegls und die Schulung Wölfflins hatten ihn selbst-
verständlich in eine bildnahere, augenkräftigere Lage ge-

bracht. Innerhalb dieser ganz neuen Stellung zur Kunst-
form aber fühlte er soweit im Sinne Schnaases, als auch
ihm Religiosität sein letzter Untergrund war, und ein
bewußtes Streben nach Geistesgeschichle ihn jenem
verwandt machte.

Auf der Folie Schnaases schildert er schließlich Burck-
hardt als den ersten, der jene neue Sinnlichkeit und Empirie
gegen die Romantiker und Hegel für unsere Wissenschaft
hatte heraufführen helfen. Das Unmittelbare, Nüchterne
dieses Geistes wird gegeben, der die aufgestellten Tat-
sachen, die Kunstwerke für sich selber sprechen läßt, ohne
den verdunkelnden Hintergrund metaphysischer Welt-
anschauungskonstruktionen zu gebrauchen. Die Direktheit
wird klar, mit der er drastische Werturteile in die
Rechnung einzustellen wagt, der saftigere Genuß des
Kunstwerks, das ihm nicht nur ein Stück Entwicklungs-
geschichte, sondern merkwürdig Gegenwart ist. Heidrich
zeigt, wie sich vor solches Auffassungsorgan die Renaissance
als Inhalt schiebt, die menschliche Funktion, die sie für den
gesunden Menschenverstand habe, dann die keimende Ein-
sicht in das Barock, schließlich die freundliche Grenze all
dieser Forschung in einem unverbindlichen Liebhabertum.

So schließt sich der Kreis, indem auf isolierender,
exakterer Erkenntnisstufe doch wieder eine ursprüngliche
Beweglichkeit der Problemstellungen erstanden ist, an der
Heidrich so viel gelegen war. Warum ihm diese ge-
wichtiger erschien als die Geschlossenheit begrifflicher
Systematisierung, zeigt der Aufsatz, in dem er sich bei
Analyse von Jantzens Niederländischem Architekturbild gegen
Riegl absetzt. Damit aber ist der geschichtliche Boden ver-
lassen und es entsteht ein Programm. Für die Erkenntnis
der Ziele, die Heidrich der Kunstgeschichte steckte, ist
dieser Aufsatz um so wichtiger, als er zu seinen letzten
Äußerungen gehört und eine Art Testament geworden ist.

Es wird anerkannt, welch unerhörte Disziplinierung
durch die Beziehung des gesamten Materials auf feste Be-
obachtungspunkte erreicht wurde, welch logische Ge-
schlossenheit und wissenschaftliche Gewalt der Aufbau
einer Kunstgeschichte hier überhaupt erst gewonnen hat.
Dann meint Heidrich aber, wie die Einheit des Gesichts-
punktes auch Anschauungsenge zur Folge habe, wie von
vielen selbständigen Faktoren etwa der des Raumes alles
absorbiere, wie das Vorgefaßte, das jedem Begriffe an-
haften mag, zu sehr in den Vordergrund tritt, ein gewisser
Schematismus der Kategorien einsetze, auf die hin man
alles abhöre. Daß hier eine fast mathematisch-naturwissen-
schaftliche Strenge mit der irrationalen Geistigkeit des
Objektes in Zwiespalt kommen müsse, die als die jeweilige
Haltung nur mehrseitig umschrieben und zergliedert, nicht
deduziert werden kann. Als Gefahr wird auch die Aus-
schaltung des Qualitätsbegriffes empfunden und die Folgen
dessen bis in die Gliederung der Epochen verfolgt. Die
Zeitlosigkeit des Wandels, die den Begriff der realen Ge-
samtkonstellation umgehe, wird kritisiert und schließlich
der geschichtliche Verlauf als eine Denknotwendigkeit
wieder im Geiste Hegels, als eine denknotwendige Folge
sich abwickelnder Formen angesehen. So schließt sich in
gewissem Sinn auch hier ein Kreis.

Die wenigen Worte, die hier gedrängt den Inhalt der
gewichtigen Schrift andeuten wollen, können keine Vor-
stellung geben von dem Reichtum ihrer Probleme und der
tiefen Vorsicht, mit der sie zerlegt werden. Es ist er-
schütternd zu sehen, wie Heidrich unter den vielen
Wegen der Kunstgeschichte furchtlos den unüberseh-
barsten, komplexesten betrat. Er wäre ihn heldenhaft zu
Ende geschritten. f. Roh.

Inhalt: Neuerwerbungen des Ryksmuseums tu Amsterdam. Von M. D. H — Leo von König. Von Qlaser. — Das Pettenkofenwerk des öster-
reichischen Unterrichtsministeriums. Von Hans Hetze. — Personalien. — Wettbewerb für einen Zierbrunnen in Mittweida. — Ausstellungen
in Dresden und Frankfurt a. M. — Zuweisungen an das Kupferstichkabinett der Berliner Museen. — Neues Kriegswerk von Hermann
Struck. — Ernst Heidrich, Beiträge zur Geschichte und Methode der Kunstgeschichte.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o. m. b. h., Leipzig
 
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