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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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315

Vereine —

Literatur

316

VEREINE

* Der Dresdner Museumsverein veröffentlicht soeben
seinen Jahresbericht für 1916. Er hatte zu Anfang des
Berichtsjahres 254 Mitglieder, am Schlüsse 239, darunter
10 auf Lebenszeit. Die Einnahmen betrugen] 30 924 M. 30 Pf.,
die Ausgaben 27854 M. 20 Pf., das Vermögen belief sich
am Schlüsse des Jahres auf 96070 M. 35 Pf. Angekauft
wurden: für die Kgl. Gemäldegalerie das Bildnis des General-
feldmarschalls von Hindenburg von Prof. Hugo Vogel
(das im Verlag von E. A. Seemann.in farbiger Nachbildung
erschienen ist),-für das Kgl. Kupferstichkabinett zu Dresden
vier seltene Blätter von Max Klinger: Sehnsucht, Pax,
Verleger-Fest im Palmengarten zu Leipzig und Bildnis
des Geheimrats Lamprecht in Leipzig, zwei Steindrucke
von Otto Greiner: die Bildnisse von Max Klinger und
Prof. Meurer, von Emil Orlik: das große Bildnis Johann
Sebastian Bachs, weiter eine kostbare Gewandstudie in
Wasserfarben von Anselm Feuerbach, Blätter von Eugen
Kirchner, Heine Rath und Karl Köpping, für die Kgl.
Porzellansammlung zwei Altmeißner Standleuchter und für
die Kgl. Skulpturensammlung das prachtvolle Standbild eines
Somalinegers von Georg Kolbe in Berlin, das in diesem Jahr
in Bronze ausgeführt und soeben in der Dresdner Samm-
lung aufgestellt worden ist.

LITERATUR

Otto Grautoff, Nicolas Poussin. München 1914, Georg
Müller. 2 Bände.

Die Vorrede des Werkes, das nach dem Prospekt in
dem Jahr erscheinen sollte, das auf dem Titelblatt ange-
geben ist, trägt das Datum »Paris im Januar 1914«; aus-
gegeben ist es erst zwei Jahre später. Die größten welt-
geschichtlichen Ereignisse sind dazwischen getreten und
haben verursacht, daß Grautoffs Buch_so viel später vor-
gelegt wird, als das Werk von Walter Friedländer, das ich
vor längerer Zeit an dieser Stelle anzeigen durfte (Kunst-
chronik vom 9. Juli 1915, Sp. 499).

Es liegt nahe, damit zu beginnen, daß man die Unter-
schiede_beider Arbeiten ins Auge faßt. Sie sind sehr be-
trächtlich, ja sie könnten kaum größer sein: denn die Ab-
sichten der Autoren waren abweichenden Zielen zugewandt;
der Boden, auf dem sie fußen, die Vorbildung, die sie
mitbrachten, mußte die Fragestellung entscheidend beein-
flussen. Friedländer gab seinem Buch den Untertitel: Die
Entwicklung seiner Kunst, und stellte damit als seine Ab-
sicht hin, eine Synthese des Poussinschen Stiles zu geben.
In einer neuerdings erschienenen, ausgezeichneten Be-
sprechung des Buches1) hat Hans Tietze ausführlich darge-
legt, wie sich F. selbst durch seine rein auf entwicklungs-
geschichtliche Interpretation eingestellte Betrachtung die
Aufgabe erschwert hat. Grautoff dagegen bietet den Ver-
such einer umfassenden Biographie Poussins, in der jede
irgend brauchbare Nachricht, jede zu beachtende Beziehung
berücksichtigt ist; in dieses äußere Gerüst sind auch die
einzelnen Werke mit anerkennenswertem Streben nach Voll-
ständigkeit eingefügt, während die synthetische Betrachtungs-
weise mehr zurücktritt.

Nicht minder verschieden der Schauplatz, auf dem sie
bei der Abfassung ihrer Bücher standen, und, darin be-
gründet, das Verhältnis zum Thema. Ich durfte es als
einen glücklichen Umstand bezeichnen, daß Friedländer
sich eines langen Aufenthaltes in Rom hatte erfreuen dürfen,
und daß er sich in früheren Arbeiten mit römischen Kunst-
denkmälern befaßt hatte; Grautoff hingegen hat nicht minder

1) Repertorium 39, 1916, S. 186 ff.

lange seinen Wohnsitz in Paris gehabt, er war von der
geistigen Atmosphäre umgeben, die,'um alles französische
Kunstwollen schwebt; und wichtiger noch: im Louvre
hatte er dauernd jene unvergleichliche Serie von Werken
des Meisters vor Augen, welche aller Vernachlässigung
ungeachtet (nach der in französischen Kunstkreisen allge-
mein rezipierten Anschauung, die die.behutsame.Reinigung
eines alten Bildes als ein Sakrileg betrachtet) die einzige
Gelegenheit bietet, seine künstlerische Persönlichkeit in
allen Phasen zu überschauen. Die hier gewonnene Kennt-
nis zu erweitern hat er keine Mühe gescheut und ist allen,
auch den entlegensten Werken in ganz Europa nachge-
gangen; mangelnde Autopsie braucht.'er nur invereinzelten
Fällen anzugeben. In dieser Hinsicht ist er de'm Verfasser
jenes andern Werks überlegen, der in Rom selbst nur eine
sehr beschränkte Zahl Poussinscher Originale vor sich hatte.

Aber auch andere Neigung und Anlage hat/eme starke
Verschiedenheit der beiden^ Arbeiten verursacht. Ist der
eine Autor ein rein auf bildende Kunst eingestellter Fach-
gelehrter mit der unter den Jüngeren vorherrschenden
Neigung verallgemeinernd zusammenfassen, so spürt man
bei Grautoff, daß er in engen Beziehungen zur Literatur
steht, daß seine Anschauungen in der Welt moderner fran-
zösischer Schriftsteller sich gebildet hatten. Daß er viel
von gallischer Kultur in sich_aufgenommen hat und daher
ein besonderes Verständnis für ein Milieu besitzt, das solange
sein Eigenes war, gibt dem Buch besonderen Reiz. Es ist
gewiß nicht zufällig, daß den m. E. gelungensten Abschnitt
das Kapitel bildet, das »Poussin in Paris« überschrieben ist.

Indem ich aber bei dem Vergleich beider Arbeiten noch
etwas verweile, muß ich eines auffälligen Umstandes ge-
denken, der starke Bedenken hervorzurufen geeignet ist, —
nämlich die bedeutenden Abweichungen in der chronologi-
schen Anordnung der Werke Poussins. Gewiß muß man
berücksichtigen, wie wenige unter der.beträchtlichen Zahl fest
datiert2) oder auch nur einigermaßen sicher datierbar sind
(mehr natürlich in der späteren Zeit mit der relativ reichen
Korrespondenz des Meisters); man darf hier an Poussins
eigenen Ausspruch erinnern, daß er je nach dem Gegen-
stand die Technik wechsele: immerhin sollte man meinen,
es träfe auch auf ihn die Erfahrung zu, die man sonst bei
dem Studium der künstlerischen Entwicklung des Indivi-
duums macht, daß es in einer bestimmten Periode, bewußt
oder unbewußt, eine gewisse nur dieser eigentümliche Art
des Ausdrucks entwickelt, die dem Stilkritiker bei seiner
Arbeit das sicherste Hilfsmittel ist. Aber, wie gesagt, es
herrscht zwischen beiden Büchern in dieser Hinsicht nicht
nur keine Übereinstimmung, eher das gerade Gegenteil;
Gruppen, die.dieser bildet, sind bei^jenem auseinanderge-
rissen, Frühwerke des einen gelten dem andern als Werke
der Reifezeit und umgekehrt. Während Grautoff das hin-
reißende Bild mit »Narzissus und Echo« im Louvre, das
Böcklin inspiriert hat, unter die frühesten Werke reiht, wo-
bei es offen bleibt, ob es nicht unter Marinos Einfluß noch
in Paris gemalt worden sei, weist Friedländer dem Bild
seinen Platz in jener Gruppe frührömischer Werke an, die
unter dem Eindruck der Tizianischen Bacchanale entstanden
ist. Eine andere Schöpfung, die Grautoff für früh, aus der
römischen Zeit, hält, den an Raffael inspirierten »Parnaß«
in Madrid, findet man bei Friedländer unter den Werken
der mittleren Periode, gut zehn bis fünfzehn Jahre später,
angesetzt. Kaum minder groß die Abweichung in der Da-
tierung des »Bethlehemitischen Kindermords« in Chantilly.
Umgekehrt erscheint der »Raub der Sabinerinnen« des

2) Soviel ich sehe, hat Poussin selbst nur zwei Bilder
datiert, die »Anbetung der Könige« in Dresden (1633) und
sein Selbstbildnis in Paris (1656).
 
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