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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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317

Literatur

318

Louvre bei Friedländer als Arbeit der »frührömischen«
Periode Poussins um 1630, während Grautoff sie dicht an
das Ende des ersten römischen Aufenthalts, also in die
letzten dreißiger Jahre setzt; eine ähnliche Meinungsver-
schiedenheit herrscht bezüglich des »Reiches der Flora« in
Dresden. Beispiele, die sich nach Belieben vermehren ließen.

Indem ich das Abbildungsmaterial, das Grautoff mit
dankenswerter Vollständigkeit bietet1) (wo direkte Abbil-
dungen nicht zu erhalten waren, teilt er graphische Wieder-
gaben mit; man bemerkt ganz wenige Lücken, meist nur
dort, wo die Engherzigkeit des Besitzers die Reproduktion
nicht gestattete), zu wiederholten Malen und immer wieder
durchging, habe ich doch hier und da gegen seine chrono-
logischen Ansätze Bedenken nicht unterdrücken können.
Einen eklatanten Fall merkte ich oben an, er betrifft das
Bild mit »Echo und Narziß«, das unmöglich der vor-
römischen oder auch selbst der allerfrühesten römischen
Periode angehören kann. Das Bild hat seine nächsten
Verwandten an der »Jugend des Bacchus« in Chantilly
(hier die gleiche, lässig gelagerte Nymphe) und dem »Bac-
chanal« des Louvre (Grautoff Nr. 24 und 25). Ebenso scheint
mir der »Triumph Davids« in Madrid (Nr. 9) zu früh an-
gesetzt; das Bild möchte am richtigsten in die Nähe von
der »Inspiration des Anakreon« in Hannover (Nr. 42) zu
setzen sein, wie man den »Narzissus» (Nr. 2) lieber mit
»Rinaldo und Armida« (Nr. 60) zusammengestellt sehen,
als am Anfang von Poussins Tätigkeit finden würde. Aus-
stellungen, die schwer beweisbar, aber vom Gefühl für
Gleichwertigkeit künstlerischer Einstellung geboten sind.
Selten dagegen wird man von dem Verfasser in Echtheitsfragen
abweichen (sind ja doch zum Glück so viele Bilder durch
sehr früh beginnende Tradition beglaubigt); überrascht nur
hat mich der leise Zweifel, der durch die Worte hindurch-
klingt, die Grautoff der »Inspiration des Dichters« im Louvre
widmet (S. 150). Mir und andern erschien dieses Werk
nicht nur als ein so unbestreitbares Werk Poussins, daß
es eines Beweises nicht bedurfte, sondern als seine viel-
leicht schönste und gereifteste Leistung. Daß es äußer-
lich weniger gut beglaubigt ist als zahlreiche andere Ar-
beiten, kann man ruhig in Kauf nehmen.

In dankenswerter'Bemühung gibt Verfasser auch eine
Liste von Bildern (II, S. 260 ff.), die er glaubt als zweifel-
haft oder falsch bezeichnen zu müssen. Soweit Abbildungs-
material vorliegt, wird man ihm gern beipflichten, wenn
er auch in seiner Kritik nicht immer der Qualität der be-
treffenden Stücke gerecht wird. So will ich ihm gern
glauben, wo er das Existenzbild der Galerie Colonna
(II, S. 281) dem Poussin abspricht; aber daß es »eine mä-
ßige Nachahmung oder eine schlechte Kopie ist«, darin hat
er diesem schönen Werk gegenüber gewiß unrecht. Eben-
so irrt er, glaube ich, in seiner Beurteilung des >Bacchanals«
bei Cavendish-Bentinck in London (I, S. 167; II, S. 266).
Das Bild ist gewiß kein Hauptwerk Poussins, als welches
es in London ausgegeben wurde, aber ebensowenig ent-
stammt es dem Pinsel eines italienisierenden Nordländers.
Der Abbildung nach zu urteilen gehört es dem geistvollen
Carpioni an.

Aber das alles betrifft nur Einzelheiten; es sind Rand-
bemerkungen, wie man sie bei der Durchsicht eines Buches
macht; sie treffen nicht die Leistung im Ganzen. Hier

1) Daß es fast durchgängig zu schwarz und oft recht
unsauber gedruckt ist, wird man den technischen Schwierig-
keiten der gegenwärtigen Zeit zuschreiben müssen. Leider
sind dadurch einzelne Abbildungen völlig mißglückt, z. B.
das Martyrium des Erasmus in Rom oder die Landschaft
mit Polyphem in der Eremitage. Man vergleiche die ent-
sprechenden Abbildungen des Friedländerschen Buches.

kann man nicht übersehen, wie sehr sich der Verfasser
gemüht hat, einer jeden Äußerung des künstlerischen
Schaffens seines Helden nachzugehen, und wie er oft mit
treffendem Wort fein empfindend den Gehalt eines Werkes
umschreibt. Am glücklichsten wohl in dem zusammen-
fassenden Abschnitt über die Landschaften; als besonders
gelungen mag hier die Beschreibung des »Frühlings« im
Louvre (S. 284) hervorgehoben sein.

In einzelnen Exkursen hat Verfasser noch besondere
Poussin - Fragen abgehandelt. Die ersten betreffen die
Quellen, Geburt und Familie, Heimat und Jugendzeit. Die
vierte ist Poussins erstem LehrerVarin gewidmet, die fünfte
gibt ein paar Notizen über das Paris, in das er als Jüng-
ling eintrat. Im nächsten werden die Malereien im Schloß
Mornay besprochen; dann folgt ein Exkurs über des Malers
frühesten Gönner, den Dichter Marino2). »Das Problem
der Antike im 17. Jahrhundert«, »Die Fremdenkolonie in
Rom um 1624«, »Poussins Handzeichnungen zu Leonardos
Traktat«, »Poussin und das Barock«, »Paris in seiner Wir-
kung auf Poussin«, »Poussins Kunsttheorien« sind die Titel
der folgenden Exkurse, denen sich zuletzt der »Versuch
einer Bibliographie« anreiht. Ich gebe diese nüchterne
Aufzählung deswegen, um anzudeuten, wieviele Fragen,
die Poussin, aber auch im weiteren Sinne das Seicento
überhaupt angehen, von Grautoff in den Kreis seiner Stu-
dien einbezogen worden sind.

Das abschließende Buch über Poussin hat er freilich
nicht geschrieben. Er haftet noch zu sehr am Stoff, an-
statt über ihm zu stehen, müht sich mit Datierungsfragen
und gelangt darüber nicht zu einer klaren Synthese der
Kunst seines Meisters. Wo Friedländer des Guten zu viel
tut, tut Grautoff nicht genug. Man wird das eine Buch
so wenig wie das andere missen wollen. Gronau.

Josef Strzygowski, Altai-Iran und Völkerwanderung. Mit
229 Abb. und 10 Tafeln. Leipzig, J. C. Hinrichs.

Dies neueste, allerdings lange vorbereitete Werk
Strzygowskis dürfte als sein bis jetzt wichtigstes be-
zeichnet werden. Insofern, als es die Schlußfolgerungen
aus allen seinen früheren und einer Reihe abschließender
Arbeiten zieht und so die heute von ihm gewonnenen An-
schauungen darstellt, die zugleich die einer besonderen
Gruppe von Forschern bedeuten. Denn Strzygowskis Ge-
folgschaft — wenn vielleicht nicht die ganz unmittelbare —
ist bedeutend, und seine bisherigen wissenschaftlichen
Leistungen sind so umfassend und wichtig, daß sie eine
neue Entwicklungsstufe wenigstens auf dem Gebiete der
Erforschung der Völkerwanderungskunst bedeuten. —

Man darf nun sagen, daß in der Tat die immer weiter
nach Osten zu geschlagenen Kreise der Forschung des Ge-
nannten jetzt endlich zu einem gewissen Grenzwalle ge-
kommen scheinen. Er gelangt wirklich bis an die in-
dische und chinesische Grenze; den eigentlichen Endwall
bilden jedoch die türkischen Völker des Altai; Armenien,
Iran, anderseits selbst Sibirien bis zum Jenissei und Zen-
tralasien haben in der Hauptsache für diesmal den Stoff
hergeben müssen, nicht ohne zahlreiche Blicke in die Nach-
bargebiete bis nach Nordafrika hinzuzulassen.

Den eigentlichen Ausgang nimmt Sirzygowski hier
von gewissen auffallenden ornamentalen Erscheinungen,
die seit J. Hampels »Altertümern des frühen Mittelalters
in Ungarn« gar manchen beschäftigten und fremdartig genug
unter den vorwiegend germanischen oder südeuropäischen
Gestaltungsformen jener Metallarbeiten hervorstechen.

2) Der ausführliche Aufsatz von Moschetti über Ma-
rino und Poussin (Rom 1913) scheint dem Verfasser un-
bekannt geblieben zu sein.
 
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