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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 28.1917

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319

Literaftir — Vermischtes

320

Ganz von selbst schienen uns da im Lande der Hunnen
verschiedenartige nomadische Wellen gebrandet zu haben,
während manches andere direkt auf spätere islamische uns
wohlbekannte Ornamentbildungen hinwies.

Der Verfasser hat es sich nun zur Aufgabe gestellt,
das Hineinfluten der Wandervölker vom Altai her in die
vorwiegend arischen Völkermassen gegen das Mittelmeer
hin zu erfassen und ihre Wirkungen auszusondern. Mannig-
faltigste Bewegungen trafen da aufeinander, sich mischend
oder aufschäumend; ältere, selbst vergessene Völkergruppen,
die Saken, ihre Nachfolger die Parther, anderseits die
eigentlichen Jranier werden wenigstens in ihren Ein- und
Nachwirkungen zu verfolgen gesucht.

Freilich ist das Bild dieses Völkergewirres ein noch
sehr unruhiges und undurchsichtiges; oft mußte es beim
Hineintasten und Hineinleuchten bleiben. Wirklich klare
Scheidung geht da weit über die Kräfte eines Einzelnen.
Generationen von Forschern werden nötig sein, ehe eine
solche in den Hauptzügen einigermaßen sicher erreicht
wird. Immerhin ist das kühne Wollen des Verfassers,
der ja seit Jahrzehnten sich durch unentwegtes Anfassen
gerade der schwierigsten Fragen dieses Gebietes hervor-
tut, als ein erster Forschungszug durch das bisher so gut
als unbekannte Gesamtgebiet hindurch dankbar zu be-
grüßen. Einzelvorstöße gab es ja schon eine Reihe, doch
nur von den Grenzen her. —

Es ist durchaus zu verstehen und anzuerkennen, daß
dieser Zug von einer bestimmten Stelle aus, — von einem
bestimmten Gegenstande her, sagen wir besser — unter-
nommen wurde. Ein albanischer Schatzfund, heute —
leider! — bei Morgan, hat den Ausgangspunkt gebildet.
In seinen Einzelheiten fanden sich unter bekannten Formen
auch eine Reihe fremder, neben persischen insbesondere
türkische und allgemein nomadische. Es wird nun versucht,
diese auszusondern; man schreitet ins Weitere, fügt Ver-
wandtes hinzu, und so gelangte Strzygowski schließlich zu
in der Tat grundlegenden Anhaltspunkten für die Zukunft;
sein Vorgehen erstreckt sich naturgemäß dann auf die
Werke der Folgezeit auch in anderen Stoffen, in Holz, Stein
Stuck, auf die Entwicklung bekannter islamischer Einzel-
heiten aus jenen nomadischen — schließlich auf die Bau-
kunst in ihren größten Aufgaben.

Von besonderer Bedeutung scheint es mir, daß Strzy-
gowski zunächst hier zwischen Ariern und Nomaden —
anderseits Semiten — zu unterscheiden und jedem seine
Kunstgebiete zuzuweisen sucht, und daß er, wenn auch
die Hauptabsicht seiner Arbeit auf die Entthronung der
bisher alles bedeutenden Mittelmeerkunst gerichtet ist,
schließlich auch zu den nordischen Germanen und ihren
Einflußkreisen gelangt und ihnen doch nicht unwichtige
Gebiete und Wirkungen zuweist. Freilich, von der altge-
pflegten Grundidee, alles Gute stamme schließlich doch
aus dem Osten, auch das, was wir als spezifisch nord-
germanisch ansehen, kann er sich immer noch nicht völlig
trennen; immerhin stellt er öfters die Frage auf, ob nicht
ähnliche Gestaltungen bei verwandten Völkergruppen un-
abhängig voneinander entstehen könnten. Daß dies sogar
zum Teil eine innere Notwendigkeit ist, dürfte inzwischen
sich doch erwiesen befinden. So beruht die eigentümliche
Zierweise der »überspinnenden« Ornamente im Norden
(Osebergschiff) ganz ohne Zweifel auf uralter gut ger-
manischer Uberlieferung — insbesondere auf keramischer.
Man denke nur an den Tiefstich der Bronzezeit (Rössen)

— an die Sternberger Schüsseln (Stuttgart) und dergl. mehr.
Auch an die Kleinmusterung altnordischer Metallsachen in
Dreiecken und Ringen.

Was die wohl zu früh datierten Stuckarbeiten von
Deir-es-Surjani anlangt, so möchte ich auf ihre Verwandt-
schaft mit spanisch-maurischer Kunstart hinweisen, die ihre
Folgeerscheinungen und Richtung vortrefflich kennzeichnet.
(Sta. Maria la Bianca zu Toledo.)

Nicht minder ist der »Schrägschnilt« Strzygowskis ein-
fach eine überall gegebene technische Notwendigkeit, wo
es sich um Guß- oder Eindruckformen handelt; er hat an
sich nichts formal Bedeutsames, entwickelt sich dagegen
auf verschiedenen Gebieten zu solchem. Der germanische
Kerb» oder Kristallschnitt ist ein ganz selbständiges Schmuck-
gebiet für sich, mit dem sicher der »Schrägschnitt« sibirischer
und innerasiatischer Bildungen nichts gemein hat, als eben
den Mangel an Unterschneidungen.

Der türkische Säbelbeschlag (Abbildung 101) ist einfach
türkisch verzerrtes Renaissanceornament des 16.—17. Jahr-
hunderts.

Die Herleitung des langobardischen Ornaments aus
dem Armenischen scheint mir sehr gewagt. Ich empfinde
die Flechtbänder des 6.-8. Jahrhunderts deutlich vorgebildet
in dem alten mehrstreifigen Bandgeflecht der nordischen
Bronzezeit, ja in den Arbeiten der Bandkeramik. Die
Datierung der armenischen Arbeiten dieser Art scheint
reichlich früh genommen, — die der Kelermesgoldfunde
(Zellenverglasung) dürfte seitens der Russen völlig will-
kürlich um 1000 Jahre zu früh angesetzt sein.

Diese Bemerkungen sollen den Wert des gewaltigen
Stoffes nicht schmälern, den Strzygowski hier zusammen-
getragen hat. Vielmehr scheint mir der Gedanke berechtigt,
daß wir in diesem Buche wirklich den Ausgangspunkt einer
neuen Auffassung und allgemeinen Wendung in den An-
schauungen über die Völkerwanderungszeit vor uns sehen.
Aber auch uns Germanen wird diese Wendung jetzt gerecht
und verspricht endlich ein Zusammenwirken der Ost- und
der Nordforscher zu gemeinsamem Endziel.

Die Ausstattung des Buches — insbesondere von der
Kriegszeit aus gesehen — ist musterhaft, für heutige Zeit
glänzend zu nennen. Albrecht Haupt.

VERMISCHTES

Lovis Corinths Triptychon »Golgatha«, das die
Sakristei der Kirche zu Tapiau, dem Geburtsort des Künst-
lers, schmückte und in der Nacht nach der Beschießung
und dem Brande der Stadt aus dem Rahmen geschnitten
und gerettet wurde, schmückt jetzt wieder das Gotteshaus.
Nachdem das Gemälde auf eine neue Leinwand aufgezogen
worden ist, zeugen nur noch beschädigte Stellen, welche
nach dem Willen Corinths nicht ausgebessert wurden, von
der Schreckenszeit.

Der im Jahre 1915 verstorbene Gabriel von Max,
der bekannte Münchener Maler, besaß eine außerordent-
lich umfangreiche Fachbibliothek und anthropologische
Sammlung. Diese sind jetzt durch Kauf in den Besitz
der Stadt Mannheim übergegangen. Als Kaufpreis wird
die Summe von 365000 Mark genannt.

Der Palast Barberini in Potsdam soll zu städtischen
Verwaltungszwecken umgebaut werden. Mit dem Umbau
ist der Potsdamer Stadtbaurat Dreves betraut worden. Von
einem Rathausneubau wird daher Abstand genommen.

Inhalt: Über Carl Frey als Forscher. Von Gronau. — Johannes Boese t; Frederik Duchattel f; Siegfried Barden f. — Personalien. — Aus-
stellungen in Berlin und Leipzig. — Die Sammlung Kirchhoff im Wiesbadener Neuen Museum. Zuwendungen an das Städtische Institut
zu Frankfurt a. M. Zwei Neuerwerbungen der National Gallery in London. — Jahresbericht des Dresdner Museumsvereins für 1916. —
Otto Grautoff, Nicolas Poussin. Josef Strzygowski, Altai-Iran und Völkerwanderung. — Vermischtes.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstraße 11 a
Druck von Ernst HeDRICH Nachf., q. m. b. h., Leipzig
 
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