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Forschungen
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Vorn im Bilde sitzt der Flußgott Oineus neben einem
Wasser und sieht, wie seine Tochter auf den jungen Hirten
zueilt, den die Leute als den schönsten der Männer preisen.
Oinone kommt herzu; das ist natürlich, denn Paris ist hier
ansässig und der Hirt der Herde. Auf Oinones Heilkunde
könnte der Reisesack mit Kräutern weisen. In der Iphigenie
des Euripides wird Paris als syringblasender Hirte bezeich-
net: die Flöte steckt im Gürtel des Paris wie in dem des
Oineus.« Da die Geschichte des Paris in der Malerei
Venedigs oftmals geschildert worden ist, so hat Schubrings
Deutung des Palmaschen Bildes viel für sich. Im Zusammen-
hange damit deutet Schubring die sog. drei Schwestern,
die Algarotti noch die drei Grazien nannte, als den Streit
der drei Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite um ihre
Schönheit — entsprechend einem Gemälde dieses Gegen-
standes in der Sammlung Lanckoronski in Wien, wo die
drei Göttinnen um einen Brunnen versammelt sind. Es
ist ein Streit der beiden zur Linken gegen die eine zur
Rechten. »Gewiß — sagt Schubring — es fehlen den drei
Göttinnen alle Attribute, es fehlt auch der Brunnen, in
dessen Wasserspiegel sich die drei besehen. Aber es ent-
spricht ja der venezianischen Art, wie wir sie z. B. aus
Giorgiones Illustrationen zu Ovid kennen, daß hier die
mythologischen Bilder weniger beschreibend als stimmungs-
voll gehalten sind, daß sie nicht illustrieren, sondern
variieren oder einen Grundakkord anstimmen.« Schubring,
der auch bei Giorgione noch zwei Bilder aus dem home-
rischen Kreise nachweist, deutet schließlich an, daß auch
die Venus Palmas in diesen Kreis gehören könnte. Es
kann nicht geleugnet werden, daß seine Deutungen jeden-
falls die Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, die den
bisherigen Bezeichnungen der Palmaschen Bilder in der
Dresdner Galerie anhaften.
Eine literarische Parallele zu Dürers »Traum des
Doktors« (B. 76). Es ist gewiß nicht gut, aus Bilddar-
stellungen Dürers herauszudeutein, was der unkomplizierte
Meister nicht hineingeheimnißt hat. Es ist jedoch nicht
weniger vom Übel, allen Witz und Geist, der sich Jahr-
zehnte lang mit den Sachen befaßt hat, für einen Rauch zu
achten, weil sich so ein Blättchen »jedem Versuch einer
überzeugenden Deutung entzogen hat«; zumal, wenn es
sich um ein so ausgesprochen satirisches Stück handelt,
wie den «Traum des Doktors«, auch »Traum des Poda-
gristen« genannt. Typisch für unsere formal-puristische
Neigung ist, daß man es heute »Der Traum« nennt; (der
Mann trägt ja weder den Doktorhut noch gestattet er die
einwandfreie Diagnose auf Podagra). Vielleicht meint
man, die Sache habe keine prinzipielle Bedeutung; was dar-
über zu sagen sei, sei längst gesagt worden, und der Fall
liege so einfach wie möglich: der alte Mann am Ofen,
ein Teufelchen mit einem Blasebalg voll böser Lust, eine
schlanke Buhlerin und ein Liebesgott, der auf Stelzen geht,
— was soll da groß Geschrei gemacht werden? Ich meine,
daß der Historiker, dem der deutsche Dürer am Herzen
liegt und der das m. W. noch nicht behandelte Problem
»Dürer und das Komische« zu erörtern unternähme, bei
einer Umschau in der lawinenartig getürmten Dürerliteratur,
wie vor den Kopf geschlagen stünde: — als lebten Dürers
Gesinnungsgenossen heute unter den satten Wochenlöhnern
der »humoristischen Ecken« und nicht unter den Daumier,
Dore, Slevogt und Heine — so meint man, liest man die
waschläppig behäbigen Deutungen, die ich den Leser nach-
zuschlagen bitte. »Still lächelnder Humor« — ein neuer-
liches Epitethon — »Mahnungen zur Entsagung«, man traut
den Ohren nicht, wenn man den holzgeschnitten groben
Witz in den »Venezianischen Briefen« kennt! Ist denn der
im Ernsten so Riesenhafte, der sein blitzendes Schwert
unbarmherzig in den Visionen der Apokalypse niedersausen
läßt, so klein, wo er des Lebens andere Seite zeigt? Denn
es ist der junge Dürer, von dem das Blättchen stammt!
Da ist es denn nur gut, daß man sich nicht eher mit der
Angelegenheit von neuem befassen will, als bis eine »ge-
naue literarische Parallele« gefunden ist. (Wölfflin, Dürer
1908. S. 112).
Aber man wird auch damit nicht zum Ziele kommen,
solange man wähnt, es könne einmal ein literarisches Opus
ans Licht gezogen werden, aus dem Dürer seinen Stoff
nahm. Denn das Blatt ist ganz gewiß keine Buchillustration
oder Paraphrase eines Textes irgend welcher Art. Eher
umgekehrt möchte sich einmal ein Flugblatt finden, das
auf das Bild zurückgeht. Es ist vielmehr, wie ich glaube,
und wie man es schon einmal vermutet hat, eine ganz
persönliche Satire, wie sie im damaligen humanistischen
Nürnberg (nicht anders als heutzutage in Kreisen von
Künstlern und Schöngeistern) vorgefallen sein mag.
Denen, die es anging, ein wohlverstandener Witz. Wo-
bei es eine Frage für sich bleibt, warum aus einem flüch-
tigen Einfall, der sich heute in einer nicht minder flüch-
tigen Skizze erledigen würde, damals ein mühsam sorg-
licher Kupferstich werden mußte. Literarische Parallelen
werden deshalb am ehesten in den schriftlichen Äuße-
rungen beteiligter Kreise zu erhoffen sein, und hier glaube
ich auf eine hinweisen zu dürfen.
Kein Programm, keine Beschreibung, ja nicht einmal
ein unmittelbarer Hinweis steht in dem Briefe Beheims,
den ich meine, aber was entscheidend sein dürfte, ist, daß
sich die Stelle wie eine literarische Paraphrase des bei
Dürer Dargestellten liest — und was mehr ist — daß der
ganze Passus, dem jener paraphrasierende Charakter eignet,
ohne Zusammenhang mit den ihm vorangehenden Worten
stünde, wenn man nicht annimmt, daß jener Dürersche
Stich dem Schreiber bei einer an sich belanglosen Sache
eingefallen ist und hierdurch die Gedankenreihe unwill-
kürlich in eine andere Bahn gelenkt wurde.
Lorenz Beheim, der gute Freund Pirckheimers und
Dürers, hatte seit geraumer Zeit mit einem bösen Leiden
seiner Zeit zu tun (Lues) und wurde 1511 in Bamberg
wieder einmal besonders davon geplagt. Da schreibt er
an seinen — Leidensgenossen Pirckheimer wegen eines
besonderen holzsparenden Ofens, den dieser besaß,
und in welchem Beheim sich nun allerlei Medikamente
brauen wollte, um sich recht zu pflegen. (Vgl. E. Reicke,
Forschungen z. Gesch. Bayerns XIV |1906] S. 34). Soweit
ist die Situation ganz einfach. Es fällt einem auch wie
von selbst die behagliche Stimmung ein, die einen Teil
von Dürers Stich ausmacht, in dem der Ofen einen so
großen Teil der Bildfläche für sich beansprucht. Aber wie
laufen des Schreibers Gedanken nun weiter? Sollte aber
jemand glauben er sei am Sterben, fährt er fort, »so
soll mich Gott (!) mit einem jungen Mädchen ver-
suchen, wie bald ich mit der alle Melancholie ver-
treiben würde«. Mir scheint, die »Ideenbrücke« ist hier
jenes Bild, das Beheim kannte und das in besonderer Be-
ziehung zum Adressaten gestanden haben muß; denn von
Pirckheimers Ofen ist doch die Rede, und so muß die
Anspielung im folgenden doch auch mit Pirckheimer im
Zusammenhange stehen. Es steht in jenem, von Reicke
bekannt gegebenen Briefwechsel, nichts, was nicht immer
ganz persönlich gemünzt ist; Sticheleien, Anspielungen, teils
in einem Rotwelsch, das sich unserem Verständnis entzieht.
Und da mag man sich doch wieder besinnen, ob die
— ich kann nicht sagen, wo zuerst ausgesprochene — Ver-
mutung, der Dargestellte sei kein anderer als Pirckheimer
selbst, nicht doch das Richtige getroffen hat. Zum Vergleich
eignet sich die große Berliner Kohlezeichnung von 1503
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Vorn im Bilde sitzt der Flußgott Oineus neben einem
Wasser und sieht, wie seine Tochter auf den jungen Hirten
zueilt, den die Leute als den schönsten der Männer preisen.
Oinone kommt herzu; das ist natürlich, denn Paris ist hier
ansässig und der Hirt der Herde. Auf Oinones Heilkunde
könnte der Reisesack mit Kräutern weisen. In der Iphigenie
des Euripides wird Paris als syringblasender Hirte bezeich-
net: die Flöte steckt im Gürtel des Paris wie in dem des
Oineus.« Da die Geschichte des Paris in der Malerei
Venedigs oftmals geschildert worden ist, so hat Schubrings
Deutung des Palmaschen Bildes viel für sich. Im Zusammen-
hange damit deutet Schubring die sog. drei Schwestern,
die Algarotti noch die drei Grazien nannte, als den Streit
der drei Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite um ihre
Schönheit — entsprechend einem Gemälde dieses Gegen-
standes in der Sammlung Lanckoronski in Wien, wo die
drei Göttinnen um einen Brunnen versammelt sind. Es
ist ein Streit der beiden zur Linken gegen die eine zur
Rechten. »Gewiß — sagt Schubring — es fehlen den drei
Göttinnen alle Attribute, es fehlt auch der Brunnen, in
dessen Wasserspiegel sich die drei besehen. Aber es ent-
spricht ja der venezianischen Art, wie wir sie z. B. aus
Giorgiones Illustrationen zu Ovid kennen, daß hier die
mythologischen Bilder weniger beschreibend als stimmungs-
voll gehalten sind, daß sie nicht illustrieren, sondern
variieren oder einen Grundakkord anstimmen.« Schubring,
der auch bei Giorgione noch zwei Bilder aus dem home-
rischen Kreise nachweist, deutet schließlich an, daß auch
die Venus Palmas in diesen Kreis gehören könnte. Es
kann nicht geleugnet werden, daß seine Deutungen jeden-
falls die Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, die den
bisherigen Bezeichnungen der Palmaschen Bilder in der
Dresdner Galerie anhaften.
Eine literarische Parallele zu Dürers »Traum des
Doktors« (B. 76). Es ist gewiß nicht gut, aus Bilddar-
stellungen Dürers herauszudeutein, was der unkomplizierte
Meister nicht hineingeheimnißt hat. Es ist jedoch nicht
weniger vom Übel, allen Witz und Geist, der sich Jahr-
zehnte lang mit den Sachen befaßt hat, für einen Rauch zu
achten, weil sich so ein Blättchen »jedem Versuch einer
überzeugenden Deutung entzogen hat«; zumal, wenn es
sich um ein so ausgesprochen satirisches Stück handelt,
wie den «Traum des Doktors«, auch »Traum des Poda-
gristen« genannt. Typisch für unsere formal-puristische
Neigung ist, daß man es heute »Der Traum« nennt; (der
Mann trägt ja weder den Doktorhut noch gestattet er die
einwandfreie Diagnose auf Podagra). Vielleicht meint
man, die Sache habe keine prinzipielle Bedeutung; was dar-
über zu sagen sei, sei längst gesagt worden, und der Fall
liege so einfach wie möglich: der alte Mann am Ofen,
ein Teufelchen mit einem Blasebalg voll böser Lust, eine
schlanke Buhlerin und ein Liebesgott, der auf Stelzen geht,
— was soll da groß Geschrei gemacht werden? Ich meine,
daß der Historiker, dem der deutsche Dürer am Herzen
liegt und der das m. W. noch nicht behandelte Problem
»Dürer und das Komische« zu erörtern unternähme, bei
einer Umschau in der lawinenartig getürmten Dürerliteratur,
wie vor den Kopf geschlagen stünde: — als lebten Dürers
Gesinnungsgenossen heute unter den satten Wochenlöhnern
der »humoristischen Ecken« und nicht unter den Daumier,
Dore, Slevogt und Heine — so meint man, liest man die
waschläppig behäbigen Deutungen, die ich den Leser nach-
zuschlagen bitte. »Still lächelnder Humor« — ein neuer-
liches Epitethon — »Mahnungen zur Entsagung«, man traut
den Ohren nicht, wenn man den holzgeschnitten groben
Witz in den »Venezianischen Briefen« kennt! Ist denn der
im Ernsten so Riesenhafte, der sein blitzendes Schwert
unbarmherzig in den Visionen der Apokalypse niedersausen
läßt, so klein, wo er des Lebens andere Seite zeigt? Denn
es ist der junge Dürer, von dem das Blättchen stammt!
Da ist es denn nur gut, daß man sich nicht eher mit der
Angelegenheit von neuem befassen will, als bis eine »ge-
naue literarische Parallele« gefunden ist. (Wölfflin, Dürer
1908. S. 112).
Aber man wird auch damit nicht zum Ziele kommen,
solange man wähnt, es könne einmal ein literarisches Opus
ans Licht gezogen werden, aus dem Dürer seinen Stoff
nahm. Denn das Blatt ist ganz gewiß keine Buchillustration
oder Paraphrase eines Textes irgend welcher Art. Eher
umgekehrt möchte sich einmal ein Flugblatt finden, das
auf das Bild zurückgeht. Es ist vielmehr, wie ich glaube,
und wie man es schon einmal vermutet hat, eine ganz
persönliche Satire, wie sie im damaligen humanistischen
Nürnberg (nicht anders als heutzutage in Kreisen von
Künstlern und Schöngeistern) vorgefallen sein mag.
Denen, die es anging, ein wohlverstandener Witz. Wo-
bei es eine Frage für sich bleibt, warum aus einem flüch-
tigen Einfall, der sich heute in einer nicht minder flüch-
tigen Skizze erledigen würde, damals ein mühsam sorg-
licher Kupferstich werden mußte. Literarische Parallelen
werden deshalb am ehesten in den schriftlichen Äuße-
rungen beteiligter Kreise zu erhoffen sein, und hier glaube
ich auf eine hinweisen zu dürfen.
Kein Programm, keine Beschreibung, ja nicht einmal
ein unmittelbarer Hinweis steht in dem Briefe Beheims,
den ich meine, aber was entscheidend sein dürfte, ist, daß
sich die Stelle wie eine literarische Paraphrase des bei
Dürer Dargestellten liest — und was mehr ist — daß der
ganze Passus, dem jener paraphrasierende Charakter eignet,
ohne Zusammenhang mit den ihm vorangehenden Worten
stünde, wenn man nicht annimmt, daß jener Dürersche
Stich dem Schreiber bei einer an sich belanglosen Sache
eingefallen ist und hierdurch die Gedankenreihe unwill-
kürlich in eine andere Bahn gelenkt wurde.
Lorenz Beheim, der gute Freund Pirckheimers und
Dürers, hatte seit geraumer Zeit mit einem bösen Leiden
seiner Zeit zu tun (Lues) und wurde 1511 in Bamberg
wieder einmal besonders davon geplagt. Da schreibt er
an seinen — Leidensgenossen Pirckheimer wegen eines
besonderen holzsparenden Ofens, den dieser besaß,
und in welchem Beheim sich nun allerlei Medikamente
brauen wollte, um sich recht zu pflegen. (Vgl. E. Reicke,
Forschungen z. Gesch. Bayerns XIV |1906] S. 34). Soweit
ist die Situation ganz einfach. Es fällt einem auch wie
von selbst die behagliche Stimmung ein, die einen Teil
von Dürers Stich ausmacht, in dem der Ofen einen so
großen Teil der Bildfläche für sich beansprucht. Aber wie
laufen des Schreibers Gedanken nun weiter? Sollte aber
jemand glauben er sei am Sterben, fährt er fort, »so
soll mich Gott (!) mit einem jungen Mädchen ver-
suchen, wie bald ich mit der alle Melancholie ver-
treiben würde«. Mir scheint, die »Ideenbrücke« ist hier
jenes Bild, das Beheim kannte und das in besonderer Be-
ziehung zum Adressaten gestanden haben muß; denn von
Pirckheimers Ofen ist doch die Rede, und so muß die
Anspielung im folgenden doch auch mit Pirckheimer im
Zusammenhange stehen. Es steht in jenem, von Reicke
bekannt gegebenen Briefwechsel, nichts, was nicht immer
ganz persönlich gemünzt ist; Sticheleien, Anspielungen, teils
in einem Rotwelsch, das sich unserem Verständnis entzieht.
Und da mag man sich doch wieder besinnen, ob die
— ich kann nicht sagen, wo zuerst ausgesprochene — Ver-
mutung, der Dargestellte sei kein anderer als Pirckheimer
selbst, nicht doch das Richtige getroffen hat. Zum Vergleich
eignet sich die große Berliner Kohlezeichnung von 1503