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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

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1./2. Novemberheft
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Heise, Carl Georg: Kunst in Gotenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0084

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Hilding Linnqvist, Otto Sköl'd, V-era Nilsen und der
kürzlich dreißlgjährig verstorbene Gösta Sandels. Ge-
wiß sind sie untereinander sehr verschieden, der Mal-
virtuose (irünewald nicht dem bedachtsam sinnieren-
den, Rousseau-haft einfachen Linnqvist vergleichbar,
gemeinsam aber ist ihnen doch das Eine: die Orientie-
rung an Paris. Das gibt ihnen das gute Niveau, zugleich
aber auch das etwas provinzlerisch Zweitklassige, ne-
ben der Sicherheit im Modischen die Brechung der In-
dividualität. Es ist Atelierkunst und doch bei näherem
Zusehen gemacht von Menschen mit großer und eigener
Begabung. Man möchte wissen, wie ihre ersten naiven
Malversuche wolil ausgesehen haben, sicher selbstän-
diger und freier. So ist auch der geradezu verblüffende
Manier-Wechsel des sehr begabten und immer noch
jungen Sköld vielleicht weniger Unsicherheit als ein un-
befriedigtes Rütteln des erwachsenden Meisters am
Formzwang modischer Konvention. Er probiert die
Masken durch und wird si-e vielleicht eines Tages alle
fortwerfen. Sein großes Erntehild (mit viel pariseri-
schem Neu-klassizismus) und.sein kleines Bildchen mit
Dächern und Mansardenfenstern (mit viel modischem
Bemühen, abstrakte Malerei mit Biedermeierre'iz zu
verkuppeln) sind trotz allem Leistungen von eigener
Prägung. Merkwürdig, wie oft man denken muß, deut-
sche Malerei müsse diesen künstlichen Parisern näher
liegen! Abe.r sie kennen sie nicht und haben seit Jahr-
hunderten alles aus Frankreich bezogen: ihre Kunst
und ihre Könige. Nicht einmal Munch hat in Schweden
Schule gemacht; init einziger Ausnahme von Sandels,
der ihm in seinen Anfängen viel verdankt, ist er im
Nachbarlande ohne Einfluß geblieben — er, ohne den
die junge Deutsche Malerei nicht zu denken ist. San-
dels ist überhaupt, wenn nicht der begabteste so doch
für unsere deutschen Augen der am meisten nordische
dieser Künstler: ein guter Zeichner, ein w-enig schwer
in der Farbe,"grtib 1 erisch ernsthaft in der Stellung sei-
11er Probleme, docli ohne Pathos und Symbolik. Zwei
späte Landschaften gehören zum Besten der Ausstel-
lung.

Alle schwedischen Maler von Bedeutung aber über-
trifft der Plastiker Carl Milles, dessen Arbeiten ein im-
posanter Raum zur Verfügung steht und der langsam
anfängt, sich als der große schwedische Meister durch-
zusetzen. Es sei nicht verschwiegen, daß auch seiner
starken Begabung die letzte schöpferische Originalität
fehlt, daß er der Befruchtung durch alle Kunstepochen
der Weltgeschichte nicht entraten kann; das scheint
Schicksal in diesem Lande. Aber er hat Charakter und
Leidenschaft genug, um seiner Zweitlingsnatur Meister-
werke von großem Wurf abzuringen. Er ist geborener
Denkmalsplastiker. Wir haben keine solchen. Entfernt
vergleichbar ist die Art seiner Begabung unserem
Deutschen Hoetger, mit dem er in Paris bei Rodin ge-
lernt hat; aber er überwuchs ihn weit. Sein spriugen-
des Pferd und sein Rudbeckius-Denkmal beherrschen
die Schwedenhalle.

Die Norwegische Abteilung hinterläßt den stärk-
sten Eindruck, nicht nur wegen des Hauptsaales mit

Bildern von Munch. Aber Munch steht über allen.
Sein gewiß ein weuig müder Altersstil, der bei den Aus-
stellungen in Deutschland 1921, die nur Spätwerke
zeigten, enttäuschen mußte, wächst in dieser grandiosen
Gesamtschau so organisch und zwingend aus den vor-
aufgehenden Perioden auf, und wird so ergreifend ge-
krönt von dem letzten Selbstbildnis (krank, neben dem
Bette sitzend, in großen stillen Flächen, gehalten in der
Farbe, resigniert und suggestiv im Ausdruck), daß man
ilui erst hier recht begreifen lernt. Nicht in Paris, bei
Kristiania lebt der europäische Meister der Gegenwart.
Daß er noch lebt, ist uns Jüngeren fast wie ein Wunder,
so hoch ist er gewachsen. In Norwegen steht die ganze
junge Generation in seinem Bann. Oft zu sehr; es gibt
Munch-Epigonen in weit kümmerlicheren Formen als
bei uns. Der Einfluß von Paris ist daneben auch zu
spüren, aber weniger verpflichtend. Wie in Schweden
die französische Schule gibt in Norwegen die Verbin-
dung mit Muncli den einheitlichen Gesamteindruck. Es
gibt einen Punkt in der sonst sehr eigenen Gestaltungs-
kraft des jungen Per Krogh, der auch auf Munch zurück-
gelit. Verwandt ist die Kraft des Visionären. Per Krogh
braucht bewußt sinnbildliche Mittel, aber diese Neigung
zum Mythos ist gan'z echt, ganz bodenwüchsig. Die
künstlerische Form ist strenger zeichnerisch, mit leicht
modisch-klassizistischem Einschiag, auf der Stilstufe
etwa, die bei uns Karl Hofer vertritt. „Fiskerens Dat-
ter“, ein Mädchen im Boot zwischen Felsen in grauen
Wolken, ist ein Meisterwerk. (Das Gotenburger Mu-
seum hat es sich gesichert). Es soll nicht geleugnet
werden, daß der Symbolismus (der in Schweden so
selten ist) in Norwegen zu weit getrieben wird. Rolf-
sen steht in dieser Beziehung an der Grenze des Erträg-
lichen, Henrik Sörensen überschreitet sie mit seinen
religiösen Bildern erheblich. Jean Heiberg ist charak-
teristisch ftir den guten Durchschnitt französischer
Schulung; besonders Matisse ist einer der Stammväter
dieser Kunst. Thorvald Erichsen ist impressionistischer
(Renoir), der begabte junge Hans Oedegaard etwas süß
und ('ezaune zugeneigt, am selbständigsten vielleicht
der verstorbene Smith-Kielland — alle von recht gutem
Niveau.

Die Dänische Abteilung ist auffallend wenig ein-
heitlich. Kopenhagen im Gegensatz zu Stookholm und
Kristiania ist das am meisten europäische, ja mondäne
Kunstzentrum des Nordens. Hier wird am meisten in
verschiedenster Manier experimentiert, am häufigsten
nach französischem Vorbild: impressionistisch und
klassizistisch, doch gibt es auch Expressiomsten auf
deutsche Art. Ich könnte nicht definieren, was in die-
sen Sälen das Gemeinsame ist, das spezifisch Dänische.
Viel geistreiche Aufmachung, wenig Eigenkraft. Rude
ist ein guter, farbig kraftvoller Matisse-Schiiler, Swane
ein Impressionist letzter Phase, Lorentzen hat in seinem
Liebknecht-Bild plakathaft die Deutsche Revolution in
monumentalem Sinnbild zu gestalten versucht, Lund-
ström, sehr begabt, zeigt im barocken Pinselstrich un-
verkennbare Kokoschka-Anklänge. Ein so mondän-
verlogenes Legendenbild, wie die große bunte Figuren-

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