Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 5./​6.1923/​24

DOI Heft:
1./2. Aprilheft
DOI Artikel:
Demmler, Theodor: Immanuel Kant in den Berliner Sammlungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22444#0240

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abb. 4

Abb. 6

In Kants letzten Lebensjahren — 1801 — ist noch
ein junger Künstler, ein früh verstorbener, nicht zur
Reife gekommener Bildhauer, an die große Aufgabe
einer Büste nach dem Leben gelangt. Es war der von
den Freunden nach Königsberg gerufene C. F. Hage-
mann, Schadows Schüler, der hier se'in Meisterwerk
schuf (Abb 6). Das Marmororiginal in Königsberg ist
für den Hamburger Kantverehrer Heß wiederholt wor-
den; dieses Hamburger Exemplar, jetzt in der Kunst-
halle, gibt unser Bild w-ieder. Berlin besitzt eine Bron-
zekopie; sie steht in der allzu wenig besuchten Bildnis-
sammlung in Schinkels Bauakademle. „So alt und
häßlich, wie er nun wäre, dürfte er ihn aber nicht
machen“, sagte Kant zu dem Künstler, dem er im
Jahre 1801 gesessen hat. Hagemann hat diesen Wuusch
erfüllt, er gibt ihn alt, aber nicht müde, ohne die Zei-
chen des Verfalls, die in der Miniatur sichtbar werden.
Aber er gibt mehr. Die Frische, mit der er seine Auf-
gabe anpackt, hat etwas Bezwingendes. Der glättende,
ausgleichende Zeitstil, jenes klassizistische Vereln-

fachen, das nicht immer ein Verinnerlichen bedeutet,
ist aucli liier wirksam. Aber wenn das Ergebnis so
manöhmal mehr eine trockene Formel darstellt, als eine
in ihrem Kern erfaßte Indlvidualität — hier ist der Ein-
druck des lebendigen Modells stark genug geblieben,
um die akademische Küble von dem Marmor fernzuhal-
ten. In der Bewegung des gebeugten Hauptes, im
Schnitt des Mundes und des Kinnes hat der junge Künst-
ler mit glücklichem Temperament wesentliche Züge zu
einer starken überzeugenden Form verschmolzen. Es
ist merkwürdig, daß Hagemanns Kant, der, für sich be-
trachtet, viel naturalistischer wirkt als die Büsten die
die vor und naeh ihm entstanden, doch in vi-elem in die
Bahn einlenkt, die Abramson und Bardou besöhritten
hatten. Die völlige Einheit, das Durchscheinen des
Ewigen durch die gan'ze irdische Erscheinung, hat er
nicht erreicht. Sein Werk ist mehr Verheißuug als Er-
füllung. Man muß sich damit abfinden, daß die Kunst
dem deutschen Volk das ideale Bildnis seines tiefsten
Denkers schuldig geblieben ist.

212
 
Annotationen