dem Elternliaus, dem zuliebe sie ihr Pseudonym ge-
wählt hat, weil dort selbständiger künstlerischer Beruf
bei einer Frau noch als gleiclibedeutend mit Zigeune-
rei galt. Bei Stauffer-Bern in Berlin, als Kollegin von
Käthe Kollwitz, lernte sie, was bei diesem Meister der
großen geschlossenen Form fiir sie zu erlernen war.
München mit seinem licht- und luftarmen Atelierbe-
trieb konnte sie nicht lange Zeit fesseln, und daß in
dem weiteren Siiden auf die Dauer für ihre Kunst
niclits zu suchen war, wußte sie, die durch die junge
dänische Malerei und intensivstes Studium der Hol-
länder schon längst auf den Impressionismus vor-
])ereitet war, von vornherein genau.
Das Paris der neunziger Jahre, damals die Seele der
Welt, von dem wir heute hören, fast wie von einem
Maria Slavona / Lilly, lesend
Paris 1905
Märchen, daß es dort tatsächlich um den Geist ging
und nicht bloß um die Existenz, zog sie mit ihrem
wachen Instinkt füi* alles Fortschrittliche, geistig
Unverbrauchte unwiderstehlich an. Mit jenem für
die romanische Rasse charakteristischen Spürsinn
für das Kongeniale nehmen sie die Besten ilirer
Zeit dort sofort als eine ihresgleichen auf. Unter
dem anfänglich von ihr bewahrten Pseudonym „Carl
Maria Slavona“ erregt sie bereits das stärkste Inter-
esse des großen Puvis de Chavannes, dic Kunstsalons
öffnen sicli ihr gastlich, die Kritik stellt sie sofort einer
Berthe Morisot zur Seite, der französische Staat, zahl-
reiche Museen ehren sie durch Ankäufe. Dabei ver-
gißt sie, die von Hause aus weiß, was es heißt, um sein
künstlerisches Daseinsrecht zu ringen, nie, sich aufs
Energischste, 1 atkräftigste für die Yerkannten, noch
nicht Arrivierten einzusetzen. Liebermann wurde ihr
Freund, als er selber noch schwer umkämpft war, die
erste van Gogh-Ausstellung wurde in ihrem Atelier
auf dem Mont-Martre besprochen, für Gerhart Haupt-
mann trat sie ganz selbständig ein, sie wirbt als eine
der ersten im Freundeskreis für Baudelaires „Fleurs
du MaF', obwohl sie mit dem Vorlesen dieser als „de-
kadent“ gebrandmarkten Yerse damals höchstes Ent-
setzen erregt. Einzigartig bleibt es, wie diese Frau, die
für jede Art von geistiger Emanzipation gern in den
vordersten Reihen kämpfte, sich — im Unterschied
etwa zu einer Paula Modersohn — fern von jeder Art
von Boheme zu halten wußte, ganz und gar Frau und
„Dame“ blieb. Und es sind letzten Endes Sorgen der
Mutter um das Fortkommen ihrer Tochter, die sie
nach iiber zwanzigjährigem Fernsein von Deutsch-
land veranlassen, Berlin als dauernden Wohnsitz zu
nehmen, wenn sie auch wußte, daß es sie hier immer
— wie sonst deutsche Künstler nach Italien — nach
der Pariser Sonne frieren würde.
Hervorzuheben ist noch ein besonderer Zug liebens-
werter Pietät, mit dem die in zwei Ländern Behei-
matete an ihrer engsten Heimat hing, der ernsten
Hansestadt mit dem seines ehrwürdigen Alters wegen
beriihmten Haus der Löwen-Apotheke, in dem sie auf-
wuchs. Die geheimnisvollen hintergründigen Winkel,
die riesenhaften Dächer, Giebel und Türme, die wei-
ten Blicke iiber dämmernde Wiesen und Wälder be-
schäftigten zeitlebens nicht nur ihre malerische Phan-
tasie. Yor wenigen Jahren schrieb sie:
„Was ich Eiibeck danke? Vor allem die Unabhän-
gigkeit im Denken und Fühlen, den Ernst und die
Ausdauer, welche, mögen sie mir auch von den Eltern
her im Blute gelegen haben, hier dem Kinde als be-
ständige Mahnung vor Augen standen. Redeten nieht
die Steine eine stumme, um so eindringlichere Sprache,
wuchsen nicht die liirme schwindelnd in die Ilölie,
und waren doch von Menschenhand erbaut. ,Ich
lasse dich nicht, du segnest micli denn‘ schienen sie
zu sagen.
Noch heute kann ich nie ohne tiefe Erschütterung
dieses Sinnbild von Lübeck, die sieben Türme, bei der
Einfahrt in die Stadt auftauchen sehen.“
Wir trauern um diese Künstlerin, weil wir auch
fiihlen, daß mit ilu* eine ganze Kultur sterben geht.
Eine Kultur der feinen, sinnlich beschwingten Geistig-
keit, für die unsrer Zeit der Rahmen, der sie zusam-
menhielt, längst in Stiicke ging. Eine Kultur, die noch
den Wert des Einzelwesens, der Persönlichkeit in be-
sonderem Sinne gelten ließ (und daher auch im ein-
zelnen isolierten Staffeleibilde ihren gemäßen Aus-
druck finden mußte), deren Hintergründe heute miß-
achtete Begriffe wie Tradition und Solidität waren
und die gerade darum den schwebenden Schein der
Dinge verherrlichen konnte, das Leben im farbigen
Abglanz erfassen. Eine Kultur des schenkenden Über-
3$0
wählt hat, weil dort selbständiger künstlerischer Beruf
bei einer Frau noch als gleiclibedeutend mit Zigeune-
rei galt. Bei Stauffer-Bern in Berlin, als Kollegin von
Käthe Kollwitz, lernte sie, was bei diesem Meister der
großen geschlossenen Form fiir sie zu erlernen war.
München mit seinem licht- und luftarmen Atelierbe-
trieb konnte sie nicht lange Zeit fesseln, und daß in
dem weiteren Siiden auf die Dauer für ihre Kunst
niclits zu suchen war, wußte sie, die durch die junge
dänische Malerei und intensivstes Studium der Hol-
länder schon längst auf den Impressionismus vor-
])ereitet war, von vornherein genau.
Das Paris der neunziger Jahre, damals die Seele der
Welt, von dem wir heute hören, fast wie von einem
Maria Slavona / Lilly, lesend
Paris 1905
Märchen, daß es dort tatsächlich um den Geist ging
und nicht bloß um die Existenz, zog sie mit ihrem
wachen Instinkt füi* alles Fortschrittliche, geistig
Unverbrauchte unwiderstehlich an. Mit jenem für
die romanische Rasse charakteristischen Spürsinn
für das Kongeniale nehmen sie die Besten ilirer
Zeit dort sofort als eine ihresgleichen auf. Unter
dem anfänglich von ihr bewahrten Pseudonym „Carl
Maria Slavona“ erregt sie bereits das stärkste Inter-
esse des großen Puvis de Chavannes, dic Kunstsalons
öffnen sicli ihr gastlich, die Kritik stellt sie sofort einer
Berthe Morisot zur Seite, der französische Staat, zahl-
reiche Museen ehren sie durch Ankäufe. Dabei ver-
gißt sie, die von Hause aus weiß, was es heißt, um sein
künstlerisches Daseinsrecht zu ringen, nie, sich aufs
Energischste, 1 atkräftigste für die Yerkannten, noch
nicht Arrivierten einzusetzen. Liebermann wurde ihr
Freund, als er selber noch schwer umkämpft war, die
erste van Gogh-Ausstellung wurde in ihrem Atelier
auf dem Mont-Martre besprochen, für Gerhart Haupt-
mann trat sie ganz selbständig ein, sie wirbt als eine
der ersten im Freundeskreis für Baudelaires „Fleurs
du MaF', obwohl sie mit dem Vorlesen dieser als „de-
kadent“ gebrandmarkten Yerse damals höchstes Ent-
setzen erregt. Einzigartig bleibt es, wie diese Frau, die
für jede Art von geistiger Emanzipation gern in den
vordersten Reihen kämpfte, sich — im Unterschied
etwa zu einer Paula Modersohn — fern von jeder Art
von Boheme zu halten wußte, ganz und gar Frau und
„Dame“ blieb. Und es sind letzten Endes Sorgen der
Mutter um das Fortkommen ihrer Tochter, die sie
nach iiber zwanzigjährigem Fernsein von Deutsch-
land veranlassen, Berlin als dauernden Wohnsitz zu
nehmen, wenn sie auch wußte, daß es sie hier immer
— wie sonst deutsche Künstler nach Italien — nach
der Pariser Sonne frieren würde.
Hervorzuheben ist noch ein besonderer Zug liebens-
werter Pietät, mit dem die in zwei Ländern Behei-
matete an ihrer engsten Heimat hing, der ernsten
Hansestadt mit dem seines ehrwürdigen Alters wegen
beriihmten Haus der Löwen-Apotheke, in dem sie auf-
wuchs. Die geheimnisvollen hintergründigen Winkel,
die riesenhaften Dächer, Giebel und Türme, die wei-
ten Blicke iiber dämmernde Wiesen und Wälder be-
schäftigten zeitlebens nicht nur ihre malerische Phan-
tasie. Yor wenigen Jahren schrieb sie:
„Was ich Eiibeck danke? Vor allem die Unabhän-
gigkeit im Denken und Fühlen, den Ernst und die
Ausdauer, welche, mögen sie mir auch von den Eltern
her im Blute gelegen haben, hier dem Kinde als be-
ständige Mahnung vor Augen standen. Redeten nieht
die Steine eine stumme, um so eindringlichere Sprache,
wuchsen nicht die liirme schwindelnd in die Ilölie,
und waren doch von Menschenhand erbaut. ,Ich
lasse dich nicht, du segnest micli denn‘ schienen sie
zu sagen.
Noch heute kann ich nie ohne tiefe Erschütterung
dieses Sinnbild von Lübeck, die sieben Türme, bei der
Einfahrt in die Stadt auftauchen sehen.“
Wir trauern um diese Künstlerin, weil wir auch
fiihlen, daß mit ilu* eine ganze Kultur sterben geht.
Eine Kultur der feinen, sinnlich beschwingten Geistig-
keit, für die unsrer Zeit der Rahmen, der sie zusam-
menhielt, längst in Stiicke ging. Eine Kultur, die noch
den Wert des Einzelwesens, der Persönlichkeit in be-
sonderem Sinne gelten ließ (und daher auch im ein-
zelnen isolierten Staffeleibilde ihren gemäßen Aus-
druck finden mußte), deren Hintergründe heute miß-
achtete Begriffe wie Tradition und Solidität waren
und die gerade darum den schwebenden Schein der
Dinge verherrlichen konnte, das Leben im farbigen
Abglanz erfassen. Eine Kultur des schenkenden Über-
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