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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1902)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Vergängliche Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0075

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Vorstufen anglicdern zu können. Wir fangen erst heute an und vor-
läufig nur am Burgtheater, die Aufführung eines Stückes bis ins
Kleinste schriftlich festzulegen, Dekorationen, Kostüme, Reguisiten, Auf-
tritte, Stimmungen, Gesten und Geberden, Schritte in möglichft deut-
licher Zeichnung und Sprache einer späteren Zeit aufzubewahren. Aber
dabei kommt noch immer das Kunstwerk nicht heraus, das uns des
Abends auf dem Theater erschüttert. Und als ähnliche Versuche dürfen
wir schon Lichtenbergs und Meyers Bestrebungcn betrachten, da sie
Garricks und Schröders Darstellungen analysierten. All das sagt uns
immer und immer wieder, daß die einzelne künstlerische Leistung des
Schauspielers, daß das Zusammenspiel des ganzen Bühnenkörpers nicht
festzuhalten ist

„und wie der Klang verhallet in dem Ohr."

Wir besitzen auch eine schön geschriebene „Geschichte der deutschen Schau-
spielkunst", von Eduard Devrient, die doch im Grunde eine Geschichte
des deutschen Theaters ist. Nicmand wird sich daraus den künstlerischen
unmittelbar wirkenden Gehalt einer Thcateraufführung in vergangcner
Zeit zu eigen machen können. Jn einigen Schauspieler-Monographien
weht wohl ein Hauch des lebendigen Wirkens, die Gestalt aber
fehlt. Diese Bücher bedeuten alle nicht mehr, als was ästhetische
Kommentare, was Biographieen überhaupt bedeuten: sie sind geeignet,
zum Verständnis der Produktionen ihres Helden anzuleiten. Da es nun
in der Podiumkunst keine bleibenden Produktionen giebt, so hängen diese
Monographieen für die Nachwelt in der Luft. Und wer schreibt sie?
Leute, die sich wieder aus frühere Biographen stützcn oder aus allerhand
unkontrollierbare Kritiker. Können sie denn wissen, wer von den Kritikern
recht hatte, wer ein Wahrhastigcr war und wer Konzessioncn machte,
wer Freund oder Feind hieß? So kommt fast immer ein Zerrbild zu
stande. Vermag überhaupt ein Nichtschauspicler, ein nicht ausübender
Musiker ganz ins Jnnere der Vortragskunst zu blickcn? Und wenn er
Schauspieler ist, reicht seine Objektivität und seine Ausdrucksweise aus?
Wir haben ein deutliches Zeichen dafür an den Theaterleitern, die früher
Rezensenten waren. Jn ganz kurzer Zeit wandeln sich ihre Ansichten über
dic Bcdeutung und die Eigcnart des Podiums der Bühne. Das ist
eben ein ganz anderes Schlachtfeld als die Zeitungsspalte. Was sie
hier unwidersprochen als Fehler gerügt haben, ist dort unumgängliche
Notwendigkeit und liegt in den Eigenschaften des seltsamen großcn Loches,
vor dem sich dcr Vorhang hcbt und senkt.

Aber wie bei den andcrn Künsten wird auch hier die starke Per-
sönlichkeit über die Zeiten triumphieren, unabhängig von der Dauer-
haftigkeit, will sagen von der Flüchtigkeit ihrer Einzelthaten. Es bedarf
nicht so sehr des konkreten Anhalts, nicht so schr einer Neihe greifbarer
Schöpfungen, um die Künste vorwürts zu entwickeln, als vielmehr der
neuen Note, der neuen Anschauungs-, der neuen Darstellungsweise, die
sich dann forterben kann in bleibenden Werken, in einem kleinen Satze,
wie ihn Fricdr. Ludw. Schröder etwa sür unsre Kunst als Wegmeiser
aufstellte: „Es kommt mir nicht darauf an hervorzustechen und zu
schinnnern, sondern auszufüllen und zu sein," oder ohne bleibende Werke,
unausgesprochen in den Köpfen und Hcrzen dercr, die das Glück hattcn,
der Persönlichkeit nahe zu sein. Wir dürfcn getrost auf das Gcsetz von

2. Axrillieft ^902
 
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