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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1902)
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Gregori, Ferdinand: Vergängliche Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0076

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der Erhaltung der Kraft vertrauen, das im Geistigen nne im Stoff-
lichen gelten wird nach Goethes Wort: Materie nie ohne Geist, Geist
nie ohne Materie. Die Saat, die Goethe gesät hat, geht heute noch
allenthalben auf, wo ein kleinstes Korn auf fruchtbaren Boden füllt.
Er lcbt nicht nur in seinen Werken, und mögen sie wie die Weimarsche
Ausgabe f22 Bände umfassen; ja, ich könnte mir sogar denken, daß scin
Name aus dem Gedächtnis der Welt schwände, nicht aber sein Geist.
Es bildet sich eine Quintessenz seiner Persönlichkeit heraus, die jenseits
der Schriften unsterblich ist: der Sauerteig der Kultur. Wir reden
heute oft in seiner Zunge und glaubcn Eigencs zu sagen; so werden
wir alle zu Plagiatoren, ohne es zu wissen und zu wollen. Was ist
denn über Christus als verbürgte Wahrheit anzusehen? Wie sah er
aus, wie schritt er einher und wie lauteten seine Worte wirklich? Die
Evangelicnkritik hat das Meiste, was als sein Eigentum galt, sür
apokryph erklärt, und von dem Wenigen, was geblieben ist, wird die
Zukunft vielleicht weitere Abstriche machen. Und er bleibt doch immer,
der er war; ja, er wird reiner, klarer werden, als ihn die mannigfachen
Widersprüche des Neuen Testamentes erscheinen ließen. Das Zufällige
stirbt weg, das Ewige bleibt, der innerste Kern seiner herrlichen Persön-
lichkeit.

Nicht die Wiederholung des Namens, die man sich durch geschickte
Reklame auch übers Grab hinaus sichern kann, nicht blos die in Stein,
Farbe und Papier für lange Zeit festgelegtcn Gedanken und Werke
machen den Wert ihres Schöpfers aus, sondern im tiefsten Sinne das
Vermögen, auf Welt und Nachwelt durch Ausstrahlung zu
wirkcn. „Was ist ein Name? — Was uns Rose heißt, wie cs auch
hieße, würde lieblich duften!" Und ein Werk ist nur relativ unver-
ganglich, unter Einschränkungen, unter Bedingungen. So dürfen wir die
banale Erfahrungsthatsache, von der ich ausging, dahin abändern, daß
wir sagen: Das Wahre und Echte, das Unvergängliche in dcr Kunst und
im geistigen Leben überhaupt klebt nicht am Namcn und am greifbaren
Werke der Schöpfer, sondern liegt verschlossen in den neuen Werten, die
von ihnen auf die Kultur übergehen. Und nun dürfen wir behaupten:
alle künstlerischen und geistigen Werte, dic jcmals in die Kultur hinein-
gctragen wordcn, sind — in welcher Form auch immer — auf uns
gekommen.

Von dieser Einsicht aus, die nebenbei auch alle Namenseitelkeit
und Ruhmsucht totschlügt, finden wir übrigens auch den einzigen geradcn
Weg, der an allen Künsten und künstlerischen Bestrebungen vorbeiführt,
seien die Künste nun rein-produktiv oder abhüngig-produktiv wie Malerci,
Bildhauerci, Dichtung oder Podiumkunst, seien es die Bestrebungcn und
sruchtbaren Nnregungen der Ruskin und Jakob Burckhardt oder der Zeit-
schriften, hinter denen eine Persönlichkeit im Goethcschen Sinne steht,
odcr der Mäzcne, die cine sind. Ferdinand Gregori.

Aunstwart
 
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