Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1902)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Allerhand Musikalien, [2]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0079

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und stimmungsvollen Harmonieschritten, daß man nur lvünschen kann dieser
poetischen Musik recht ost in geistlichen Musikaufsührungen zu begegnen ' Unsere
deutschen Chöre wissen überhaupt noch viel zu wenig, wie man aus derartigen
kürzeren Stücken die schönsten Programme zusammenfügen kann Sie sollten
derartigen Werken viel mehr Fleitz und Liebe zuwcnden, anstatt stet« mit
unvollkommenen Aufführungen der schwersten grotzen Wcrke oder der dürf-
tigen Modechorwerke mehr Unheil als Segen zu stiften. - Ein ähnliches Werk
das allerdings mehr Schwierigkeiten bietet, ist: Abend auf Golgatha für'
achtstimmigen Chor und kleines Orchestcr von A. von Othegraven - es
kann auch a caxoUa gesungen werden. Othegraven hat die seltsam stimmungs-
volle D.chtung Gottfr.ed Kellers mit einer intimen, schmerzlich-schönen Musik
umsponnen, d.e n.chts verlangt als recht innerlich vorgetragen zu werden, um
Charfre,tagsst.mmung zu wecken. Das Werk ist bei Gebr.Hug L Co.erschienen.

Der Name Jul.us Neubke, von dem mir weiter einigeLtompositionen
zur Besprechung vorl.egen, w.rd wenigen Lesern bekannt sein Und doch ist
der Komponist keine neu auftauchende Persönlichkeit, sondern bereits im Jahre
,858 - gestorbcn, fre.lich ganz jung; er war erst 24 Jahre alt. Jn ihm hat
Deutschland eincn der hoffnungsvollsten Schüler Franz Liszts vcrloren Die
Fe.ndschaft, m.t der man seinem Meister als Komponisten begcgnete hat auch
ihm geschadet, die wenigen Werke, die von ihm gedruckt sind, habe'n infolae-
dessen o.sher n.cht viel Verbreitung gefunden. Mit Unrecht. Denn selbst wenn
man nicht in Betracht zieht, datz diese Werke insgesamt Jugendarbeitcn sind
eine Schöpfung wie die große Orgel-Sonate über dcn 9^. Psalm darf'
in der ganzen Lrgel-Literalur in die vorderstcn Reihen gestellt merden
Ueberlegt man sich aber vollends, datz diese Sonate nun bald ein halbes
Jahrhundert alt wird, so wird man das Staunen über die künstlerische Kraft
und Freiheit, mit der sie geschaffen, überhaupt nicht wieder los. Es liegen
ihr Wortc dcs 94- Psalmcs zu Grunde, die Stimm.mgen dieser Verse iverdcn
durch Umbildung cines Hauptmotivs mit rein musikalischen Mittcln ohnc die
Grcnzcn des regelmätzigen Satzes zu überschreiten, meisterhaft ausge'drückt dic
gesamte modernc Technik und alle Mittel dcr modernen Rcgistricrkunst könncn
hier zu absolur künstlerischen Zwecken verwendet werden und grotzc Orgel-
spieler sollten heutzutage, wo man die an sich unbcstreitbaren Vcrdienstc^ Mar
Regers um die »cuere Orgelkomposilion kritiklos als etwas Unerhörtcs zu feicrn
pflegt, mit der Vorführung dieses Werkes beweisen, datz auch bei' den als
oberflächlich verschrieenen Lisztiancrn hohcs künstlcrisches Wollen und grotzes
musikalischcs Können schon vor fünszig Jahren zu finden warl Auch unsere
großen Pianisten, vor allcm die Liszt-Schüler, hätten Reubke gegenüber eine
Verpslichtung. Er hat als op. 5 eine grotze Sonate in Lmoll für Klavicr
geschricben, durch und durch Lisztisch, zum Tcil mit wörtlichcn Neminiszcnzcn
Abcr was wollen die besagen, wenn man die freie und doch klare Anlagc des
Ganzen, das jugendliche Feuer und den Reichtum der musikalischcn Aus-
führung, die innere Wärme aller Themen und dic virtuose Beherrschuna des
modernen Klavicrsatzcs sieht! Warum spielt kein Pianist an cinem sciner
Klavierabendc diese Musik, soweit n.ir bekannt die einzige Sonate die den
Vcrsuch macht, die von Liszt... der Hn.oll-Sonate gegebenen Anregung'cn zu ver-
iverten? Und wcnn unsere Pianisten nicht von selbst zu dcn. Wcrke greifen
- gibt es dcnn keine Konzertgescllschast, die an d'Albert oder Ansorge oder
an Frau Careno schreibt: Sp.elen Sie bei uns am so und so vielten aber
spielen Sie mal die Reubkesche Lmoll-Sonate? Wer will's thun?

2. Aprilheft ,902
 
Annotationen