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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,2.1902

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Heft 20 (2. Juliheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Gutes Deutsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8191#0368

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wackelt, wie originell sieht's aus l Ah, sagt der Offizier, das beste Deutsch
gibt's doch wohl iu unsern Kreisen — oder kann irgendwer behaupten,
daß zu den Sprudel- und Strudelwitzspäßcn auch nur dcr entferntcste
Anlaß da wäre? Und welch ein Deutsch pflegen, dic uns nahe stehn
in der Freude an Kürperübungen, die Sportleute von den Ruderern und
Radlern bis hinauf zu den Feinsten in den Automobilen oder auf den
Gaulrennplätzen — kann man ihr Deutsch nicht ebenso gut in England
verstehen, als bei uns? Freilich, es gibt ja Nürgeler und Krittler, die
selbst die Ausdrucksweise unsrer Hofbehörden nicht ganz natürlich finden,
wenn sie z. B. vom Andenken „Allerhöchstihres höchstseligen Herrn Vaters"
sprechen, oder die unsrer Minister selbst bei so wichtigen Erlässen, wie dein
zur Aufhebung des Diktaturparagraphen. Ja, Menschen gibt's, die be-
zweifeln, ob man von einem Soldaten reden könne, der „für sein Vater-
land fallend begraben liegt/ was doch unter einem Knackfußbilde mit
dem Faksimile der Handschrift Sr. Majestät des Kaisers selber steht.

Wir runden mit dem Beispiele des Kaisers ab, um zu betonen,
daß keiner bei uns auf den andern den Stein werfen kann: hinsichtlich
dcr Sprachbehandlung sind wir allesamt Sünder, vom breiten Boden
bis zur Spitze. Jeder Stand klagt über das schlechte Deutsch des andern
Standes, weil jeder den Splitter im fremden Auge leichter als den
Balken im eigenen sicht. Jn Wahrheit hat keiner von uns dem andern
was vorzuwerfen. Wenn wir auch gegen die literarischen Niederschläge
dank dem langjährigen Wirken einiger vortrefflicher Sprachforscher und,
was gern anerkannt sei, auch des deutschen Sprachvereins, empfindlicher
geworden sind, ohne gewisse Fransen und Troddeln können wir, scheint's,
noch gar nicht leben. Man versuch' es einmal, scine Briefe ohne Wohl-
und Hochwohlgeboren zu versenden! Sehr bald kommen die Leute, die
schreiben, sie gäben ja nichts darauf, aber die „andern," die sühen ein
Zeichen von Geringschätzung darin, wenn die Troddel fehlte, deshalb
möchte man doch wieder u. s. w. Man nenne die Lächerlichkeit unsrer
Hof- und Ober-Hof-, und Geheimen Hof- und vielleicht noch Wirklichen
Geheimen Hof- und sonstigen Ratstitel und Titel überhaupt beim rechten
Namen, es gibt wenige, die nicht sagen „freilich!", aber noch weniger,
die nicht trotzdem „der Leute wegen" wünschen, daß irgend so etwas
an ihrem Namen mit schlenkerc. Das hängt, hör' ich, nicht nur mit
der Sprache, es hängt mehr mit der Eitelkeit und unscrn sozialen Ver-
hältnissen zusammcn? Freilich, aber wenn wir die sprachliche Albernheit
scheinbar vielsagender Benennungen, die in Wahrheit^ nicht das mindeste
besagen, klarer fühlten, so würden längst andere Titulaturen eingeführt
oder mindestens vorgeschlagen worden sein!

Wir sind eben dessen entwöhnt, uns das Gcsprochene auch vor-
zustellen. Das hat sein Gutes, antwortet man: wögen wir jedes Wort,
das wir in den Mund nehmen, vorher auf der Goldwage ab, wir kämen
wahrscheinlich über das Wägen nicht hinaus. „Gesetzt, die Annahme
stände fest, lohnte sich's dann, den Antrag zu bekämpfen?" — es würde
was wunderliches daraus werden, wenn wir alle Teile solch eines Satzes
uns wirklich vorstellen wollten, erst das Setzen, dann das Nehmcn,
dann das feste Stehen, dann das Lohnen, dann das Tragen und schließlich
das Kämpfen. Gewiß, das ist richtig. Aber es gilt nur fttr die be-
griff lichc Sprache, die hier ja angewendet ift. Weder unsere Phantasie
Aunstwart

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