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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1930)
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Alverdes, Paul: Kleine Reise: aus einem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0262

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überall, Verstecke der Liebenden und der Zecher über den moosigcn Treppen
der Gärten mit den schweren Balustraden.

Als ich mich mnwandke, war em steinalker Abbe ms Abkeil gestiegen, dem
Uzzolino gleichend in Form und Halkung des Haupkcs, aber das AnkliH von
unzähligen Runzeln kiefer gekerbk, deren Grund vor Alker schwarz erschien.
Seine Sonkane starrke vor SchmuH, der Skoff ließ wie ein Sieb die ein-
zelnen Fädcn erkennen, die ins Flaschengrün glänzken; am Kragen und an der
Brust war er schon völlig ausgefärbk und von einem ganz unbestimmbaren
steinernen Aussehen, als habe er schon lange in einer Grufk gelegen nnd sich
dcr Makcrie seiner Ilmgebung angenäherk. Der Alke bekeke, lauklos bewegke er
den zahnlosen Mund und verdrehke die Augen, die Lief im Grunde von fal-
Ligen Hauktrichkern lagen, klein und böse wie bei Elefanken. Zuweilcn aber,
osfenbar bei bestimmken Wiederholungen feiner Likanei, neigke er das Haupk
schräg zur Scike und hob eine hornige Kralle mik gelben Nügeln vor die
Brust, wobei ein halb zärklicher und halb närrischer Blick in seinen Augen
aufglomm.

ZeHk siHe ich an meinem Fenster nnker dem Dach des Hotels W. und
blicke auf die blaue Schale des Lugancr Secs unter nür. Zch denke immer
noch an den geistlichen Grcis und fein großes Schwärmen und Enkzückksein.
Er hakke keinen der übrigen Mikreisenden auch nur gewahrk. Was wird er
einst gcwahrcn? Ob er zu jenen Gestalken kommen wird, die er zu grüßen und
zu verehren schien? Wie aber, er käme zwar in eine Ewigkeik, abcr es wäre
alles ganz anders? Mir fällk die fürchkerlich nachdcnkliche AnekdoLe von jenem
sterbenden Bauern ein, der über der leHLen Hlung ein trübselig-verschmiHkes
Lächeln hakke. Befragk, was ihn so heiker stinnne, ankworkeke er: „Oh mei,
Herr Pfarrer, grad lachen müßk ich, wenn wir alle zwei den falschen Glauben
g'habk hätken."

Der Bahnhof von Lugano liegk hoch über der Skadk, erst ein paar Gassen
hangabwärks gewahrk man Lief unken zwischen den Schluchken der hohen
weißen Häuser dcn blauen Spiegel des Sees. Anfangs fallen die Gasscn
so steil herab, daß kein Fuhrwerk auf ihnen verkehren kann; eine Zahnrad-
bahn lärmk zwischen den gestuften Gehstergen bis zu dcm schmalcn Streifen
flacheren Ufers hinab, auf welchem die alke Skadk Lugano erbauk ist. Jhr
Ansehen ist völlig italienisch, italienisch Sprache, Erscheinung und Geba-
ren der Einwohner, ikalicnisch Bauwcife und Wohnark. Blauer Hinnnel
lachk über den engen Gassen, unker deren Gewölben und Lanben sich Laden an
Laden drängk mik Körben voll röklich-grüner Erdbeeren, blauschwarzcr, sam-
mekroker und weichselgelber Kirschen und lichkgrüner Spargeln, mik Blumen
und Gemüsen aller Ark, mik Wein und Seidenküchern und goldbraunem
Backwerk. Zuweilen sind es auch hier wieder Geschäfklein von jener Winzig-
keik, die dem Deukschen in allen ikalienischen Skädken auffällig ist: wo fieben
Wecken im Fenßer und eine Schippe Mehl im Schnbfach schon eine Bäckerei
und ein Glaskopf mik eingewürztem Kuktelfleck und drei SchniHe schwarz-
geräucherken Dörrfleisches eine MeHgerei ausmachen.

Ich kaufke mir Kirschen und Scmmeln und begab mich wicder an den Sce
hinab, wo in der Dämmerung schon die Fische sprangen. Die Berge jenseiks
sind mik Kastanien und Nußbäumen so dichk bewachsen wie mik Gras, kein

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