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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 5
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Brachvogel, Carry: Herbstspuk, [1]
DOI Artikel:
Havemann, Julius: Auf alten Wegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0075

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Fäusten gegen die Tür getrommelt oder
das zierliche Kaffeegeſchirr in Scherben
zerſchlagen hätte. Sie begriff ſelbſt nicht,
warum ſie heute gerade ſo ſehr verdroß,
was ſie nun ſchon ſeit Monaten ertrug,
aber es half nichts, ſie kam heute nicht
darüber hinweg. Es bohrte und würgte in
ihr, peinigte ſie mit Vorftellungen, die ſie
nicht abwehren konnte, ſo oft ſie auch ver-
ſuchte, ſie zu verſcheuchen. Schließlich tat
ſie, was ſie ſonſt nie tat, wenn ſie den In-
tendanten auf Seitenwegen vermutete: ſie
telephonierte ihn an. Wartete atemlos mit
dem Hörer in der Hand, ob ſeine Stimme
antwortete, ſpürte ein tolles Herzklopfen,
ſo als ob alles darauf ankäme, daß er
heute, gerade heute nicht bei der Ohlen-
ſchläger war. Sie kam ſich ſelber töricht
vor, daß ſie auf ſeine Stimme wartete, und
wartete doch voll verſtiegener Hoffnung,
wie man zuweilen auf Unmögliches wartet.

Natürlich war er nicht da. Nach län-
gerem Suchen und verſchiedenen: „Bitte,
Exzellenz, ſich noch einen Augenblick zu
gedulden!“, antwortete der Sekretär, daß
Seine Exzellenz wohl einen Augenblick da-
geweſen, momentan aber nicht zu finden
ſei. Ob man Seiner Exzellenz etwas aus-
richten ſolle, wenn er ſpäter käme? Agnes
ſagte: „Danke, nein!“ und hing den Hörer
wieder ein.

Sie klingelte dem Diener, befahl ihm,

das Kaffeezeug abzuräumen, Licht zu
machen und alle Fenſter und Türen zu
öffnen, damit Zugluft entſtand. Sie ging
in ihr Zimmer, zog ihr dunkles Hauskleid
an, löſte die Goldbänder aus der etwas
wirr gewordenen Friſur. Als ſie wieder
ins Wohnzimmer kam, war die Luft friſch
und kühl, jede Nachſtimmung des heutigen
Mittags verflogen. Agnes fröſtelte ein
wenig, ſchloß Türen und Fenſter, zog die
Vorhänge zu und verſuchte, ihr abendliches
Penſum zu leſen. Aber ſie hatte immer
noch Sekt im Blut, ſtatt Buchſtaben ſah ſie
Feuerringe vor den Augen, und ihre Schlä-
fen pochten ſtark, faſt ſchmerzhaft. Wenn
ſie doch endlich von dem Bild hätte los-
kommen können: ihr Mann und die
Ohlenſchläger. Aber wie ſie ſich auch
mühte — die beiden, in Liebe verſtrickt,
verfolgten die einſame Frau, ob ſie ſich
auch wehrte und ſie nicht ſehen wollte. Sie
begann wieder, im Zimmer hin und her zu
gehen, langſam zuerſt, dann ſchnell und
ſchneller, und wie ſie ſo in ruheloſer Eile
umherirrte, ſtieg eine Erinnerung langſam
und leuchtend über den abſcheulichen Bil-
dern empor, die ſie quälten. Zwei braune,
knabenhaft helle Männeraugen waren in
tiefer Bewunderung auf ſie gerichtet
Da wurde ſie ruhiger in ihrem Inneren
und fühlte die Nähe eines verſtändnisvollen
Herzens. (Fortſetzung folgt)


Einſam heut durchſchritt ich wieder,
Stiller Fluß, dein dunkles Tal.
Seltſam fiel von Wolken nieder
Gold vom letzten Sonnenſtrahl.


Laute, die kein Mund mir ſprach,
Stiegen aus den frühen Stunden
Wie aus Gräbern an den Tag.

Warm wie Augen ſah ich's blinken,
Als der Mond aus Wäldern ſchlich
Und die Fledermaus auf flinken
Scheuen Flügeln uns umſtrich.
Blaſſe Flechten ſah ich ſchimmern
Heimlich wie das Glück und jung,
Und ein weihnachtliches Flimmern
Stahl ſich durch die Dämmerung.





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