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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Vor meinen Ohren tönt das alte Lied:
Es wenden die Herrſcher
Ihr ſegnendes Auge
Von ganzen Geſchlechtern,
Und meiden, im Enkel
Die ehmals geliebten
Still redenden Züge
Des Ahnherrn zu ſehn. 7

Es iſt Betrug, was man Goethes Olympier-
tum ſchreibt. All ſeine göttliche Heiterkeit
iſt Maske geweſen, der Welt gegenüber mit
Erhabenheit getragen. Dahinter ſitzt das
große Grauen.

Ach, wer wüßte es beſſer als wir, die wir
ihn lieben, ihm nachgegangen ſind in all die
Wege und Umwege eines mäandriſch ver-
ſchlungenen Lebens, daß er nicht der Halb-
gott war, zu dem das Bedürfnis der Menge
ihn ſtempeln möchte. ;

bin ein Menſch geweſen, und das
heißt ein Kämpfer ſein: Ein Kämpfer über
Abgründen, zwiſchen Sein und Nichtſein,
einer, der die Vergangenheit fühlt und nicht
die Zukunft, der die „Pyramide ſeines Lebens“
auftürmen muß, ſo hoch er immer kann, einen
majeſtätiſchen Tumulus, als Wahrzeichen
eines ungeheuren Wollens, das mit ihm
erſtirbt, in deſſen Schatten die frieren wer-
den, die das mit ihm erſchöpfte Geſchlecht
als letzte kraftloſe Sproſſen treiben wird.

Wenn das Glücksverlangen des warmblüti-
gen Menſchen ſchlummert, eingelullt iſt von
dem fernen Rauſchen der uralten Schickſals-
melodie, dann kommt das Inkommenſurable
in ihm zu Wort, ſpricht ihm dumpfe und
prophetiſche Worte ins Ohr, zeigt ihm in
Fernen grau und kalt und dämmernd das
dunkle Reich des Schattens, wo den von
Furien Umgetriebenen die Ruhe bereitet iſt.
Durch ſein ganzes Sein zieht ſich ein geheim-
nisvolles Wiſſen vom „Krampf des Lebens“
und von der ſüßen Hingegebenheit zur „Quelle
des Vergeſſens“, in die „ewigen Nebel“, eine
quälende Prophetie, die der helle Tag nicht
Wort haben will und die ſich doch nicht über-
täuben läßt vom Wirken des Tüchtigen, dem
dieſe Welt nicht ſtumm bleibt, die dro-
hend durch die Träume, die Nächte geht: Ver-
nimm, ich bin von Tantalus' Geſchlecht.

Ausgeſprochen, aktenmäßig niedergelegt
hat Goethe das nie. Offiziell, wenn man
ſich dieſes Ausdrucks bedienen will, hat er
all dies Quälende, Dumpfe, Drohende nicht
wahr haben wollen. Es ſollte nicht ſein,
man mußte es erſticken wie der Sohn der
Alkmene die göttergeſandten Schlangen. Und
man mußte wohl acht geben, daß es nicht
einen Funken von Leben behielt. Darum
dies mit leidenſchaftlicher Bewußtheit Sich-
anklammern an alles, was ſeiner Hoffnung

Nahrung gibt, dieſe ſo ſtark unterſtrichene
Freude an des Sohnes, der Enkel Geſund-
heit, Schönheit und vielverſprechenden Gaben,
die auch bei Goethes Mutter ſo heftig aus-
geſprochene Geſtalt annimmt, daß es auf-
fällig iſt. In dieſer Heftigkeit iſt viel mehr
als die herkömmliche Großmutter⸗ und Vater-
freude an der kräftig ſich entwickelnden Nach-
kommenſchaft, ſie iſt peinvoll und rührend
zugleich wie eines Kindes lautes Singen,
das ſeine Angſt inmitten einer nichts Gutes
verheißenden Umgebung übertönen will.
Aber es läßt ſich nicht übertäuben.

Faſt möchte es ſcheinen, Goethe habe mehr
gewußt, als er geſagt hat. In, Dichtung und
Wahrheit“ zieht er vor dem Leſer die Vor-
hänge weg, läßt ihn durch Schleier ſehn,
dunkles Wort in Spiegelung blitzt auf, faſt
hält man ein Gewiſſes ... da ſchlagen wieder
die Nebel zuſammen, und der Autor läßt
uns im Zweifel: war etwas da oder war
nichts da?

Ich möchte beinahe glauben, daß Goethe
Dinge, die ihm vom väterlichen Hauſe her
bekannt waren und die den Mannesſtamm
ſeiner Familie betrafen, gewußt und mit
Abſicht begraben hat. —

Aber dies iſt Hypotheſe. Da iſt etwas
geweſen, und zwar etwas Entſetzliches. Man
kann es als den Fluch des Genies nehmen
oder als etwas Reales, nicht recht Ausdenk-
bares. Es iſt müßig, darüber nachzudenken,
was es geweſen ſein mag.

Aber da iſt es geweſen. Es hat dage-
ſtanden, finſter und drohend und hat breite
Schatten über ein großes Leben gelegt,
Schatten, in denen Hauch des Todes wehte
und die Goethe doch vertraut waren wie et-
was Angeſtammtes, mit ihm Verwachſenes
— das er faſt liebte in kranken Stunden.

Wir wiſſen, daß alles Gerede von ſeiner
herrlichen Geſundheit Geſchwätz iſt. Das-
ſelbe Gift hat in ſeinem Blut geſeſſen, das
den Vater als Paralytiker ſterben ließ, die
Schweſter aus einer ſchweren Pſychoſe in
die andere ſtürzte. Es iſt ſo jammervoll
anzuſehen, wie ſie ſich dagegen wehren: der
Alte mit ſeiner Pedanterie und Rechthaberei,
die junge Frau mit ihrem Schönheitsdurſt
und Verlangen nach Freude und Glück. Es
ſpielt mit ihnen wie die Katze mit der Maus,
grauſam wie jene Mächte, die der Sohn und
Bruder ſo gut kannte. Er läßt ihnen Zeit
zum Aufatmen, Hoffnung erwacht und blickt
ſich ſchüchtern um, ſie raffen ſich auf, gehen
ein paar Schritt, o ſie können vielleicht auch
froh und leicht und geſund ſein wie andere
Menſchen, und die Erde iſt doch ſchön —
da zerrt es an ihnen, da fühlen ſie den Ruck,
der ſie niederſtürzt, ſie hinabreißt in den
 
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