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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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ine jede kleinere Kunſtſammlung

legt Zeugnis ab vom Geiſt und

von der Art ihres Beſitzers. Es

gibt Galerien reicher Sammler,

5 die mit erleſenen Stücken prunken,

und dennoch fühlt ſich der Beſucher trotz
aller Herrlichkeiten erkältet, abgeſtoßen.

Da ſieht er, wie ein Holländer, der viel-
leicht ein gedecktes graues Licht braucht, in
grellſte Beleuchtung geſtellt wird, weil das
Stück über 100000 Mark wert iſt, oder er
kann es erleben, daß eine umbriſche Madonna
in einer Altarniſche ſteht, die in dem Augen-
blicke, wo ſie der Herr Kammerdiener vor-
führt, durch elektriſchen Knips in einer veri-
tablen Theaterbeleuchtung erſtrahlt.

Das ſind arge Fälle. Aber ebenſo ver-
letzend wirkt es, wenn ſich das Minderwertige
neben dem Bedeutenden breitmacht, oder
wenn feine Stücke, die gerade zurzeit keinen
hohen Marktpreis haben, in dunkle Ecken
gerückt werden.

Es iſt gefährlich, ſeine Sammlungen zu
zeigen. Sie verraten von den Sinnen und
von dem Charakter des Beſitzers oft mehr
als dieſer glaubt. Sie melden auch dem
Beſucher, ob die Sammlung aus einer reinen
Neigung zum Schönen erwachſen iſt oder
aus Habgier oder aus jener eigentümlichen
Manie zur Komplettierung, die oftmals zum
Ruin des kleinen Sammlers führt.

Auch die großen alten Galerien haben
ihren Charakter, ihr Geſicht. Auch ſie legen
Zeugnis ab von ihren Beſitzern und ihren
Verwaltern. Aber es iſt ein langer orga-
niſcher Entwicklungsweg von den erſten An-
fängen jener großen Sammlungen, wie ſie
ſich heute in den Muſeen darſtellen, bis zu
jenen modernen Anfängen, da die großen
Herren den Grundſtock legten.

Wie war doch der Weg? Die Freude
an Glanz und Prunk war der Ausgangs-
punkt. So wurden Aufträge gegeben, um
Kunſtwerke auszuführen, oder Stücke, die
ſich eines großen Ruhmes erfreuten, wurden
gekauft. Jene Mächtigen der Renaiſſance,
die da Antiken ſammelten, hatten vielleicht
zu den einzelnen Kunſtwerken ein ähnliches
Verhältnis wie unſere Plutokraten von heute.
Einige erlebten dieſe Schönheit, andere folg-
ten nur der Mode.

Es darf nicht vergeſſen werden, daß Ende
des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden
der reiche Bauer ſein Geld in Bildern an-
legte. Noch war die Spekulation in Tulpen
nicht gekommen, und die Spekulation in
Papieren lag in weiter Ferne. Da waren
denn Bilder eine willkommene Wertanlage,
weil ja draußen in Frankreich, England und

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Deutſchland Fürſten und reiche Kaufherren
gerne ein ſchönes niederländiſches Bild in
ihren Beſitz brachten, um es als ein Wun-
der „künſtlicher Fertigkeit und menſchlichen
Witzes“ zu zeigen. So traten ſchon in den
Anfängen der europäiſchen Sammlertätigkeit
jene merkantilen Züge zutage, die heute faſt
ausſchlaggebend ſind.

Im Laufe der Jahrzehnte wurden dann
mehr und mehr die Bilder von bedeuten-
dem Werte den kleinen Sammlern entriſſen
und gelangten in ſtarke kapitalkräftige Hände.
Zugleich iſt eine Entwertung der Bilder
zu beobachten, die etwa 1728 mit dem
Lawſchen Aktienſchwindel beginnt und ſich
bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts
hinzieht. Es iſt dies beſonders an den
Preiſen alter Holländer feſtzuſtellen. In
dieſer Epoche ſind die Bilder völlig von der
Mode des Tages abhängig. Das Rokoko
vernachläſſigt die alten Deutſchen und die
älteren Italiener völlig. In Deutſchland be-
ginnt um 1786 etwa eine Vorliebe für alt-
deutſche Gemälde, während die Romantiker,
wie E. Th. A. Hoffmann, Guido Reni und
Salvator Roſa bevorzugten. Mit der Neu-
belebung religiöſen Empfindens wenden ſich
die Augen den Umbriern zu, Perugino
wird neu entdeckt, Raffael wird der Gott
des Tages.

Alle dieſe Modeſtrömungen lagern ihre
Merkmale ab in den Sammlungen der großen
Herren. Was nicht Mode iſt, wandert in
die Speicher, wird inventariſiert und nicht
weiter beachtet, da zum Glück noch keine
ſpekulativen Käufer vorhanden ſind, die ſolche
unmodernen Stücke kaufen.

Bis zu Winckelmann gab es ja nur eine
Wiſſenſchaft vom Schönen: die Aſthetik. Die
Kunſtwiſſenſchaft ſelbſt entwickelte ſich erſt
mit dem ſtärker werdenden hiſtoriſchen Sinn,
der für das Denken des 19. Jahrhunderts
von ausſchlaggebender Bedeutung werden
ſollte. Durch die Kunſtwiſſenſchaft erſt wurde
das Gerechtigkeitsprinzip in die Sammlungen
getragen, und ſo konnten die Muſeen er-
ſtehen, in denen die Zeitepochen ihren Platz
fanden und die Bilderreihen an den Wänden
Jahrhundertringen glichen.

In dieſem zunächſt lehrhaften Bemühen,
Einblicke in die Geſchichte der Kunſt zu
geben, wurde aber das natürliche Gefühl für
das Schöne vernachläſſigt. Es war der Ehr-
geiz, in einem Saale alles vollſtändig zu zeigen,
was ſich aus einer Zeit vorfand. Wer hat
ſie nicht geſehen vor zwanzig, dreißig Jahren,
jene Säle, in denen die Bilder nebeneinander
klebten wie Briefmarken auf der Seite eines
Albums! Aber wie dem regiſtrierenden
 
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