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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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XXVIII. Jahrgang 1913/1914

nF (

155


Heft 8. April 1914 W

2727 TTT



n der Mole von Abbazia lag der
Dampfer „Daniel Ernö“ reiſe-
ie fertig. Er ſollte aus dem Quar-
nero zu den dalmatiniſchen
Häfen fahren. Es war ein Frühlings-
nachmittag von jener trügeriſchen Schön-
heit, die nur für Seefeſte Hoffnung birgt.
Das Hafenwaſſer ſtill, unter mildem,
blauem Himmel — draußen hinter dem
Steindamm ein Sprühen und Tanzen auf
der weiten Fläche, Luſtigkeit ſcheinbar auf
jedem Segler, der ſchräg geweht in die
Adria hinauswollte. Dennoch wurde der
Dampfer ſtark beſetzt. Zaghafte Gemüter
mieden es aus Scham, das Wetter für
ſchlecht zu halten — feſte gingen vergnügt
über die ſchmale Brücke auf das Schiff.
Schon füllte eine elegante Menge das
Oberdeck. Auf der Mole blieben noch
drei junge Mädchen, die trotz ihrer Ver-
ſchiedenheit einander ähnlich waren und
auch durch die faſt übereinſtimmende Klei-
dung ſich als Schweſtern dokumentierten.
Man kannte die Brahes. Schlanke, kräf-
tige Geſtalten, blond, von dem vollen und
trockenen Blond der Skandinavierinnen.
Zwiſchen 25 und 20 Jahren, wetterge-
bräunt, mit einem etwas harten Reiz, der
nicht beim erſten Anblick gewann. Man
mußte ſie länger betrachten. Dann ſah
man, daß Betty, die Alteſte, ſchön war,
aber wenig Leidenſchaft in den Augen
hatte. Die ſpürte man um ſo ſtärker bei
Thora, der Jüngſten, deren Züge unregel-
mäßiger, aber reizvoller waren. Ihre

kleine, geſchmeidige Geſtalt war der Gegen-
ſatz zu Bettys hoher Üppigkeit. Hinter
dieſen beiden Schweſtern ſtand Helene, die
Mittlere, zurück. Sie hinkte infolge eines
Unfalls in früher Kindheit und hatte
etwas Eckiges, Ringendes behalten. An
Kraft übertraf ſie die Schweſtern, aber ſie
blieb ſich ihres Mangels ſtets bewußt.
Das wollten Betty und Thora nicht auf-
kommen laſſen. Abſichtlich kleideten ſie ſich
mit einer künſtleriſchen Schlichtheit, die
Helene mitmachen konnte. So blieb es
ein harmoniſches Trio. _

Heute war der Schweſternbund geſtört.
Sie hatten ſchon lange auf der Mole ge-
ſtanden und mit leiſer Heftigkeit debattiert.
Sie wollten den „Daniel Ernö“ beſteigen
und wollten es doch nicht. Eine weite
Reiſe hatten ſie gewiß nicht vor; nach
ihren Handtäſchchen zu urteilen handelte
es ſich um einen Abendausflug. Der
Vater, der ſonſt immer dabei war, ließ ſich
noch nicht blicken. Plötzlich ſah man, daß
Helene ſich mit einem Achſelzucken ab-
wandte und die Mole zurück auf Abbazia
zuſchritt. Thora machte eine Bewegung,
als wollte ſie ihr folgen. „Komm, Betty!
Sie hat recht! Heut müſſen wir's ihm
zeigen! Es iſt eine Unverſchämtheit!“

„Aber was denn?“ fragte die hübſche


fällt dir denn ein? Ich werde doch nicht
Lenes Verfolgungswahn mitmachen? Wir
haben uns den Ausflug nach Bocclari vor-
genommen — alſo machen wir ihn.“
 
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