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: Vom deutſchen Imperialismus 1 :
SR D Von 0 Dr. SDttop@oegicI) QEME‚
s find kaum mehr als anderthalb
Jahrzehnte, ſeitdem das aus Eng-
land herübergenommene Schlag-
wort des Imperialismus auch für
unſere deutſche Betätigung in der
Welt angewendet wird. Und heute begeg-
net man ſchon oft einer Abneigung gegen
dieſes Schlagwort, das weite Kreiſe unſeres
Volkes für unſere Politik als zu anſpruchs-
voll empfinden gegenüber dem, was in die-
ſem Zeitraume praktiſch für uns erreicht wor-
den ſei. Überall ſehen wir die Konkurrenz-
völker voran⸗ und weiterkommen in der
Neuverteilung der Welt, während, mag es
ſich um Oſtaſien oder um Afrika, um die
aſiatiſche Türkei oder Südamerika handeln,
für die reale Ausdehnung des deutſchen
Weltmachteinfluſſes nichts Rechtes heraus-
kommt. So kritiſiert man in weiten Kreiſen
an der Führung der Politik, an den
Staatsmännern, die ſie tragen, an den Ver-
tretungen des Reiches draußen, und ein im-
mer wachſendes Gefühl des Unbehagens
gegenüber unſerer außerpolitiſchen Stellung
führt leicht dazu, ſich von den weltpolitiſchen
Ideen wieder ganz abzuwenden, mit denen
wir uns eben erſt ſeit Mitte der neunziger
Jahre durchtränkt haben. Denn wir ſpüren
jetzt allzuſehr, daß es in dem Tempo, in
dem wir davon träumten und das uns
unſere allerdings außerordentlich raſche Ent-
wicklung als möglich vor die Augen ſtellte,
doch nicht mit unſerer weltpolitiſchen Betäti-
gung vorangeht.
Was bedeutet die Welt in den ſtolzen
Worten von der deutſchen Weltmacht und
deutſchen Weltpolitik, die ſo unendlich oft in
den letzten zwei Jahrzehnten bei uns ge-
braucht worden ſind? Die Geſchichte lehrt
uns, daß dieſes Wort Welt ſchon ſehr früh
gebraucht wurde in einer uns heute ganz
naiv anmutenden Weiſe, weil die geogra-
phiſche Ausdehnung dieſes Begriffes ſich noch
längſt nicht mit der ganzen Fläche unſeres
Planeten deckte. War doch von dieſem über-
haupt erſt ein kleiner Teil bekannt, als ſchon
der Begriff des Weltreiches ausgeſprochen
wurde, und war doch vollends von einer
Einheit auch nur des ſchon bekannten Teiles
noch gar nicht die Rede. Dabei ſei ganz
abgeſehen von der naiven Unbeſcheidenheit
des Menſchen, der ohne weiteres in ſolchen
Vorſtellungen Welt und ſeinen kleinen Pla-
neten in ihr gleichſetzte und gleichſetzt.
So hat es Weltreiche gegeben von den
Urzeiten der Geſchichte her. An die Welt-
reiche, die uns aus dem Alten Teſtament
in der Schule gelehrt werden, ſei nur eben
erinnert. Dann haben die Römer ihr Welt-
reich aufgerichtet. Karl der Große hat ein
ſolches gegründet, und ſeine Nachfolger auf
dem römiſch-deutſchen Kaiſerthrone haben
dieſer Idee weiter nachgejagt. Sehen wir
die Grenzen dieſer verſchiedenen Weltreiche
auf einer Erdkarte an, ſo wird klar, daß
keines auch nur im entfernteſten die ganze
Erde umfaßt hat, und wird uns deutlich,
wie eigentlich gedankenlos wir den Begriff
einer Weltgeſchichte brauchen, der uns ent-
gegengebracht wird, ſei es in der Krone deut-
ſcher Geſchichtsſchreibung, in Leopold Rankes
Weltgeſchichte, oder in anderen, populäreren
Weltgeſchichten allerart und aller Stand-
punkte. Denn überall iſt da in der Haupt-
ſache Weltgeſchichte nur die Geſchichte deſſen,
was im Altertum und Mittelalter die Welt
war, nämlich der Kulturkreis der Mittel-
meerländer mit ihren Ausſtrahlungen. Für
jedes Zeitalter iſt eben der Begriff Welt das
Gebiet, das ſein Horizont, ſein geographi-
ſcher, ſein politiſcher und kultureller Horizont
umſpannt, und indem jedes Zeitalter mit
dieſer Einheit zugleich auch die Idee einheit-
licher Beherrſchung verband, entſtehen die
Begriffe Weltreich und Weltpolitik, die wir
anzuwenden gelernt haben auf das Reich
der Römer, auf das Karls des Großen oder
das Karls V. Schon in dieſen Namen aber
iſt ausgeſprochen, wie ſich der Schauplatz
immer mehr erweiterte: Von jenem Mittel-
meerkreis nach dem Norden, über das heu-
tige Weſt⸗ und Mitteleuropa hin und dann
mit den Entdeckungen des 15. und 16. Jahr-
hunderts über See. Daß einmal ſich der
Begriff einer Weltpolitik vollſtändig decken
mußte mit dem Schauplatze der ganzen Erde
— das iſt ſchon in der Frühzeit ſolcher Welt-
politik deutlich empfunden worden: als Papſt
Alexander VI. 1493 die Erdkugel teilte zwi-
ſchen Spanien und Portugal, den Oſten dem
und den Weſten jenem mit dem Zuge ſeines
Griffels zuſchreiben wollte. Aber nur im
Rauſch der Phantaſie, noch nicht im Ernſt
hat dieſe romaniſche Conquiſta den Erdball
wirklich umſpannt. Dazu mußten noch ge-
nau vier Jahrhunderte vergehen, Jahrhun-
derte ſtärkſter wirtſchaftlicher Arbeit, die
ſchließlich zum Exportkapitalismus wurde,
und Jahrhunderte kühner Entdeckungs⸗ und
Forſchungsfahrten, die zwar auch in unſerer
Gegenwart noch nicht das Antlitz der Erde
vollſtändig entſchleiert, aber in der Hauptſache
doch die wichtigſten Rätſel ſchon gelöſt haben.
So hat ſich der Schauplatz immer mehr
durch jene Entdeckungen des 15. und 16. Jahr-
hunderts, die großen Forſchungsreiſen des
19. Jahrhunderts, durch die Eröffnung des
chineſiſchen und japaniſchen Reiches uſw.
erweitert, ſo daß wir ſagen können: Wenn
wir heute den Ausdruck Weltpolitik brauchen,
ſo deckt ſich für uns der Schauplatz für die-
ſen Begriff mit der ganzen Erde, mag ſie
bewohnt oder nicht bewohnt ſein. Das iſt
das Neue, das uns durch die bekannten Er-
eigniſſe von 1894 an bis gegen Ende des
Jahrhunderts ſo deutlich gemacht worden iſt.
: Vom deutſchen Imperialismus 1 :
SR D Von 0 Dr. SDttop@oegicI) QEME‚
s find kaum mehr als anderthalb
Jahrzehnte, ſeitdem das aus Eng-
land herübergenommene Schlag-
wort des Imperialismus auch für
unſere deutſche Betätigung in der
Welt angewendet wird. Und heute begeg-
net man ſchon oft einer Abneigung gegen
dieſes Schlagwort, das weite Kreiſe unſeres
Volkes für unſere Politik als zu anſpruchs-
voll empfinden gegenüber dem, was in die-
ſem Zeitraume praktiſch für uns erreicht wor-
den ſei. Überall ſehen wir die Konkurrenz-
völker voran⸗ und weiterkommen in der
Neuverteilung der Welt, während, mag es
ſich um Oſtaſien oder um Afrika, um die
aſiatiſche Türkei oder Südamerika handeln,
für die reale Ausdehnung des deutſchen
Weltmachteinfluſſes nichts Rechtes heraus-
kommt. So kritiſiert man in weiten Kreiſen
an der Führung der Politik, an den
Staatsmännern, die ſie tragen, an den Ver-
tretungen des Reiches draußen, und ein im-
mer wachſendes Gefühl des Unbehagens
gegenüber unſerer außerpolitiſchen Stellung
führt leicht dazu, ſich von den weltpolitiſchen
Ideen wieder ganz abzuwenden, mit denen
wir uns eben erſt ſeit Mitte der neunziger
Jahre durchtränkt haben. Denn wir ſpüren
jetzt allzuſehr, daß es in dem Tempo, in
dem wir davon träumten und das uns
unſere allerdings außerordentlich raſche Ent-
wicklung als möglich vor die Augen ſtellte,
doch nicht mit unſerer weltpolitiſchen Betäti-
gung vorangeht.
Was bedeutet die Welt in den ſtolzen
Worten von der deutſchen Weltmacht und
deutſchen Weltpolitik, die ſo unendlich oft in
den letzten zwei Jahrzehnten bei uns ge-
braucht worden ſind? Die Geſchichte lehrt
uns, daß dieſes Wort Welt ſchon ſehr früh
gebraucht wurde in einer uns heute ganz
naiv anmutenden Weiſe, weil die geogra-
phiſche Ausdehnung dieſes Begriffes ſich noch
längſt nicht mit der ganzen Fläche unſeres
Planeten deckte. War doch von dieſem über-
haupt erſt ein kleiner Teil bekannt, als ſchon
der Begriff des Weltreiches ausgeſprochen
wurde, und war doch vollends von einer
Einheit auch nur des ſchon bekannten Teiles
noch gar nicht die Rede. Dabei ſei ganz
abgeſehen von der naiven Unbeſcheidenheit
des Menſchen, der ohne weiteres in ſolchen
Vorſtellungen Welt und ſeinen kleinen Pla-
neten in ihr gleichſetzte und gleichſetzt.
So hat es Weltreiche gegeben von den
Urzeiten der Geſchichte her. An die Welt-
reiche, die uns aus dem Alten Teſtament
in der Schule gelehrt werden, ſei nur eben
erinnert. Dann haben die Römer ihr Welt-
reich aufgerichtet. Karl der Große hat ein
ſolches gegründet, und ſeine Nachfolger auf
dem römiſch-deutſchen Kaiſerthrone haben
dieſer Idee weiter nachgejagt. Sehen wir
die Grenzen dieſer verſchiedenen Weltreiche
auf einer Erdkarte an, ſo wird klar, daß
keines auch nur im entfernteſten die ganze
Erde umfaßt hat, und wird uns deutlich,
wie eigentlich gedankenlos wir den Begriff
einer Weltgeſchichte brauchen, der uns ent-
gegengebracht wird, ſei es in der Krone deut-
ſcher Geſchichtsſchreibung, in Leopold Rankes
Weltgeſchichte, oder in anderen, populäreren
Weltgeſchichten allerart und aller Stand-
punkte. Denn überall iſt da in der Haupt-
ſache Weltgeſchichte nur die Geſchichte deſſen,
was im Altertum und Mittelalter die Welt
war, nämlich der Kulturkreis der Mittel-
meerländer mit ihren Ausſtrahlungen. Für
jedes Zeitalter iſt eben der Begriff Welt das
Gebiet, das ſein Horizont, ſein geographi-
ſcher, ſein politiſcher und kultureller Horizont
umſpannt, und indem jedes Zeitalter mit
dieſer Einheit zugleich auch die Idee einheit-
licher Beherrſchung verband, entſtehen die
Begriffe Weltreich und Weltpolitik, die wir
anzuwenden gelernt haben auf das Reich
der Römer, auf das Karls des Großen oder
das Karls V. Schon in dieſen Namen aber
iſt ausgeſprochen, wie ſich der Schauplatz
immer mehr erweiterte: Von jenem Mittel-
meerkreis nach dem Norden, über das heu-
tige Weſt⸗ und Mitteleuropa hin und dann
mit den Entdeckungen des 15. und 16. Jahr-
hunderts über See. Daß einmal ſich der
Begriff einer Weltpolitik vollſtändig decken
mußte mit dem Schauplatze der ganzen Erde
— das iſt ſchon in der Frühzeit ſolcher Welt-
politik deutlich empfunden worden: als Papſt
Alexander VI. 1493 die Erdkugel teilte zwi-
ſchen Spanien und Portugal, den Oſten dem
und den Weſten jenem mit dem Zuge ſeines
Griffels zuſchreiben wollte. Aber nur im
Rauſch der Phantaſie, noch nicht im Ernſt
hat dieſe romaniſche Conquiſta den Erdball
wirklich umſpannt. Dazu mußten noch ge-
nau vier Jahrhunderte vergehen, Jahrhun-
derte ſtärkſter wirtſchaftlicher Arbeit, die
ſchließlich zum Exportkapitalismus wurde,
und Jahrhunderte kühner Entdeckungs⸗ und
Forſchungsfahrten, die zwar auch in unſerer
Gegenwart noch nicht das Antlitz der Erde
vollſtändig entſchleiert, aber in der Hauptſache
doch die wichtigſten Rätſel ſchon gelöſt haben.
So hat ſich der Schauplatz immer mehr
durch jene Entdeckungen des 15. und 16. Jahr-
hunderts, die großen Forſchungsreiſen des
19. Jahrhunderts, durch die Eröffnung des
chineſiſchen und japaniſchen Reiches uſw.
erweitert, ſo daß wir ſagen können: Wenn
wir heute den Ausdruck Weltpolitik brauchen,
ſo deckt ſich für uns der Schauplatz für die-
ſen Begriff mit der ganzen Erde, mag ſie
bewohnt oder nicht bewohnt ſein. Das iſt
das Neue, das uns durch die bekannten Er-
eigniſſe von 1894 an bis gegen Ende des
Jahrhunderts ſo deutlich gemacht worden iſt.