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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Palma

enn der Wald weiß wird, kriecht
der Dachs in den Bau! ſagte
ſich Stefan Tſchorba, der in

2 der Gefängniszelle auf dem
Je ſaß und eigentlich Tabak rupfen
ſollte. Er rupfte aber keinen, ſondern ſtieß
die braunen Bündel mit dem Fuß von ſich,
verzog nachdenklich das ein wenig ange-
welkte Geſicht und betrachtete ein Haar,
das er ſich aus der Kopfhaut gezogen hatte.
Das Haar war ſchon weiß.

„Heut iſt mein letzter Tag hier, ſprach
er zu ſich ſelber. „Morgen, am Tage der
heiligen Petronella, die meiner Mutter
Schutzheilige war, werde ich wieder frei.


men. Ich werde mein Gewerbe ändern.“
Jahrzehntelang war der Alte der
Schrecken der Gegend geweſen, die ſich
zwiſchen der Donauſtadt Waitzen bis in
das bergige Gelände der hohen Matra
hinaufzog. Er war als Viehdieb berüch-
tigt, galt als verwegen wie ein Wolf, ſchlau
wie ein Fuchs und ſchnell wie ein Wind-
hund. Keine Hürde und kein Stall war
ſicher vor ihm geweſen, und wenn er die
geſtohlenen Rinder und Schafe davon-
führte, wendete er ſoviel Liſt dabei auf,
daß die Panduren faſt immer zu ſpät kamen
oder gar an ihm vorüberritten. Jetzt war
er fünfundfünfzig Jahre alt und war es
müde, ſich hetzen zu laſſen. Er würde ſchon
einen Unterſtand finden, wo er Freiheit
und Sonne in Sicherheit genießen konnte!
In der Mittagsſtunde des andern Tages
marſchierte er aus. Seit zwei Jahren
trug er zum erſtenmal wieder ſeine alten,
hohen Schmierſtiefel. Sie waren hart ge-
worden und ſchmerzten ihn, aber er freute


des Flures vor der heute für ihn geöffneten
Tür laut aufſchlagen hörte. Den gewal-
tigen Wuchs in den gewohnten leinenen
Beinkleidern und im bauſchigen Hemd,
den Ledergurt um die Hüften und die
Lammfellmütze auf dem grauen Haar trat
er auf die Straße. Die Frühlingsſonne
ſtand hoch und brannte und blendete heiß.
Er hob ihr den im Verhältnis zu den


maſſigen Schultern ſchmalen und kleinen
Kopf mit einem heftigen Ruck entgegen.

Mit ſchweren aber ſchnellen Schritten
ging er das Stückchen der holprigen Straße,
vor der die Mautſperre lag, hinauf.
Bald war er aus der Stadt heraus, ſah
hohe Saaten um ſich, roch den würzigen
Duft der Heide und hängte ſeine Gedanken
an die blauragende Bergkette dahinter.
Wie oft hatte er dort die ſicherſten Schlupf-
winkel gefunden! Aber nicht darum wollte
er diesmal dahin zurück! Er wollte einen
Dienſt antreten wie andere! Wer auch
würde es wagen, ihn nicht aufzunehmen?
Man kannte ihn in drei Komitaten, und
die Burſchen hatten ſchon vor zwanzig
Jahren in den Tſchardas zu Wein und
Schnaps Heldenlieder von ihm geſungen!

Ohne langes Beſinnen ſchlug er den
hügeligen, gewundenen Weg nach Loſonczy
ein. Dort wohnte der Großbauer Daniel
Molnar, der reicher an Vieh war als alle
andern Beſitzer der Gegend. Tſchorba
hatte ihn oft beſtohlen, aber heute trat er
ihm offen und frei entgegen.

Molnar ſaß braun wie eine Walnuß-
ſchale unter einer alten Eiche, die Tiſch
und Bank überſchattend vor dem Stein-
haus ſtand. Er ſchnitt ſich Käſe zum Brot
und trank Slibowitz dazu. Während
Tſchorba ſein Anliegen mit abgezogener
Fellmütze vorbrachte, zwinkerte er ihn mit
den kleinen Augen an. „Iſt es wirklich
dein Ernſt, daß du mir ein getreuer Hirt
werden willſt?“ fragte er ſchließlich.

„So wahr mir Gott!“ beteuerte Tſchorba.

Da wurde der alte Viehdieb über die
unermeßlichen Schafherden geſetzt, die auf
Molnars weitem Heideland weideten.

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Das Leben, das Stefan Tſchorba von
nun an als Hirte führte, verlief anfänglich
genau ſo, wie er es ſich gedacht und ge-
wünſcht hatte. Die freie Weite füllte
ſeine Lungen mit kräftiger Luft; gegen den
Hunger erſchlug er ſich mit dem Stockbeil
Lämmer, ſoviel er mochte, machte ſich Gu-
laſch daraus und knetete ſich aus der
Schafmilch Käschen. Sein Getränk war
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