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waren ihrer nicht gar viele, denn mitten
im Winter war der Fremdenbeſuch nicht
ſtark, und es bedurfte kaum einiger Minu-
ten Zeit, um Briefe und Karten an dem
großen Schlüſſelbrett bei den entſprechen-
den Zimmernummern anzuhaken. Ein Ein-
ſchreibpaket behielt der Portier in der Hand,
las die Adreſſe und rief einen Boy, der in
der Vorhalle tatenlos herumſaß: „Flink,
trag das Packerl hinauf zu Gnaden Exzel-
lenz von Plank, und das Einſchreibbüchl
dazu, ſie muß unterſchreiben!“
Der Boy wollte ſich gerade in Bewe-
gung ſetzen, als Agnes, zum Ausgehen
angezogen, die Treppe herunter kam. Sie
nahm das Paket, das ausſah, als ob es
Schriftſtücke enthielte, lächelte, unterſchrieb
und gab dem Poſtboten ein Trinkgeld.
Der Portier ſagte: „Wenn Euer Gnaden
ausgehen wollen, könnt' das Packerl ja
liegen bleiben, bis Euer Gnaden wieder
heimkommen, oder auch ich laſſ' hinauf-
tragen aufs Zimmer von Euer Gnaden!“
Agnes dankte, ließ aber das kleine Paket
nicht aus der Hand, ſondern trug es ſelbſt
hinauf in das Zimmer, das nun ſchon ſeit
Wochen ihre Wohnung war. Sie legte es,
wie es war, verſchnürt und verſiegelt, auf
den Schreibtiſch, zuckte zwar einen Augen-
blick mit der Hand, um es zu öffnen,
bezwang ſich aber und ging, um ihren
täglichen Spaziergang zu machen. Sie
mußte die helle, ſonnige Zeit nützen, denn
wenn die Dämmerung erſt ſank, fühlte ſie
ſich in den Straßen und der Umgegend der
fremden Stadt ſo verlaſſen, ſo todeinſam,
daß ſie wie gejagt von Angſt und Not ſchon
manches Mal ganz außer Atem ins Hotel
zurückgekommen war, um dort in Licht und
Wärme wieder ein bißchen Heimatgefühl
zu empfinden. Sie wollte die Zeit nützen
und ſich daneben noch freuen können auf
die überraſchung, die in dem Paket wartete,
denn eine überraſchung würde es immer
für ſie ſein, obwohl ſie wußte, was die
Blätter bargen, die es enthielt.
Seit ſechs Wochen, ſeit dem Abend der
Griechentragödie, lebte Agnes in Salzburg.
Ihre Abreiſe hatte ſich nicht ohne Aufſehen
vollzogen, denn ohne daß ſie's wollte, hatte
ſie ſelbſt Anlaß zu Gerede und Skandal
gegeben, die immer noch die Stadt erfüll-
ten. Sie hatte in ihrer Verzweiflung da-
mals den Rout des Geſandten völlig ver-
geſſen, und ihr Mann, der ſich bei ihrem
plötzlichen, lautloſen Abgang aus der Loge
nichts anderes gedacht hatte, als daß ſie
voranfahren würde in den Geſandtſchafts-
palaſt, war wie vom Donner gerührt, als
die Geſandtin fragte: „Und Ihre Frau
Gemahlin, Exzellenz? Sie hatte uns doch
verſprochen, daß ſie nach dem erſten oder
zweiten Akt kommen würde..“ Plank
war freilich Welt⸗ und Theatermann ge-
nug, um ſeinen Schreck hinter einem wohl-
erzogenen Staunen zu verbergen und den
beſorgten Ehemann zu ſpielen, der fürchtet,
daß ſeiner Frau etwas zugeſtoßen ſein
könnte. Er ſetzte ſich ſofort telephoniſch
mit ſeinem Haus in Verbindung und er-
fuhr, daß Ihre Exzellenz ſoeben nach Hauſe
gekommen und gleich ſchlafen gegangen
ſei. Der Intendant wußte ſofort, wie er
daran war, und ſchäumte innerlich vor
Wut, aber er behielt auf der Stirn die
zärtlichen Sorgenfalten und in der Stimme
den gedämpften Ton ängſtlicher Gatten-
liebe. Er teilte der Geſandtin flüſternd
mit, daß ſeine Frau von einem plötzlichen
Unwohlſein befallen ſei und daß er unter
dieſen Umſtänden ſelbſtverſtändlich ſo
ſchnell wie möglich nach Hauſe wolle. Die
Geſandtin, die eben ſo gut geſchult war
wie er, drückte ihm ihr Bedauern aus,
hoffte, daß das Unwohlſein von Agnes
nichts Ernſtliches zu bedeuten habe, und be-
hielt ihr Lächeln wohlwollenden Bedauerns
bei, bis er verſchwunden war. Flüſternd,
immer mit ihrem teilnehmenden Damen-
lächeln, teilte ſie dem und jenem mit, was
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waren ihrer nicht gar viele, denn mitten
im Winter war der Fremdenbeſuch nicht
ſtark, und es bedurfte kaum einiger Minu-
ten Zeit, um Briefe und Karten an dem
großen Schlüſſelbrett bei den entſprechen-
den Zimmernummern anzuhaken. Ein Ein-
ſchreibpaket behielt der Portier in der Hand,
las die Adreſſe und rief einen Boy, der in
der Vorhalle tatenlos herumſaß: „Flink,
trag das Packerl hinauf zu Gnaden Exzel-
lenz von Plank, und das Einſchreibbüchl
dazu, ſie muß unterſchreiben!“
Der Boy wollte ſich gerade in Bewe-
gung ſetzen, als Agnes, zum Ausgehen
angezogen, die Treppe herunter kam. Sie
nahm das Paket, das ausſah, als ob es
Schriftſtücke enthielte, lächelte, unterſchrieb
und gab dem Poſtboten ein Trinkgeld.
Der Portier ſagte: „Wenn Euer Gnaden
ausgehen wollen, könnt' das Packerl ja
liegen bleiben, bis Euer Gnaden wieder
heimkommen, oder auch ich laſſ' hinauf-
tragen aufs Zimmer von Euer Gnaden!“
Agnes dankte, ließ aber das kleine Paket
nicht aus der Hand, ſondern trug es ſelbſt
hinauf in das Zimmer, das nun ſchon ſeit
Wochen ihre Wohnung war. Sie legte es,
wie es war, verſchnürt und verſiegelt, auf
den Schreibtiſch, zuckte zwar einen Augen-
blick mit der Hand, um es zu öffnen,
bezwang ſich aber und ging, um ihren
täglichen Spaziergang zu machen. Sie
mußte die helle, ſonnige Zeit nützen, denn
wenn die Dämmerung erſt ſank, fühlte ſie
ſich in den Straßen und der Umgegend der
fremden Stadt ſo verlaſſen, ſo todeinſam,
daß ſie wie gejagt von Angſt und Not ſchon
manches Mal ganz außer Atem ins Hotel
zurückgekommen war, um dort in Licht und
Wärme wieder ein bißchen Heimatgefühl
zu empfinden. Sie wollte die Zeit nützen
und ſich daneben noch freuen können auf
die überraſchung, die in dem Paket wartete,
denn eine überraſchung würde es immer
für ſie ſein, obwohl ſie wußte, was die
Blätter bargen, die es enthielt.
Seit ſechs Wochen, ſeit dem Abend der
Griechentragödie, lebte Agnes in Salzburg.
Ihre Abreiſe hatte ſich nicht ohne Aufſehen
vollzogen, denn ohne daß ſie's wollte, hatte
ſie ſelbſt Anlaß zu Gerede und Skandal
gegeben, die immer noch die Stadt erfüll-
ten. Sie hatte in ihrer Verzweiflung da-
mals den Rout des Geſandten völlig ver-
geſſen, und ihr Mann, der ſich bei ihrem
plötzlichen, lautloſen Abgang aus der Loge
nichts anderes gedacht hatte, als daß ſie
voranfahren würde in den Geſandtſchafts-
palaſt, war wie vom Donner gerührt, als
die Geſandtin fragte: „Und Ihre Frau
Gemahlin, Exzellenz? Sie hatte uns doch
verſprochen, daß ſie nach dem erſten oder
zweiten Akt kommen würde..“ Plank
war freilich Welt⸗ und Theatermann ge-
nug, um ſeinen Schreck hinter einem wohl-
erzogenen Staunen zu verbergen und den
beſorgten Ehemann zu ſpielen, der fürchtet,
daß ſeiner Frau etwas zugeſtoßen ſein
könnte. Er ſetzte ſich ſofort telephoniſch
mit ſeinem Haus in Verbindung und er-
fuhr, daß Ihre Exzellenz ſoeben nach Hauſe
gekommen und gleich ſchlafen gegangen
ſei. Der Intendant wußte ſofort, wie er
daran war, und ſchäumte innerlich vor
Wut, aber er behielt auf der Stirn die
zärtlichen Sorgenfalten und in der Stimme
den gedämpften Ton ängſtlicher Gatten-
liebe. Er teilte der Geſandtin flüſternd
mit, daß ſeine Frau von einem plötzlichen
Unwohlſein befallen ſei und daß er unter
dieſen Umſtänden ſelbſtverſtändlich ſo
ſchnell wie möglich nach Hauſe wolle. Die
Geſandtin, die eben ſo gut geſchult war
wie er, drückte ihm ihr Bedauern aus,
hoffte, daß das Unwohlſein von Agnes
nichts Ernſtliches zu bedeuten habe, und be-
hielt ihr Lächeln wohlwollenden Bedauerns
bei, bis er verſchwunden war. Flüſternd,
immer mit ihrem teilnehmenden Damen-
lächeln, teilte ſie dem und jenem mit, was