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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 8
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Höffner, Johannes: Der Flieger
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0712

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Deheimrat Niethardt ſchob mit
einem Ruck die Füße unter den
Y«Echreibtiſchſeſſel und beugte ſich
——vv. tiefer über den Plan. Das Blut
ſtieg ihm in die breiten Schläfen, die Augen
ſuchten noch einmal Punkt um Punkt die
ſcharfen klaren Linien des Riſſes ab.

Er ſchlug mit der flachen Hand auf das
Papier, daß der Brieföffner leiſe klirrte,
und ſtand auf, ſteckte die Hände bis zu den
Daumen in die Taſche des engliſchen Sport-
jacketts und begann zwiſchen Schreibtiſch
und Fenſtern auf und nieder zu gehen.

In ihm arbeitete es.

Genial, einfach genial! Der Vanſelow
war des Teufels. Die Verwindung, die
Koppelung, das Höhen- und Seitenſteuer
und dann — das automatiſch ſich her-
ſtellende Gleichgewicht — Donnerwetter,
wo hatte der Kerl die Ideen her? Einfach,
verblüffend einfach! Mit dem Apparat
konnte ein Kind fliegen, ein Säugling!
Das war die Maſchine der Zukunft! Da-
zu der Motor, das famoſe, faſt zierliche,
blanke Ding mit der Rieſenkraft, dies me-
tallene Herz, der Niethardt-Motor, vor
dem die Sſterreicher mit ihrem Daimler
und die Franzoſen mit dem Antoinette ſich
verkriechen konnten! Der Sieg war ihm
ſicher. Natürlich nicht mit einem Schlage!
Das würde auch ſeine Zeit dauern. Man
würde ſeine Erfahrungen machen müſſen;
Verbeſſerungen würden immer noch und
immer wieder nötig ſein. Selbſt das Beſte
war nie vollkommen. Die Konkurrenz
würde ſich nicht ſo leicht niederkämpfen
laſſen. Das gab ein Ringen auf Leben
und Tod! Aber der Erfolg mußte kom-
men! Das war nur eine Frage der Zeit.

Er dachte nicht an die Millionen, die
zu gewinnen waren. Er dachte nur an
den Sieg, an den Fortſchritt, an die Löſung
des gewaltigen techniſchen Problems. Was
war ihm Gold? Er brauchte nicht mehr.
Er hatte genug für Generationen. Es
ging um das Ideal. Es ging um den
Ruhm. Es ging um die Sterne, die am
Himmel hingen.

Da ſtand er vor der Marmorbüſte, die

aus der Ecke zwiſchen den rieſigen Fenſtern
das Arbeitszimmer beherrſchte, nickte ihr
zu und ſagte laut, als ſpräche er zu einem
Lebendigen: „Ja, Alter! Das haſt du
dir nicht träumen laſſen, als du mit
deinem Ränzel in Berlin einzogſt, abge-
riſſen und verhungert, und hätteſt dem
Meiſter um den Hals fallen mögen, der
dich an ſeine Drehbank ſtellte zwei Tage
vor dem heiligen Abend. Auf dich kommt
alles. Du haſt den Grund gelegt! Du
haſt geſät. Dein Sohn erntet.“ — „Dein
Sohn“? — Eine Wolke legte ſich auf die
breite Stirn, ein Stich ging ihm durchs
Herz. Lutz! Würde es ihm mit dem
eigenen Sohn ſo gut werden? Würde
der auch zu dem Alten Neues ſchaffen, nicht
einer ſein unter vielen, ſondern ein Führen-
der, einer, der die Spitze nahm? Das Zeug
hatte er, den Grips, die Kapazitäten —
aber das Herz, den Sinn, den Willen, das
Verſtändnis dafür, daß die Arbeit der
Vorfahren den Nachkommen Pflichten und
eiſernen Zwang auferlegt; daß jeder Still-
ſtand, jedes Nachlaſſen, ſelbſt das geringſte,
— das geringſte Herabſteigen von der
Höhe Schimpf und Schande auf die häuft,
die im Grabe liegen? —

Sein choleriſches Temperament hatte
ihn wieder einmal gepackt. Er ſeufzte,
daß der mächtige Thorax wie eine Maſchine
ſich hob und trat an das Fenſter. —

Die weiten großartigen Flächen des
Gartens leuchteten von den bunten Farben
der blühenden Rhododendren in der milden
Frühlingsſonne. Hinten durch die licht-
grüne Birkenallee blickte weiß wie die zier-
lichen Stämme der Tegeler See.

Der Geheimrat ſchob das Fenſter hoch.
Die weiche Luft floß herein; die ſchwanken
blauen Blütendolden der Glyzinen quollen
ihm entgegen. Eine Amſel pfiff in dem
ernſten Rhythmus des Kirchengeſangs.
Das Signal eines Dampfers aber ſchnitt
die Strophe mitten entzwei. Hinter den
Birken kam er vor und ſchleppte eine Kette
ſchwerbeladener Zillen. Wie er arbeitete!
Wie er keuchte! Das war das Leben, das
rechte Leben. Schleppen, arbeiten, keuchen,
 
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