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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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in kleines Landhaus in Croiſſy.

Es ſieht aus, wie die meiſten die-

ſer kleinen franzöſiſchen Land-

„ häuſer: ein bißchen mißtrauiſch,

ein bißchen geheimnisvoll und ein bißchen

heruntergekommen. Reichtümer habenſeine

Bewohner wohl kaum zu vergeben, aber

wer in Frankreich hätte jetzt wohl Reich-

tümer zu vergeben?! Man ſchreibt das

Jahr 1794. Das Land hat alle möglichen

Neuheiten bekommen, neue Ideen, neue

Leute, neue Verfaſſungsformen, neue Pro-

vinzen, alles — aber kein Geld. Jedem

fehlt es am Nötigſten; ein Laib Brot ſtellt
faſt Beſitz dar. '

Die Frau, die in dem kleinen Landhaus
wohnt, quält aber den hübſchen, leichtferti-
gen Kopf nicht mit Exiſtenzſorgen. Sie
guckt zum Fenſter hinaus und freut ſich,
daß der milde Herbſtwind ihr dunkelrote
Blätter auf den bloßen Hals und in das
zierlich gelockte Haar weht. Wenn ihr ein
ganz tiefrotes, eines, das an Blut erinnert,
auf die magere, braune Hand fällt, ſchrickt
ſie wohl ein wenig zuſammen und ſchließt
eine Sekunde lang, wie von einer Viſion
gequält, die Augen.

O, was für Zeiten hat die verwitwete
Generalin Beauharnais hinter ſich! Als
halbwüchſiges Ding hat das pikante Kreo-
lenfräulein Marie Roſe Taſcher de la Page-

rie den Vicomte Alexandre Beauharnais
geheiratet und mit ihm eine vornehme Ehe
geführt, das heißt, er war ſo lange rechts
gegangen und ſie links, bis ſie auf dieſen
völlig entgegengeſetzten Wegen vor der
Scheidung ſtanden. Da kündigte ſich mit
unheimlichem Grollen der Orkan an, der
die vornehme Welt mit ihren vornehmen
Ehen wegfegen ſollte, und nun finden ſich
die Gatten, wenn auch nicht in Liebe oder
Verſtändnis, ſo doch in dem angſtvollen
Beſtreben, der Guillotine zu entrinnen.
Die Crapule iſt Herr, darum muß man,
ſo ariſtokratiſch man ſonſt auch ſein mag,
der Crapule Konzeſſionen machen. Die
Beauharnais geben alſo ihren jungen Sohn
Eugen zu einem Tiſchler in die Lehre, ihre
kleine Hortenſe wird Nähmädchen bei einer
Schneiderin. Es hilft aber alles nichts, die
Beauharnais ſind als „ei devant“ ver-
dächtig, und eines Tages ſitzen ſie beide im
Gefängnis ... Der Vicomte verläßt es
nur noch, um den fatalen Karren zu be-
ſteigen, gerade vier Tage vor dem neunten
Thermidor, der Nobespierre ſtürzte. Sie
beugt ſich weiter zum Fenſter hinaus, at-
met in tiefen Zügen die klare Herbſtluft,
hält die magern, braunen Hände gegen
die Sonne und freut ſich, daß ſie ihr Blut
noch darin ſchimmern ſehen kann. Wer in
einem Kerker gelebt hat, weiß alle kleinen
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