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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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1907 ab ſechs Jahre hindurch in
einer ſtets wachſenden Lebens-
gemeinſchaft mit Alfred Lichtwark
zuſammenſein zu dürfen. Das
Jahrzehnt vorher war mir, ſo oft meine Lehr-
tätigkeit mich nach Hamburg führte, neben
dem Hafen ſtets die Kunſthalle die Stätte,
die mich am ſtärkſten anzog, in der mir
Hamburg am eigenſten und lebendigſten ent-
gegentrat.
; In der Kunſthalle repräſentierte ihr Di-
rektor mit weltmänniſcher Sicherheit und
heller Freude. Er hatte für Gäſte immer
Zeit. Er kam, den Zylinder auf dem Kopfe,
gehalten und liebenswürdig zugleich; er
führte durch ſeine Lieblingsſäle, zu ſeinen
Lieblingsbildern, zu den neuen Erwer-
bungen, erläuterte, kürzer oder länger, je
nach der Art des Beſuchers. Er ließ durch
ſeine Diener, mit denen er wundervoll ſtand,
aus den überfüllten Oberlichtſälen mit ihrem
ſchlechten Lichte einen Kalckreuth oder einen
Liebermann in die kleinen Seitenkabinette,
an das Fenſter heran tragen und freute ſich
des Eindrucks, wie die Bilder da farbig
aufblühten. Er machte alles, worauf ſein
Blick fiel, lebendig. Er erzählte, was ein
däniſcher, was ein franzöſiſcher Kenner jüngſt
zu dieſem oder jenem Stücke geſagt hatte;
bei einem Runge der Franzoſe: das haben
wir in unſerer Kunſt nicht gehabt; bei einem
Kalckreuth: wie ſchlägt in dem Eigen-
ſten, was ihr Deutſchen macht, doch immer
ein Stück Holbein durch. Ein junger deut-
ſcher Künſtler ſchalt, dicht neben uns, über
einen neugeſchenkten Meiſſonier: wer dem
Bilde nicht anſähe, daß ſein Maler innerlich
ein ſchlechter Menſch geweſen ſein müſſe,
dem ſei nicht zu helfen. Lichtwark, den das
Urteil traf und doch in ſeiner väterlichen
Liebe für ſeine Pfleglinge verletzte, ant-
wortete, zu uns gewandt, mit lauter Stimme:
wenn Künſtler einander befehden, ſo ſind
ſie noch um einen Grad ungerechter und
zügelloſer als zankende Gelehrte. Er ſelber
hatte zu allem ringsum ſein feſtes, abge-
ſtuftes, perſönliches Verhältnis; er lebte in
allem dem farbigen Leben: er war die Seele
ſeines Muſeums. Er hat an ſeines Lehrers
Juſtus Brinckmann Kunſtgewerbemuſeum
den ganz perſönlichen Charakter der Schöp-
fung gerühmt. Seine Kunſthalle beſaß ihn
auch. Sie verzichtete darauf, ſpät entſtan-
den wie ſie war, ihrer Zuſammenſetzung
nach eine Weltgalerie ſein zu wollen, ſie


verzichtete völlig auf italieniſche und ſpa-
niſche Kunſt. Was aber war ſie? Er ſelbſt!
Sie war Hamburg und Norddeutſchland, ein
Bild und eine Kraft der Gegenwart.

Als Lichtwark 1886 an ihre Spitze geſtellt
wurde, fand er eine kleine Sammlung ohne
Charakter, erwachſen aus der Tätigkeit des
Kunſtvereins und verwandter Vereinigungen
und einzelner Liebhaber, ſoeben bereichert,
aber auch einigermaßen aufgeſchwemmt durch
die Schwabeſche Schenkung einiger Säle voll
weſentlich mittelmäßiger engliſcher Gemälde
der letzten Generation. Was er hinzubrachte,
war der Charakter. Der 35 jährige Direktor
war nicht der regelrechte Kunſtgelehrte. Er
war Hamburger vierländiſchen Urſprungs;
er war jahrelang an einer Privatſchule ſei-
ner Heimatſtadt Lehrer geweſen, ehe er es er-
möglichen konnte, ſein Gymnaſialexamen zu
machen; er hatte dann, von Brinckmann an-
geregt, in Leipzig und Berlin Kunſtgeſchichte
ſtudiert, hatte früh in Berlin an Leſſings Ge-
werbemuſeum Anſtellung gefunden, zuletzt
als Bibliothekar; er war als Gelehrter, als
Journaliſt hervorgetreten, der Leiter des
gewerblichen Bildungsweſens, W. Wehren-
pfennig, dachte ihm eine Wirkſamkeit an der
Techniſchen Hochſchule zu, eine glänzende
Zukunft ſchien ihm in Preußen zu winken.
Richard Muther hat den Eindruck beſchrie-
ben, den der ſchon 30 jährige Student auf
ſeine Leipziger Fachgenoſſen machte: er war
nicht in Italien geweſen und ſchätzte das
Fachwiſſen der andern nicht einmal hoch, er
führte ſie auf Friedhöfe und in die Kirchen
und zeigte ihnen, was ihnen mangelte: Auge,
Urteil, Geſchmack, Kunſtgefühl. „Ich kam
mir plötzlich ſo dumm vor, als ob ich taub
geweſen wäre und Muſikgeſchichte ſtudiert
hätte.“ Er traf Lichtwark ein paar Jahre da-
nach in Berlin wieder, als eleganten, geſellig-
keitsfrohen Mann in einer Wohnung voll
auserleſener Möbel, an den Wänden deutſche
und niederländiſche Radierungen: wie einen
Amateur, der ſeine Umgebung zum Kunſt-
werk geſtalten muß; einen Gelehrten, den
ſinnliche Freude zu ſeinem Fache geführt
hat; einen Kunſtkritiker, der damals bereits
die Loſung der neunziger Jahre vortrug.

Als ihn Hamburg rief, mahnte Heinrich
von Treitſchke ihn, geographiſch nicht eben
unanfechtbar, ab: Wie, Sie wollen von Ber-
lin nach Hamburg?! Da kommen Sie vom
Waſſer auf den Sand! Aber die Heimat
zog, und das Waſſer hat er ſich alsbald ge-
graben. An Hamburg hing die Hoffnung
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