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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 6
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Weber, Hans: Das Gewitter in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0270

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ört ihr's, wie der Donner grollt?“
J fragt der Dichter im „Gewitter“,
das wir als Schulbuben mit ge-
heimnisvollem Grauen deklamier-
ten. Der Donner grollt, ſolange
die Welt ſteht — und nicht nur in der Natur,
auch in der Welt der Kunſt, die ja ihr Spiegel
heißt, hat es zu allen Zeiten gar weidlich
gewittert. Von Homer wiſſen wir, daß Zeus
der Gewaltige hoch vom Olympos herab
ſeine Donnerkeile ſchleudert. Sophokles ſtellt
in der „Antigone“ den Bacchus ins Gewitter:
„Auf dem Felſen mit dopplem Haupt ſieht
dich des Blitzes Flamme“ (ein närriſcher
Zufall will es, daß die deutſche Überſetzung
von — Donner herrührt). Blitze zucken
durchs zerriſſene Gewölk in Michelangelos
„Tod Chriſti“, und an einem Blitze entzündet
Schiller die verheerende Feuersbrunſt in ſei-
nem Lied von der Glocke: „Aus der Wolke —
ohne Wahl — zuckt der Strahl.“ .

Aber die Dichter und die Bildner ſind im
Nachteil gegen die Herren Muſikanten; denn
dieſe haben das unerläßlichſte Gewitterinſtru-
ment zur Hand: den Lärm. Ein Donner-
wetter ohne den ergiebigſten Spektakel wäre
kein ruhmreiches Zeugnis für den betreffenden
Komponiſten. Und ſo wollen wir denn ein-
mal zuſehen, wie weit es unſere deutſchen
ae in dieſer beſonderen Kunſt gebracht

aben.

Ich nenne den erſten Namen — und
unſer keck lauernder Spott verfliegt: Johann
Sebaſtian Bach. In der Matthäuspaſſion,
der leuchtenden Krone ſeiner Schöpfungen,
ſtehen wir voll Staunen und Schrecken vor
dem Ausbruch eines Gewitters, das aus
rein ſeeliſcher Empörung, ohne den Vorgang
eines Naturſchauſpiels, über uns losplatzt.
Die überrumpelung Jeſu, Judaskuß, Ver-
haftung. Angſtvolle Rufe und erregte Schreie
der Gläubigen: „Laßt ihn! Haltet ihn! Bin-
det nicht!“ Doch — „ ſie führen ihn, er iſt ge-
bunden“, und Zion klagt: „Mond und Licht
iſt vor Schmerzen untergangen, weil mein
Jeſus iſt gefangen!“ — Da aber bricht mit
elementarer Wucht der Gewitterſturm aus
den Herzen der verzweifelten Menge heraus:
„Sind Blitze, ſind Donner in Wolken ver-
ſchwunden?!“

Und nun ſehe man, was Meiſter Sebaſtian
aus dieſen wenigen Worten gemacht hat.
Die beiden Orcheſter haben ſich verſchmolzen
miteinander, und dazu tritt noch die Orgel.
In den Bäſſen grollt der Donner:

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Die Blitze zucken:

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Der Tenor wiederholt das (E⸗moll) Thema
in der Quinte (H⸗ moll, Bäſſe) und wendet
ſich endlich zur Dominante von D⸗ dur;
auf dieſer ergreift es der Alt, der Sopran
nimmt es auf und führt es nach G⸗ dur.
Und hier teilen ſich jetzt gar noch zwei Chöre
ab; die Menge malt in realiſtiſchen Farben
den Inhalt ihrer Erbitterung aus. Die ge-
teilten Chöre — immer auf dem Fundament
der donnergrollenden Bäſſe — ſtechen wie
ſcharf geſchleuderte Blitze gegeneinander; die
Oberſtimmen der Chöre drängen ſich inein-
andergreifend zur Höhe hinauf, und mit zwei
kurzen Schlägen ſchneidet das Ganze plötzlich
Dann —
Totenſtille.

Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung,
daß wir es in dieſem fabelhaften Gemälde
nicht mit einer rein äußerlichen, tonmechani-
ſchen Nachahmung eines vom Himmel herab-
platzenden Unwetters zu tun haben, ſondern
daß empört⸗ verzweifelte Seelenſtimmung das
ſchaffende Motiv war, ſo können wir von
Bach bis zu Wagner mit Sicherheit eine feſte
Brücke ſchlagen und werden auf dieſem Wege
faſt allen begegnen, die wir groß nennen im
Lande der Töne.

Willibald Gluck iſt der Nächſte. In der
Inſtrumentaleinleitung zu ſeiner Oper „Iphi-
genie auf Tauris“ (1779) — eine eigent-
liche Ouvertüre hat das Werk nicht — malt
er uns den Gewitterſturm, der das Schiff,
auf dem ſich Oreſt und Pylades mit
den Gefährten befinden, herantreibt. Das
beginnende Andante, das die heitere Ruhe
andeuten ſoll, wird durch einen Pauken-
ſchlag unterbrochen, und nun beginnt das
Allegro, mit den rollenden Figuren der
Streichinſtrumente den heranziehenden Sturm
verkündend, Hörner und Trompeten fahren
drein, und endlich bricht das Unwetter mit
aller Wildheit los. Aber ein Engel wacht,
in das Raſen der aufgeregten Natur klingen
innig fromme Töne hinein: Iphigenie ſendet
inbrünſtige Gebete zu den Göttern um Er-
rettung der Gefährdeten empor und findet
Erhörung. Ebenſo meiſterhaft wie das An-
wachſen der Schreckniſſe iſt die allmähliche
Beruhigung der Elemente, und mit dem
Wiedereintritt des zu Beginn zerbrochenen
Andante kehrt ſeliger Frieden zurück. —
Auch hier haben wir es nicht mit einem rein
materialiſtiſchen Aufgebot der Klangmittel zu
tun, ſondern ſeeliſcher Zuſtand iſt wieder die
künſtleriſche Bedingnis auch dieſes Meiſters.
 
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