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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 8
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Neues vom Büchertisch
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ertiſch s


Dun hat ſich wieder für einen Dich-
ter die Stunde erfüllt, da er nach
ewigen Geſetzen unter die Philo-
logen fällt. Es trifft diesmal
einen Tiefgeliebten und Unver-
geſſenen, den lyriſchen Feinmeiſter aus der
grauen Stadt am Meer, den poeſieerfüllten

zähler am häuslichen Teekeſſel von Huſum,
den Herrn der Gerichte und Gedichte — kurz,
es trifft Hans Theodor Woldſen
Storm glorreichen Angedenkens. In den
germaniſtiſchen Seminaren werden die Meſſer
gewetzt und die Skalpelle geſchliffen; auf
Briefſammlungen und Biographien folgen
Ausgrabungen aus alten Heften; wie ein
Puderwölkchen fliegt der Staub der Werk-
ſtatt, der Staub eines halben Jahrhunderts
empor, und eifrige Doktorarbeiten werden
uns bald tiefſinnig die erſchütternde Bedeu-
tung von allerhand Textvarianten erklären.

Ach Gott, es muß ja wohl ſein; es hat
am Ende ſein Gutes — gerade bei ſolchen
Klein⸗ und Feinmeiſtern, denen es auf jedes
Wort ankommt. Aber ein leiſes Unbehagen
ſchauert mir doch über den Rücken. Denn
gerade dieſer Dichter, der jetzt methodiſch in
Angriff genommen wird, war für viele Tau-
ſende der innig angeſchwärmte Dichter ihrer
Jugend. Mit zwanzig Jahren hätte ich
mich für den Schleswig⸗Holſteiner getroſt
und gläubig in Stücke hacken laſſen. Und ob
man ſich ſeitdem auch größeren Göttern ver-
traute, ob man oft genug über manche Klein-
ſtadtenge und manche drollige „Huſumerei“
Storms lächelte — es war doch immer ein
Lächeln in Reſpekt und Liebe. Mit dieſem
Lächeln verlor man ihn nicht, ſondern be-
grenzte ihn bloß, und verſtohlen in einem
Herzenswinkel lebten dabei noch immer in
ſeliger Unberührtheit die Gärten, die er einft
hatte rauſchen, die Heide, die er hatte blühen,
die ganze heimliche Welt, die ſein Schöpfer-
wort hatte entſtehen laſſen. Nur mit Zag-
heit ſieht man jetzt allzu eifrige Hände danach

langen.

Es bleibe dahingeſtellt, ob nicht auch Fritz
Böhme etwas zuviel Eifer entwickelte, als
er mit Ach und Krach „Spukgeſchichten
und andere Nachträge“ zu Theodor
Storms Werken in der Form eines ganzen
Bandes herausbrachte (Braunſchweig, Ge-


orge Weſtermann).

verheißen hätte. So aber konnten faſt
100 Seiten, mehr als ein Buchdrittel, mit
fleißigen literarhiſtoriſchen Erläuterungen ge-


iſt aus der achtbändigen Geſamtausgabe der
Schriften eine neunbändige geworden. Solche
ſpäten Schnitzeljſagden lohnen allerdings
ſelten der Mühe, und ſelbſt die Haupttrophäe,
die Fritz Böhme dabei erbeutet hat, betrach-
tet man mit gemiſchten Empfindungen.

Es iſt eine erzählende Plauderei „Am
Kamin“, die 1862 in einer verſchollenen
„Muſter⸗ und Mode⸗Zeitung“ veröffentlicht
wurde. Von den eigentlich Stormſchen Vor-


Vorzüge beſonders der früheren Novellen
beſtanden und beſtehen doch in einer idylli-
ſchen Stimmungspoeſie, die zart ausgemalt
wird. Ihr Horizont iſt eng; ihr Inhalt
ziemlich unbedeutend; zu ernſten Konflikten
kommt es in dieſer Kleinſtadtdämmerpoeſie
gar nicht, weil die etwas ſentimental⸗weich-
lichen Helden gleich immer reſignieren und
in der Stille ihr Herz hätſcheln. Aber eine
feine Künſtlerhand müht ſich um die zarteſte
Ausführung aller Einzelheiten, ein durchge-
bildeter Geſchmack unterſtützt das echte Ge-
fühl, ein Poet durch und durch verbannt
aus ſeiner kleinen Welt alles Fremde und
ſtellt ſie unter die Macht einer vollen und
ganz einheitlichen Stimmung.

In der Aneinanderreihung von unerklär-
lichen, ſpukhaften Vorfällen, aus der die Er-
zählung „Am Kamin“ beſteht, iſt wenig da-
von zu merken. Es iſt ja bekannt, daß
Storm, auf den E. Th. A. Hoffmann nicht
ohne Einfluß geblieben war, hin und wieder
ein Spukelement in ſeinen Novellen verwer-
tete. Das zeigt ſeinen Zuſammenhang mit
der Romantik und den Dichtern der Reſtau-
rationszeit. „Spukgeſchichten,“ heißt es am
Anfang, „gehören zum Rüſtzeug der Reak-
tion.“ Und wenn Fritz Böhme behauptet,
dieſes Genre ſei heute aus der Mode gekommen,
ſo iſt man verſucht, ein helles Lachen auf-
zuſchlagen. Man muß faſt hundert Jahre
 
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