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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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uf dem Balkan iſt es ſtill gewor-
den. Der Friede hat wieder ſeinen
Einzug gehalten. Mazedonien iſt
frei von der Herrſchaft der Türken,

OS Yımter Griechen, Bulgaren und Ser-
ben iſt nach blutigem Streite die Beute ge-
teilt. Nur der letzte ſchmale Streifen im
Oſten der Halbinſel gehorcht noch den Os-
manen, viel zu klein, als daß die Macht,
die jetzt dort herrſcht, in Zukunft noch etwas
bedeuten könnte für die Geſchichte des Süd-
oſtens von Europa. Und doch birgt dieſer
letzte Reſt der ehemaligen Großmacht das
Kleinod, um das im tiefſten Grunde der ganze
Krieg geführt wurde: die wunderbare Stadt


ſitz galt das Ringen der Völker, vom Ein-
zug in Carigrad, die Kaiſerſtadt, träumten
Slawen und Griechen; ihre Könige wollten
das Kreuz wieder aufrichten auf der Kup-
pel der Hagia Sophia, ſich ſelbſt in dem
herrlichſten aller Dome der Chriſtenheit
die Kaiſerkrone von Byzanz wieder aufs
Haupt ſetzen. Aber das war auch ſeit Jahr-
hunderten das große Ziel der nordiſchen
Nachfolger des byzantiniſchen Kaiſers, der
ruſſiſche Zar konnte nicht auf alle Hoffnun-
gen der Vergangenheit ſo ſchnell verzichten.
So gebot er Halt an der Tſchataldſchalinie,
gab das allzu machtvoll aufſtrebende Bul-
garien der Niederlage preis. Der letzte Akt
des großen weltgeſchichtlichen Dramas ſteht
alſo noch aus. Die Vertreibung der Türken
aus Europa iſt nur ein Schritt auf dem Wege,
nur der kleinere Teil der großen Aufgabe.
In Wahrheit geht der Kampf der Zukunft


um das alte Erbe von Byzanz, um die
Nachfolge der byzantiniſchen Kaiſer.

Man muß den Blick zurückwenden in
ferne Vergangenheit, um die Geheimniſſe
der Gegenwart nach ihrem wahren Sinn zu
deuten.

Konſtantinopel trägt ſeinen Namen von
Konſtantin, dem erſten chriſtlichen Kaiſer.
Während Rom in den Jahrhunderten des
frühen Mittelalters bis an die Ufer des
Tiber wieder zuſammenſchrumpft und erſt
in ſpäterer Zeit in einem anderen Sinne
wieder die Reſidenz eines Weltherrſchers
werden ſollte, erwächſt auf den Hügeln am
Bosporus Konſtantinopel zur glänzenden
Reſidenz der Kaiſer. Die ganze Kraft des
römiſchen Staates, die ſich aus der Alten
Welt in das Mittelalter hinüberrettet, findet
in Byzanz ihre Zuſammenfaſſung, das Erbe
der helleniſtiſchen Kultur des Altertums wird
in Byzanz gehütet, gleichzeitig wird dieſe
Stadt der Mittelpunkt der chriſtlichen Welt
von Oſteuropa und Vorderaſien. Römiſche


chriſtlicher Glaube gehen in Byzanz eine un-
lösbare Verbindung ein, die ihre Wirkungen
ausübt bis in unſere Tage. /

Es war römiſches Erbe, wenn die höchſte
politiſche und geiſtliche Macht im Kaiſertum
ſich vereinigte, wenn in Byzanz bis zu ſeinem
Untergang der Kaiſer das allmächtige Ober-
haupt nicht bloß des Staates, ſondern zu-
gleich der Kirche geblieben iſt. Der Patriarch
von Konſtantinopel war nichts anderes als
der erſte geiſtliche Verwaltungsbeamte des
der Hofbiſchof des kaiſerlichen
 
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