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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Heft 7
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Godin, Marie Amélie von: Albanien nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.66819#0433

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S a ich Albanien ſeit Jahren als
e meine zweite Heimat betrachte,
da ich vom Erwachen der albani-
0 ſchen Nationalbewegung an ihr
Streben mit den heißeſten Wün-

ſchen begleitet und nach meiner ſchwachen

Kraft das deutſche Publikum über ihre Ziele,


fenden erhalten habe, da ich ferner ſeit ſechs
Jahren die Hälfte meiner Zeit, auch die wich-
tigſten Monate des Kriegsjahres von Ende
Auguſt 1912 bis Ende April 1913 mit den
Albanern, damals in Valona, verlebte, iſt
es gewiß begreiflich, daß ich die heutigen Er-
eigniſſe in Albanien mit größter Aufmerk-
ſamkeit verfolge und ſie des Intereſſes auch
deutſcher Leſer für wert erachte.

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Es ſteht ſicher zu erwarten, daß die törich-
ten jungtürkiſchen Umtriebe, die ſich in den
letzten Tagen — ich ſchreibe dieſe Zeilen
Mitte Januar — um den Namen Izzet
Paſchas kriſtalliſierten, keinerlei Einfluß auf
die Ereigniſſe nehmen können; nicht allein,
weil ohne Zweifel Sſterreich und Italien
ihnen energiſch entgegentreten werden, ſon-
dern hauptſächlich weil ſie weder im alba-
niſchen Volke, noch auch, falſchen Behaup-
tungen der Preſſe zum trotz, bei den einfluß-
reichen albaniſchen Führern irgendwelcher
Sympathie begegnen.

Im Laufe der nächſten Wochen, trotz der
in den letzten Tagen des Dezember zubewil-
ligten Verlängerung der Friſt, wohl vor
Ende Januar werden alſo die griechiſchen
Beſatzungstruppen des ſogenannten Epirus
den Boden Albaniens verlaſſen. Damit tritt
das neue Land hoffentlich endlich aus Kriegs-
zeiten, wie ſie fürchterlicher nicht gedacht
werden können, in eine Epoche inneren Er-
ſtarkens, der Geſundung und des Aufblühens.

Der letzte Feind, der letzte eroberungs-
luſtige Gegner hat dann die Grenze über-
ſchritten. Der heißerſehnte Fürſt, aller Vor-


endlich kann geordnete Arbeit beginnen!
Sie wird zunächſt nicht leicht ſein, denn

vor allem werden ohne Zweifel Serben
und Griechen ihre Gier nach albaniſcher
Erde nicht ſofort begraben. Die Serben
werden die Albaner an der Grenze wohl
auch weiterhin auf jede Weiſe ſchikanieren
und ſie ſo zu Unruhe und Verzweiflung, viel-
leicht auch aufs neue zu Kämpfen treiben,
die immerhin die Gefahr folgenſchwerer Ver-
wicklung in ſich bergen. Die Griechen werden
ganz gewiß — der Beginn dieſer Machen-
ſchaften kann ſeit Anfang Dezember bereits
in der Umgebung von Kortſcha beobachtet
werden — ihre regulären Truppen, ſtatt ſie
zurückzuziehen, einfach auflöſen, und dieſe
werden in albaniſcher Tracht als Banden
gegen die „albaniſchen Unterdrücker“ kämp-
fen, um Europa zu beweiſen, daß „die Be-
völkerung des Epirus“ die Angliederung an
Albanien niemals ertragen wird.

Es wird dem neuen Fürſten, ganz ab-
geſehen von dieſen Schwierigkeiten, die ihm
und ſeinem Land aus der politiſchen Lage
am Balkan erwachſen, auch außerdem nicht
ganz leicht werden, ſich zurechtzufinden und
die Arbeit, die auf jedem Gebiete wirklich
von Grund auf geleiſtet werden muß, am
rechten Ende zu beginnen.

Das albaniſche Volk iſt ohne Zweifel
außerordentlich glücklich veranlagt: klug, zäh,
tapfer, ſittenrein und treu. Eine geradezu
heilloſe Mißwirtſchaft hat mit dieſen guten
Eigenſchaften in den letzten zwanzig Jahren
aber wahrhaftigen Raubbau getrieben: Ab-
dul Hamid hat die Klugheit und Strebſam-
keit der Albaner ausſchließlich dazu benutzt,
um ſein Syſtem zu erhalten, hat ſie, um ihre
Treue für ſeine Zwecke zu gewinnen, mit
Gold überhäuft, ja die entſetzliche Armut der
in jeder Weiſe vernachläſſigten Provinz
ſyſtematiſch dazu benutzt, um ihre tüchtigen
Führer mehr und mehr auf Beſtechungs-
gelder anzuweiſen und ſo langſam aber ſtetig
die Grundfeſten ſtrenger Moral zu erſchüt-
tern, die der Stolz und die Stärke des
albaniſchen Volkes durch ſo viele Jahr-
hunderte geweſen waren. Es iſt ihm auf
dieſe Weiſe zwar nicht gelungen, die geſunde
 
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