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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Hugo van der Goes. Von Prof. Dr. Otto Seed ®
8 Zur neuen Erwerbung für das Kaiſer Friedrich⸗Muſeum in Berlin 8

-
INIT
INI A X R A A

IIe

Is vor etwas mehr als vierhundert
Jahren (1495) ein Nürnberger Arzt
die Niederlande bereiſte, wurde ihm
in Gent als größte Sehenswürdig-
OS keit der Altar der Brüder van Eyck

gezeigt. Da erzählte ihm der Küſter, es ſei

noch nicht lange her, daß ein berühmter Maler
immer wieder bewundernd vor dieſem Werk
geſtanden habe, und weil er nicht die Kraft
in ſich fühlte, die Vollkommenheit desſelben
zu erreichen, ſei er melancholiſch und verrückt
geworden. Der große Künſtler, der ſein Leben

1482 in der Nacht des Wahnſinns endete,

war Hugo van der Goes. Schon vier Jahre




vorher hatte dumpfe Schwermut ihn getrie-
ben, den Reizen der bunten Welt, die er mit
ſo ſcharfem Blick zu erfaſſen und wiederzu-
geben wußte, Lebewohl zu ſagen und als
Kloſterbruder nur noch um das Heil ſeiner
Seele zu ſorgen. Gewiß war es nicht nur
das Verzweifeln daran, den großen Brüdern
gleichzukommen, was ſeine Sinne verwirrte.
Alle ſeine Bilder erzählen uns von einem
äußerſt reizbaren Nervenleben, das nur zu
leicht in der Erſchlaffung des Überreiztſeins
enden konnte. Doch iſt es nicht unwahrſchein-
lich, daß ſeine krankhafte Niedergeſchlagen-
heit die Geſtalt annahm, die der Küſter dem
Nürnberger ſchilder-
te. Der Neid auf die
unerreichbare Kunſt
jener Vorgänger
wird nicht der Grund,
wohl aber der erſte
Ausdruck ſeines
Wahnſinns geweſen
ſein. Jetzt hängt in
Berlin ſeine „Anbe-
tung der Könige“ ne-
ben den Tafeln des
Werkes, das er einſt
in bitterem Verzagen
anſtaunte. Der Be-
ſchauer wendet ſeinen
Blick von der einen
zu den andern und
weiß nicht, wem er
den Vorzug geben
ſoll. Denn was die
Brüder van Eyck ein-
leiteten, Hugo van
der Goes hat es voll-
endet. Er iſt es, der
die letzten Konſequen-
zen ihrer Kunſt ge-
zogen hat, auf dem
Wege, den ſie ge-
wieſen hatten, am
weiteſten vorgeſchrit-
ten und ſo auch über
ſeine großen Vor-
bilder hinausgewach-
ſen iſt.

Ehe ſein ſchönſtes
Bild im Kaiſer Fried-
rich⸗Muſeum zur
Ruhe gekommen iſt,
hatte es weite Wan-
derungen und man-
nigfache Schickſale
durchgemacht. Gleich
nach ſeiner Vollen-
dung muß es hoch-
berühmt geweſen
ſein; denn mehrere
Künſtler, darunter
 
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