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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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das Toben des Todes, auf ſein Lachen und
auf die Liebeslieder des Frühlings.

Nur Ideen laſſen uns ſterben mit dem
Lächeln deſſen auf den Zügen, der weiß,
daß er einen Zweck erfüllte. Und das
zuckende Herz ſingt in den letzten Schlägen
noch ſein letztes Frühlingslied.

Werden! Werden! Viel, unendlich viel
muß vergehen, damit weniges werde.
Helden, die dem wenigen, was ſie ahnen,
das zum Opfer bringen, was ſie allein be-
ſitzen: ſich ſelbſt.

Perſönlich vergeſſen werden, auch in
ſeiner Tat, die ſich mit Tauſenden vereini-
gen muß, um eine Wirkung zu wirken,
perſönlich das einzige verlieren, was zwei-
fellos beſteht, ſein Ich, damit andere ihr


können, damit andere, die man nicht kennt,
künftige Geſchlechter, beſſer, höher, größer
ſeien als wir: Das iſt Soldatenruhm und
Soldatenpflicht.

Warum mir heute die Gedanken kom-
men? Gerade jetzt im Höllenlärm der
Schlacht? ; /

Ein heißer Wunſch zieht durch meine
Seele. Möge unſerm deutſchen Lande ſolch
Soldatenſtolz erblühen, auf daß unſere
Jugend ſterben kann, wenn der Frühling
kommt. .

Vorwärts! Seitengewehr pflanzt auf!
— Hei, da ſpringt der blaue Stahl aus
der Scheide! Wie ſie leuchten, die Klingen!
Wie die Sonne ſich in ihnen ſpiegelt!

Vorwärts!

Vier Stunden haben wir zu 600 Metern
gebraucht und nun iſt es vergangen wie
eine Viertelſtunde. — —

„Was lachſt du denn, Mehmed?“ Mein

Horniſt lacht und tanzt und betet. Alles
auf einmal. Der Wahnſinn ſpringt aus ſei-
nen Augen, er deliriert! Nun rennt er vor-
wärts und ſtößt tieriſche Laute aus heiſerer
Kehle — da wirft ihn die gnädige Kugel
nieder. Er ſtürzt und hält ſich den Leib.
Und bläſt: „Vorwärts. Vorwärts.“ Das
nervenpeitſchende Signal! Immer lauter
bläſt er mit ſtieren Augen. Jetzt ein ſchreck-
licher Schrei des Hornes. Mehmeds Arme
fahren in die Luft. Der heißblütige Araber
iſt zu Ende.

Und die Schützen ſtürmen weiter, Stahl
dringt in Fleiſch, und Hände krallen ſich
um Kehlen. Achzende, heulende, ſeufzende,
ſchreiende Töne mengen ſich mit dem furcht-
baren Rufe: Allah, Allah, Allah!

Und Sieg, Sieg iſt es geworden!

Die Feinde fliehen. Wenige! Man ſtol-
pert über Leichen und iſt ſo müde, ſo müde.

Ein alter Leutnant, der aus dem Unter-
offizierſtande hervorgegangen iſt, ſteht neben
mir. Sein weißer Bart weht im Winde.
Sein Rock hat hundert Flicken und hundert
Löcher.

„Herr,“ ſagt er, „nun bin ich glücklich.“

Er ſpricht ſchwer verſtändlich, denn der
Skorbut hat ihm in Jemen die Zähne weg-
gefreſſen.

„Wir haben geſiegt, Ali,“ ſage ich ihm,
„aber viele ſind tot.“

„Sie ſind bei Gott.“

„Weißt du, warum ſie ſtarben?“

Da blitzen ſeine Augen.

„Herr! Damit unſere Kinder leben.“

Das war Frühling bei Cataldza! Das
war ein Liebeslied, ein Lied voll Unſterb-
lichkeitsgedanken: Dies große Sterben, da-
mit unſere Kinder leben.

So gleiten wir von Jahr zu Jahr
Wie Schatten an den Wänden hin,
Nachdem das Dunkel uns gebar.

So ſchweifen wir im Zwitterlicht
Mit rührendem Geberdenſpiel,
Ein Puppenvolk, und wiſſen's nicht.




Q
\l

AI

So borgen wir uns ein Gefühl
Und ſagen unſer Sprüchel auf
Und tauchen unter im Gewühl.

So ſpinnen wir am alten Stück
Der Sehnſucht einen Septakkord —
Dann fordert uns die Nacht zurück.

S
ET eee.

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