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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Sn der geiſtreichen Konverſation eines

( Pariſer Salons aus der Enzyklo-
pädiſtenzeit fiel die Redensart vom
„duel des sexes“. Niemand konnte
ſich darauf beſinnen, wer ſie zuerſt
ausgeſprochen, ſie trat anonym in die Ge-
ſchichte und bekam immer ernſtere, ſchwerer
wiegende Bedeutung. Vom Waffenkreuzen,
dem zierlichen Florettieren der galanten
Zeit herübergenommen, bezeichnete das Wort
ein Spiel mit ſcharfen, oft gefährlichen Ge-
danken, in dem ſich die Frau dem Mann
ebenbürtig erwies, in dem der Geiſt allein
zur Wirkung kommen und die Gefühlswelt
ausgeſchaltet bleiben ſollte. Aber nur ſelten
gelang es. Die Natur läßt ſich wohl für
kurze Zeit beiſeite ſchieben, ſie drängt ſich
jedoch immer wieder vor und beherrſcht, ehe
man ſich verſieht, die ihrer Vernunft
ſo ſicheren Menſchen. Und die Natur, die
dem „duel des sexes“ gar nicht fern ſteht,
es nur auf ihre Weiſe ausgefochten ſehen
will, führte in die Geſpräche der „philoſo-
phiſchen Brüder und Schweſtern“ jene Grund-
elemente aus dem Umgang zwiſchen Mann
und Weib wieder ein, als da ſind Lächeln
und Seufzen, Augenaufſchlag und geſenkte
Lider, die den Schäfern und Schäferinnen
um Theokrit, den minnefrohen Rittern und
Damen, den galanten Leuten à la mode
ebenſo vertraut geweſen, wie ſie es nun den
Empfindſamen wurden. Im Geplänkel der
Gefühle vergaß man den Wettſtreit der
Geiſter, wie man auch heute manchmal den
Wettſtreit auf dem Sportplatz vergißt, wenn
das Herz an die alte, ewig geltende Art des
„duel des sexes“ erinnert. ;

Zeiten und Länder fanden die verſchie-
denſten, oft raſch vorübergehenden Worte für
den Begriff, der das Verſteckſpiel der Liebe,
die ſcherzhafte, leichte Seite ihres Weſens
zum Ausdruck bringt. Große Liebe iſt ernſt
und feierlich wie der Tod, in ihrem Gürtel
ſind Glück und Leid eingeſchloſſen, ſie vermag
das einfachſte Erdenleben zu erhellen und
das reichſte zu verdüſtern. Solche Bedeutung
wohnt den kleinen Göttern nicht inne, die


werfen, ſtatt mit Pfeilen zu ſchießen.
Großeltern und Eltern hatten andere Na-
men und andere Formen für dasſelbe Spiel.
Wir gebrauchen, der Mode folgend, analog
dem Sportjargon, auch für die Liebelei einen
engliſchen Ausdruck. Täglich werden neue
Worte gehißt, bauſchen ſich und blähen ſich
fröhlich vor aller Augen im Wind. Ein
ſolches Wort erſchien vor einigen Jahren,
wurde bald heimiſch im Salon und gehört
heute zu den feſten Begriffen des geſell-
ſchaftlichen Lebens. Wir glauben alle zu

„flirten“, „geflirtet“ zu haben oder ſehnen
uns danach, bald „flirten“ zu dürfen.

Im Gefühl, höchſt modern zu ſein, be-
ginnt der Jüngling, im Schatten des Fremd-
worts, den jungen Damen zu huldigen, und
macht es im Grunde genommen gar nicht
anders, wie es in der guten alten Zeit der
Großvater machte, „als er die Großmutter
nahm“, und wie es im Lauf der Welt das
Liebesſpiel mit gleichem Zweck unter wech-
ſelnden Formen verlangte.

Feine, moderne Lebenskunſt heiſcht, den
Flirt von Liebe und Leidenſchaft ſcharf zu
trennen, denn er ſoll den Tag — oder viel-
mehr den Abend — ſchmücken wie ein fri-
ſcher Roſenkranz, den man ſich aufs Haupt
ſetzt und den man wegwirft, ſobald er ver-
welkt. Die ſentimentale Generation be-
wahrte ſolche Roſenkränze noch auf; die
moderne Welt hat ſchon längſt keine Zeit,
keine Luſt mehr, die ice Spielerei durch
den Schmerz unbefriedigter Erinnerung ihres
Zaubers zu entkleiden.

Der Flirt iſt nicht anders, als wie ihn
ein unbekannter ſüddeutſcher Dichter im
Liedchen beſang:

Bald graſ' ich am Neckar,
Bald graſ' ich am Rhein,
Bald hab' ich ein Schätzel,
Bald bin ich allein.

Er läßt keine Reue, keine Klage zurück,
ſondern ſchenkt die froh-wehmütige Erinne-
rung an ſchöne, doch endgültig vergangene
Stunden. Was bei den Deutſchen immerhin
mit ein wenig Melancholie verbrämt iſt,
gewinnt in Frankreich leichte, mit etwas
Spott gewürzte Anmut:

Faut-il étre tant volage?

Ai-je dit au doux plaisir.

Tu nous fuis! las! quel dommage,
Des qu'on à ecru te saisir.

Ce plaisir tant regrettable

Me répond: Rends grace aux dieux.
S'ils m'avaient fait plus durable,
Ils m'auraient gardé pour eux.

Die Verſe aus dem 18. Jahrhundert
wurden zuerſt in witzig belebten Salons
aufgeſagt, wo jeder Scherz erlaubt war,
wenn er nur geiſtvoll zum Ausdruck kam.

Nein! Der Flirt iſt durchaus keine mo-
derne Erfindung, ſondern blickt auf uralte,
ehrwürdige Tradition zurück. Er tritt im-
mer auf, ſobald ein gewiſſes Selbſtbewußt-
ſein das weibliche Weſen aus Dumpfheit
weckt, zuerſt ungeſchickt und täppiſch als
primitiver Verſuch der Selbſtbehauptung,
dann raffinierter, je raffinierter ſich die Kul-
tur erhebt.

Die alten Anſtandsregeln des Tanzbodens
 
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