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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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rühling war es, lachender, knoſ-
pender, herrlicher Frühling. Der
O Sturm trieb die Wolkenfetzen

vor ſich her und fegte über die
Novembertotenfelder bei Cataldza, fegte
über die ſeichten Gräber, wo Tauſende
ruhten, fegte über die bleichen Tiergerippe,
die auf den Heidehügeln lagen, und rüttelte
an den großen weißen Zelten der türkiſchen
Armee.

Rüttelte auch an den Menſchenherzen,
daß ſie ſich der Sonne öffneten und Winter-
graus und Not vergaßen.

Das große Lieben zog durch die Natur.
Im Spiel der kleinen Lebewelt der Inſek-
ten, die zu Millionen auf der Heide
ſchwärmen, in den klagenden, ſehnenden,
ſchmelzenden Liedern der Nachtigallen —
überall, überall wird das Myſterium der
Liebe kund. Ringsum um das liebeleere,
leben vernichtende Soldatenheer erzeugt die
Natur Leben und wieder Leben aus dem
unerſchöpflichen Born ihres Dranges zur
Arterhaltung.

All dem Weichen, Verſprechenden, Er-
füllenden, Zeugenden und Gebärenden
gegenüber, das die Heide füllt, von Meer
zu Meer, ſind wir wie in Eiſen gepanzert.
Hinter uns ſteht der Tod, der über das
Leben grinſt und in Verzweiflung über all
dies lenzliche Entſtehen uns vorwärts
peitſcht. „Vorwärts, drüben ſtehen die
Bulgaren. Töte, töte! Schreite über die
Heide, zertritt, zerdrücke all das kriechende
verhaßte Leben und töte dieſe Menſchen-
leiber, die von Liebe träumen, die von
Zukunft träumen. Soldat, gib deine Hand!
Wir wollen töten! — Töten.“

Und der Frühling ſingt das alte Lied
der Liebe. „Hör' mich! Hör' mich! Du biſt
nicht außer der Natur. Du biſt das gleiche.
Vergiß es nicht. —“

Das Frühlingslied wird leis und leiſer;
des Todes „Töte!“ laut und lauter.

Da Blitz und Krach! Wie ein Heulen
von tauſend Teufeln fährt es über unſere
Köpfe. Da wieder! Da noch einmal! Fern-

her von jenem grünen Hügel kommt es her.
Dort ſtehen bulgariſche Batterien, verdeckt,
verſteckt, und ſenden Schuß auf Schuß gegen
unſere Bataillone, die vorwärts gehen.
Heute endlich vorwärts, vorwärts nach
Wochen bewegungsloſen Erſtarrtſeins, nach
wochenlangem Verzweifeln am Erfolg. Die
grünen Bataillone ſteigen in das Tal und
nun hinauf. Wie weit wollen ſie? Iſt kein
Feind da? Die Artillerie feuert nicht mehr.
— Da — dal Kleine Wölkchen, ſo ſchwach,
ſo raſch vom Lenzeswind verzehrt, daß ſie
nur das kundige Auge erkennt. Feindliche
Infanterie! Nun pfeifen die Geſchoſſe. Nun
klatſcht es, wie wenn man mit nackter Hand
auf nacktes Fleiſch ſchlägt. Das ſind
Treffer! Die Geſichter werden merkwürdig
geſpannt, die gewöhnliche Gleichgültigkeit
der ſtumpfen Anatolier wandelt ſich in eine
ungewohnte Lebhaftigkeit.

Das Infanteriegefecht beginnt. Jetzt
kommen auch wieder die Schrapnells. Und
harte Arbeit iſt es fürwahr. Sie ſterben
rund um mich zu Dutzenden und Hunderten.
Stürzen in die blühende Heide, reißen mit
krallenden Fingern Klumpen des Bodens
heraus, wälzen ſich mit kreiſchendem
Schreien im quellenden Blut und ſterben,
ſterben. Und bevor ſie ſterben, haben ſie ſo
große Augen, ſo fragende.

Der Tod ſitzt hinter mir auf einer kleinen
Eſche und ſchlägt ſich auf die knöchernen
Schenkel und lacht, lacht, daß mir der
Schauer durch alle Knochen rinnt.

Wann kommt die Kugel für mich? Heute?
Bald? Jetzt?

Und wieder geht es vorwärts. Daß ich
immer an den Frühling denken muß! Ein
Liebeslied klingt mir im Gedächtnis. Wo
iſt die, der ich es in ferner Jugend ſang?
Wie war ſie blond und jung und ſchön!

Mein Regiment iſt ausgegeben. Ich habe
keinen Mann mehr. Mit der letzten Reſerve
bin ich in die Schützenlinie vorgegangen.
Was vorgegangen? — vorgeſtürzt, vorge-
keucht!

Nun treibe ich vorwärts und lauſche auf
 
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