Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

Citation link: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/velhagen_klasings_monatshefte1913_1914a/0283

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Z Desen ein Uhr kam Lorenz ziemlich

ermüdet ins Hotel zurück. Faſt
M alle Kollegen hatte er zu Haus
angetroffen, war da und dort
auch den Damen vorgeſtellt worden, hatte
zehnmal die gleichen Fragen anhören,
die gleichen Geſpräche führen, immer wie-
der verſichern müſſen, daß ihm die Stadt
bis jetzt ganz gut gefalle, und regelmäßig
als Troſt gehört, daß man ſich eben über-
all erſt eingewöhnen müſſe. „Wenn man
halt aus der Hauptſtadt kommt,“ ſagten
dann die Damen, und die Herren erklärten,
daß das Leben in der Provinz auch ſeine
Reize habe.

Gott ſei Dank, jetzt war die Tour zu
Ende! Lorenz freute ſich auf das Mittag-
eſſen, er hatte ordentlich Hunger bekommen
vor Langerweile.

„Die Herren ſind drüben im kleinen
Saal,“ meldete der Oberkellner.

Lorenz folgte ihm über den Flur; das
hatte er gar nicht gewußt, daß der „Grüne
Kranz“ noch ein zweites Reſtaurations-
lokal habe. „Noch mehr,“ ſagte der Ober-
kellner, „nach hinten 'naus gegen die
Mariengaſſ' is die Schwemm, und dann
hab'n m’r ja auch noch zwei Vereinszimmer
und den Theaterſaal im erſten Stock vom
Hofgebäude.“ ;

Gluckhenn ſaß drüben mit dem Ober-
leutnant und etwa zehn Herren an einem
langen Tiſch. Mit den Worten „Sie ſind
ſchon fertig?“ begrüßte er Lorenz. „Hab'
mir's gedacht, daß Sie jetzt kommen wür-
den, weil ich vorhin die Frau vom Kollegen
Richter auf der Gaſſ' getroffen hab'; ſo hat
ſie heut mich aufg' halten, und Sie ſind
ihr für diesmal entkommen ...“

Er machte Lorenz mit der Tiſchgeſell-
ſchaft bekannt. „Hier — unſer Germaniſt,
Kollege Theumer, iſt eben von der Ferien-
reiſe zurückgekommen.“

„Redet nicht viel, trinkt aber dafür ſehr
tüchtig,“ ſetzte der Oberleutnant hinzu.
Profeſſor Theumer nickte nur. „Servus.“
Dann ſaß er wie vorher ſtill, als ginge
ihn die ganze Geſellſchaft nichts an. Die



685

anderen waren faſt lauter junge Beamte
der verſchiedenen Behörden und ein paar
Advokaturskonzipienten. „Das iſt Ihr
Zimmernachbar, Statthaltereikonzepts-
praktikant Doktor Valentin.“

Lorenz reichte dem kleinen Blonden die
Hand. „Sie ſind auch noch nicht lange in
der Stadt, Herr Doktor, wie mir unſer
Hausherr geſagt hat?“

Valentin ſchaute zu dem ſchlanken Pro-
feſſor hinauf; ſeine waſſerblauen Augen
hatten einen ganz ſentimentalen Ausdruck.
„Vier Wochen,“ ſagte er.

„Hat ſich aber ſchon koloſſal eingelebt,“
rief der Oberleutnant, „macht einer Menge
heiratsfähiger Weiber den Hof. Müſſen zu-
ſehen, Herr Profeſſor, daß für Sie auch
noch was übrigbleibt.“

„Alle kann er doch nicht heiraten,“
meinte einer der Herren, „und jetzt iſt er,
mir ſcheint, ſchon feſtgerannt.“

„Ach, ich denk' gar nicht ans Heiraten.“
Valentin klopfte ein Stäubchen vom Rock,
zog einen Spiegel aus der Taſche und be-
gann, ſeinen jugendlichen Schnurrbart zu-
rechtzuſtreichen. „Man muß aber doch
ſeine freie Zeit irgendwie ausfüllen.“

„Laßt mich in Ruh' mit den Weibern,“
ſagte ein anderer. „Die Gänſ' woll'n alle
g'heirat ſein, und dann: Adieu Freiheit!
Damit fängt die Philiſterei an!“ Er trank
ſein Bier aus.

„Eine rechte Geſelligkeit gibt's hier gar
nicht,“ klagte Valentin.

„Noch zu wenig? Du lieber Himmel!“
ſeufzte Gluckhenn.

Aber der Finanzkonzipiſt Binder ſtimmte
gleich zu: „Es iſt ſchon wahr, wir ſind
ſo viele Beamte hier und ſind drauf an-
gewieſen, daß uns die Krämer und das an-
dere Volk zu ihren Veranſtaltungen gnä-
digſt einladen.“

„Ich bin froh, wenn ich mei' Ruh' hab'.“
Profeſſor Theumer trank ſein Bier aus.
„He — Fritz, bringen S' mir noch eins!“

„Ich bin dafür, daß wir ein Beamten-
kaſino gründen,“ ſchlug Doktor Valentin
vor.
 
Annotationen