Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/velhagen_klasings_monatshefte1913_1914a/0458

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
, Der Sieur Jaime Maria de Cla-
0 rence, ein Emigrant von Di-
N ſtinktion und Mitteln, ein Ver-

' ehrer der ſchönen Künſte und

Mann von Welt, hatte eine beſonders

herzliche Aufnahme am Hofe des letzten

Markgrafen von Ansbach⸗Bayreuth ge-

funden. Karl Alexander, dem das Fürſten-

tum Bayreuth durch Erlöſchen der dortigen

Linie zu ſeinem Beſitz zugefallen war, gab

gerne ſeinem Hofe den Charme, der in der

Gegenwart von ausgezeichneten Perſonen

fremder Kulturſtaaten liegt.

Die große Tragödin Hippolyte Clairon,
die ihre heimatlichen Triumphe aufgegeben
hatte, um immer dem kunſtſinnigen Fürſten
mit ihren Talenten, ihrem Herzen, ihren
großen Affekten nahe ſein zu können, ſpielte
noch die Phädra des göttlichen Racine in
dem ſchönen Konzertſaal des Ansbacher
Schloſſes. Eine Britin, Elizabeth Lady Cra-
ven, gleich hervorragend durch Rang, Welt
und das düſtere Schickſal einer zerbrochenen
Ehe, aus der ſie Keppel, ihren Sohn, ge-
rettet, eine Britin alſo, umgürtet mit dem
Stolz ihrer Nation, begabt mit zielbewuß-
tem Willen, war ein neues Geſtirn, das
kurz vor des Sieur de Clarence Ankunft
über Ansbach aufgegangen.

Erſt auf vieles Drängen des regieren-
den Herrn hatte Lady Craven ihre nahe
dem Friedhof gelegene interimiſtiſche
Wohnung aufgegeben, die weder für eine
Britin komfortabel genug erſchien, noch
wegen der melancholiſchen Umgebung das
Herz einer ſchon vom Schickſal tief ver-
wundeten Dame erfreuen konnte. Vor
kurzem alſo erſt war ſie zu bewegen ge-
weſen, das Prinzenſchlößchen zu beziehen.
Dieſes in einem ummauerten Terraſſen-
garten liegende Gebäude war, wie die
Dichtung eines Landeskindes beſagte, für
den letzten Erbprinzen „zu ſeiner Ergetzung
auf rauher Höh'“ erbaut.

Die rauhe Höhe konnte man ſelbſt bei
bequemſter Gangart in ſechs oder acht
Minuten von der Talſohle, beziehungs-
weiſe dem markgräflichen Reſidenzſchloß

aus erreichen — nicht zu reden davon,
daß die Tochter des ſtolzen Albion dieſen
Weg nur in einer Portechaiſe oder im Hof-
wagen zurückzulegen hatte.

Nun wohl, in dieſer Reſidenz war Ver-
ſtändnis für Emigrierte. Ein Vorfahr des
Markgrafen hatte die Flüchtlinge der Bar-
tholomäusnacht aufgenommen. Es war
hier auch jetzt Aſyl für Mitglieder der großen
Nation — und diesmal kam aus den Stür-
men der Revolution des königlichen Frank-
reichs ſchöne Blüte: die vertriebenen Nota-
beln des Landes vom heiligen Ludwig.
Es waren ihrer mehrere, die Aufnahme ge-
funden. Am meiſten Senſation aber erregte
am Hofe ins Ansbach, wie ſchon geſagt,
Jaime Maria, Sieur de Clarence.

Er kam von weiten Fahrten. Er war
aus Paris geflohen nach dem traurigen
Tod Ihrer Majeſtät der Königin, hatte
unter erſchrecklichen Gefahren den Hafen
von Marſeille erreicht und von dort aus
Neapel. Hatte in Rom ſelbſt dem heiligen
Vater Bericht erſtattet von den ſchauerlichen
Vorgängen, die Paris bewegten, war dann
in der Republik Venedig verweilt und über
die Alpen gezogen.

Markgraf Karl Alexanders Geſandter
bei der Republik Venedig hatte den Sieur
de Clarence hingewieſen auf die Gaſt-
freundſchaft des Ansbachſchen Hofes. Und
ſo konnte der Sieur die neueſten Zeitungen
aus Venedig bringen, wohin ja immer
noch die Miſſetäter aus der Markgrafſchaft
als Galeerenſklaven verſchickt wurden.

Der Sieur de Clarence war dreißig
Jahre alt und der letzte ſeines Stammes.
Gewiß, die Familie blühte noch in einer
anderen Linie und beſaß noch das Schloß
an der Loire, von dem ſie ausgegangen.
So fühlte der Markgraf (sans comparaison
gegen ſich ſelbſt) eine leiſe Ahnlichkeit mit
dem Sieur: auch der Markgraf war der letzte
ſeiner Familie, deren anderer Zweig in
Preußen herrſchte, ausruhend auf der Glorie
des Großen Friedrich, deſſen arme Schweſter
Friederike Luiſe die Mutter Karl Alex-
anders geweſen war.
 
Annotationen