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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Berlin über Chriſtel Müller hin. Die war
ſchuld an allem geweſen, die hatte den In-
tendanten einfach behext! In ihren leicht-
beweglichen Gemütern ſtand der Intendant
bald als unſchuldvolles Lämmlein da, der
einem unheimlichen Dämon in Geſtalt
einer kleinen Choriſtin zum Opfer gefallen
war. Nun, Gott ſei Dank, der Satan war,
wo er hingehörte, an der Spree, und der
Intendant blieb ihnen erhalten, wie er im-
mer geweſen. Das Schauſpiel zog ſich in
reuevoller Erkenntnis wieder in die Gren-
zen zurück, die es nie hätte verlaſſen ſollen,
und die Augen der Oper richteten ſich hoff-
nungsvoll auf die neue dramatiſche Sän-
gerin, die eben von Hamburg kam und
erſt fünfundzwanzig Jahre alt war .

Der Intendant aber ſah vorläufig nicht
nach ihr hin. Er war wirklich ein anderer
geworden in dieſer letzten Zeit, ein wenig
ruhiger, vielleicht auch ein wenig älter,
jedenfalls aber wie ein Menſch, hinter dem
ein ſtarkes, inneres Erlebnis liegt, das
noch lange in ihm nachzittert. Es gab ſo-
gar eine halbe Stunde, in der er befangen,
ganz richtig befangen ſchien, und das war,
als Oberregiſſeur Baumann ſich wieder
als geſund und dienſtfähig bei ihm meldete.
Der Oberregiſſeur hatte ſich in dem Sana-
torium ausgezeichnet erholt, er ſah ſtraffer
und friſcher aus als früher, um ſo viel jün-
ger, wie der Intendant gealtert war. Zuerſt
hatten die beiden Männer wohl gedacht,
daß ſie Chriſtels Namen nicht nennen
wollten, aber dann ſpürten ſie, daß es
beſſer war, wenn ſie ihn nicht mieden, und
die letzte Verſtimmung, die zwiſchen ihnen
lag, wegräumten, indem ſie ſich ausſpra-
chen. Es wurde freilich keine lange oder
ſentimentale Erörterung, ſondern nur eine
Art von unperſönlichem Rückblick.

Am roten Abendhimmel

Wiegen drei Geier ſich,

Ein Reiter auf mag'rem Schimmel
Reitet am Erlenſtrich.

MOETTTTTTTTTTTTTTCCCCCIIIIIIIIIII9I99I999I9399








„Ja, ja,“ ſagte der Oberregiſſeur und
ſchüttelte langſam den Kopf, „nun hat ſie's
ja weit gebracht und kann zufrieden ſein!
Aber, Exzellenz, ob es auch wirklich ihr
Glück iſt —? Ich glaub's nicht recht! Sie
paßt nicht dazu, ſich zeitlebens mit Theater-
pack herumzuſchlagen. Bei uns freilich kön-
nen ſie nicht genug über ſie ſchimpfen, aber
ich hab' ſie doch beſſer gekannt als alle.
Sie war wirklich ein gutes Kind. Und wer
weiß, vielleicht —?“

Er verſtummte. Der Intendant wußte,
wie der Satz geendet hätte. Er erwiderte:
„Glauben Sie mir, Baumann, ſie hat uns
alle getäuſcht! Nein, verſtehen Sie mich
recht, nicht mit Willen getäuſcht, ſondern
— — Sehen Sie, wir haben beide etwas
in ihr geſehen, was gar nicht war. Wir
haben beide gemeint, ſie ſucht uns, nur
uns! Sie haben gemeint, ſie ſucht in Ihnen
den ſorgenden Freund, und ich hab' mir
eingebildet, ſie ſucht in mir den Liebhaber!
Sie hat aber gar keinen von uns geſucht,
weder Sie, noch mich, noch ſonſt einen! Sie
hat immer nur ſich geſucht und jetzt hat
ſie ſich gefunden. Und darum wird Berlin
ſchon ihr Glück ſein ...“

Der Oberregiſſeur ſah ihn mit ſeinen hel-
len Greiſenaugen an und nickte wehmütig.
„Da mögen Exzellenz wohl recht haben,
aber deswegen kann ich ihr doch nicht böſe
ſein und ich werde ſie nie vergeſſen. Ju-
gend, die ſucht, iſt ſo ſchön, und wenn ſie
an einem vorbei läuft, muß man weinen ...“

Der Intendant entgegnete nichts. Er
ſah angelegentlich durchs Fenſter hinaus,
weil er dem alten Mann Zeit laſſen wollte,
die feuchten Augen zu trocknen. Ein zartes
Schweigen lag zwiſchen den beiden Män-
nern, die dem letzten großen Irrtum ihres
ſinkenden Lebens nachſannen.

Iſt es ein Jäger, ein Ritter, /
Ein Ritter mit Spieß und Schwert?
Es iſt zu Roß ein Schnitter — e
Wie kommt ein Schnitter zum Pferde

RA
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