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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Sccccc 3

Berlin

as Berliner Theaterleben hat in
dieſer vorweihnachtlichen Spielzeit
einen Reichtum und einen Auf-
ſchwung gezeigt wie ſelten vorher.

S Von den erſten zwölf Bühnen,
denen Rang und Stand und Namen und
Überlieferung eine gewiſſe Verpflichtung auf-
erlegen, haben ſich nur das Berliner Theater
und das Deutſche Schauſpielhaus der be-
quemen Serienausnutzung eines hübſchen
Publikumerfolgs ergeben. Die andern ließen
ſich das Ringen um künſtleriſchen Eindruck
um ſo ſaurer werden. Hut ab vor der Rieſen-
arbeit, die in dieſem Winter wieder von
Reinhardt in ſeinem Deutſchen Theater und
in den Kammerſpielen geleiſtet wird, Hut
ab vor dem unverzagten Ernſt, den die
Künſtler des Leſſingtheaters und des So-
zietäts⸗-Theaters aufbringen, trotzdem die
Gunſt des Publikums ihnen nur ſo ſelten
lächeln will.

Die fetten Jubiläen ödeſter Tingeltangel-
poſſen, fadeſter Leutnantsluſtſpiele und ſchmal-
zigſter Walzeroperetten bezeichneten in den
letzten Wintern vor In⸗ und Ausland die
Standhöhe des Berliner Geſchmacks. In
dieſer Spielzeit aber zeigt uns ein einziger
Blick auf den Wochenplan der Berliner
Bühnen ſofort die höhere Richtung ihrer

S


Leiter — trotzdem der Kaſſenrapport nicht
überall Zeugnis ablegt für ein verſtändnis-
volles Mitgehen von Theaterbeſuchern, die
literariſche Neigungen äußern, ohne Frei-
billetts zu beziehen.

Um ſo erſtaunlicher iſt es, daß gerade
Strindbergs furchtbar quälendes Märchen-
ſpiel „Die Kronbraut“, das im Theater in
der Königgrätzer Straße (der literariſchen
Filiale der Poſſenbühne Berliner Theater)
gegeben wird, ſchon Anfang Dezember das
erſte Jubiläum feiern durfte. Erſtaunlich auch
deshalb, weil den großen, ernſten, innerlich
zerriſſenen und doch ſo unendlich weich-
mütigen Schweden, der anfängt, Ibſen und
Björnſon in den Schatten zu ſtellen, gleich-
en Aut drei, vier andere Bühnen in gu-
ten Aufführungen hier noch gänzlich unbe-
kannter Werke herausgebracht haben. Man
will im Theater alſo doch wohl wieder ein
bißchen nachdenken. Man erkennt, daß für
die Erholung von privaten Sorgen die in-
nere Sammlung geeigneter iſt als die äußere
Zerſtreuung.

In die primitive Alltagshandlung der
„Kronbraut“ ſpielt der Spuk der nordiſchen
Geiſterwelt hinein. Einzelne Peer Gynt-
Stimmungen klingen an. Aber die Unbarm-
herzigkeit der Entwicklung, die Lichtloſigkeit
des ganzen Bildes iſt doch ureigenſter, ur-
 
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