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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Sie Dank, haben Sie innigen und ehrer-
bietigen Dank!“

Das Fräulein, nicht mehr jung, doch ſehr
graziös, neigte wohlwollend die hohe Fri-
ſur, lächelte den Grafen und lächelte die
Gräfin an, ſagte einige ſchickliche Worte
und bändelte dann mit dem Abt in necki-
ſchen Geſprächen an. Bald waren dieſe
beiden Beſchützer des heimlichen Liebes-
bundes plaudernd auf die Terraſſe hinaus-
gegangen und ließen taktvoll die Liebenden
allein.

„Kommen Sie nach!“ rief Fräulein von
Malzen zurück. „Wir ſpeiſen im Freien.
Lampions, Mond und Sterne werden uns

leuchten.“

Jieetzt neigte ſich Alfieri zu der Freundin
ſeines Herzens herab. Und die Gräfin lag
in ihrem weißen, bauſchigen Muſſelin-
kleid, das den Hals frei ließ, wie eine
Wolke von Glück und Wonne an der Bruſt
des Freundes. Sie küßten ſich ſtumm.
Sie hielten ſich feſt mit tiefer, nur durch
Form und Geiſtesadel gemilderter Herzens-
leidenſchaft.

Dann bot er ihr den Arm und führte
ſie mit ritterlichem Anſtand hinaus in die
jetzt großartig aufgeblühte Sommermond-
nacht. ;

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Als ſie nun bei Tiſch ſaßen, dieſe vier
frohen Menſchen, und der Abt in beſter
Laune ſeine geliebten Klaſſiker aus Rom
und Hellas zitierte, rief der aufgeräumte
Poet: „Meine Freunde, vernehmt ein Ge-
heimnis!“

„Noch ein Geheimnis?“ rief der Abt.
„Sind wir nicht alle, wie wir hier ſitzen,
in dieſem verſteckten Winkel fern von Ita-
lien, ein verkörpertes Geheimnis?“

„Tiefer iſt das Geheimnis, das mir
heute durch Herz und Haupt gegangen,“
verſetzte der Dichter. „Seht, jeder Menſch,
deſſen Geiſt erwacht iſt, beherbergt in ſich
einen weit höheren Menſchen, als er ſelber
von außen iſt, ſei es nun einen Dämon oder
einen Gott. So bin ich von außen nur
ein Dichter italieniſcher Tragödien, der
ſich ziellos und unvermählt durch die Welt
trieb, irgend etwas ſuchend, bis er eine
angebetete Dame gefunden. Aber in meines
Weſens Grunde ſpür' ich etwas anderes.
Was denn? Nun denn, verlacht mich
nicht: einen König! Will ich nicht Ita-

lien erobern zu einer einheitlichen Sprache
und Denkart? Mein Königsmittel aber
iſt die erhabene Kunſtform der Tragödie.


Königsthron?“

„Plaudite, amici!“ ſprach der Abt und
drückte in umſtändlichem Latein ſeinen Bei-
fall aus.

Die Gräfin aber neigte ſich zu Alfieri
hinüber; und mit jenem Lächeln, das ihn
gleich auf der erſten Abendgeſellſchaft vor
Jahren ſo entzückt hatte, ſchalkhaft und
gütig zugleich, ſprach ſie fein: „Ich habe
ja immer einen König geſucht, habe mich
früher nur in der Perſon geirrt.“

„Wahr! Erſtaunlich wahr!“ rief der
Graf und ſtieß das Kelchglas ſo feſt auf,
daß Wein über das Tafeltuch ſpritzte.

Er ſah die Gräfin mit großen Augen an.

„Das iſt ja ein ganz neuer Gedanke,
meine Teuerſte! Das iſt ja ein wunder-
ſamer Fernblick!“

Sein Einfall, den er ſpielend hinge-
worfen hatte, erhielt plötzlich Bedeutung
und eigenartige Schwere. Sie ergingen
ſich in Betrachtung ihrer wunderlich ver-
wobenen Schickſale.

„Das iſt mir wie eine Offenbarung,“
ſprach der Tragiker, „da ſtecken Weltge-
heimniſſe! Wie ſeltſam, daß ich gerade
dieſe Dame gefunden, die hier neben mir
ſitzt, gerade dieſe! Ich bin in Florenz
auf irgendeiner Geſellſchaft; es tritt ein
großer, feiſter, aufgeſchwemmter Herr —
ja, ich muß das ſchon ſagen — am Arm
einer überaus anmutvollen Dame ſchwer-
fällig in die menſchenvollen Säle. „Wer
iſt dieſes ungleiche Paar?“ frage ich mei-
nen Begleiter, einen Abbe. — „Den ken-
nen Sie nicht? Der engliſche Thronprä-
tendent Karl Eduard und ſeine Gemahlin.“
— Ah, richtig, der Stuart!“ — Eine ge-
ſtürzte Größe, ein bedauernswerter Mann,
der vor Jahren in ſchottiſchen Abenteuern
den Thron vergebens zu gewinnen trach-
tete, der ſeinen Kummer um entgangene
Königskronen jetzt in Whisky erſäuft“ —
meine Liebe, ich höre ſchon auf! — Aber,
Herr Abbé, ſag' ich zu meinem zungen-
gewandten Nachbarn, ‚jene junge Dame,
die doch mindeſtens dreißig Jahre jünger
iſt als der Gemahl, wie kommt denn die
zu dem waſſerſüchtigen Herkules in der
ſcharlachroten Uniform?“ So drückt' ich
 
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