Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

Citation link: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/velhagen_klasings_monatshefte1913_1914a/0185

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Der Förſter ſchwieg. Und ging mit dem
Schrabenhauſer zum Bach hinunter.

Aber ſei es, daß auch in der Tierſeele
ſo etwas Ahnliches exiſtiert wie unheilvolle
Ahnungen, oder ſei es, daß der kluge Herz-
mannski nicht begriff, zu welchem Zweck
ſein treugeliebter Herr einen Weg betrat,
den er ſonſt nicht zu gehen pflegte — kurz
und gut, Herzmannski blieb erſtaunt auf
der Straße ſtehen und wollte nicht folgen.
Und Förſter Sterzenbacher ſagte: „So a
Hundl, ſo a geſcheits!“ — und hatte nicht
das Herz, dieſes gute, kluge Hunderl ins
Verderben zu locken.

Aber der Schrabenhauſer — mit ſeinem
angeborenen Vernichtungsgenie — hatte
auch an dieſe Möglichkeit gedacht, zog aus
der Joppentaſche eine Käsrinde heraus
und ließ Herzmannski an dieſer köſtlichen
Sache ſchnuppern, immer wieder, bis ſie
drunten beim Bache waren — alle drei!
Und da begann der Schrabenhauſer ſein
geheimnisvolles Werk, indes im Abend-
ſchein der Wildbach melancholiſch rauſchte.
Und leis bewegten ſich die Weidenſtauden
— dieſe unentbehrlichen Gewächſe aller
Ortlichkeiten, an denen tragiſche Dinge
ſich ereignen ſollen.

Förſter Sterzenberger drehte wieder
das Geſicht auf die Seite und klagte
kummervoll: „Dös kann ich net anſchaun
E ſo a Hunderl, ſo a guts — da muß ich
noch lang dran denken — was dös für
a Hundl gweſen is!“

In ſeinem Schmerze ſprach er bereits
von einer vergangenen Zeit — ein bißchen
voreilig.

Aber wirklich, er konnte nicht zuſehen,
wie der Schrabenhauſer den liebevoll
blickenden Herzmannski mit einem Strick-
lein feſtband an einen alten Pfahl, der
neben dem gurgelnden Bach im Boden
ſtak.

Und Sterzenbacher, immer mit abge-
wandtem Geſichte, ſprach die ſchmerzvollen
Worte: „Bloß dös Einzige kann mich
tröſten, daß dös gute Viecherl endlich
amal erlöſt is von ſeim unſaubern Alters-
leiden.“

Und während der Förſter dieſe Worte
herausſtieß, band der Schrabenhauſer dem
treuen Herzmannski etwas an den Hals.
Das war anzuſehen wie ein Pfäcklein
Rauchtabak mit einem langen, fadendünnen

Schwänzlein. Und dann ſtrich der Schra-
benhauſer ein Schwefelhölzl an und ent-
zündete vorſichtig die meterlange Brand-
ſchnur der Schießbaumwollpatrone, die er
aus dem Bergwerk mitgebracht und an
Herzmannskis Hals befeſtigt hatte.

Ein feiner Rauchfaden erhob ſich. Und
verwundert betrachtete der kluge Herz-
mannski dieſe ſchwer erklärliche Erſchei-
nung.

Der Schrabenhauſer ſagte: „So!“
Und faßte den tief bewegten Sterzenbacher
an der Joppe. „Jetzt aber gſchwind! Mach
weiter! Flink! Da wird's gleich krachen!“

„Was? Krachen? Was?“ Und Ster-
zenbacher drehte das Geſicht. Er war des
Glaubens geweſen: es handle ſich um ein
flink und ſchmerzlos tötendes Medikament.
Doch als er jetzt die rauchende Zündſchnur
ſah — da verſtand er. Und ſchrie: „Du
Narr! Ah na! So ebbes laß ich dem
Hundl net antun!“ Und er wollte auch
ſchon mit beiden Fäuſten zugreifen, um
den mörderiſchen Funken zu zermalmen.

Viel hätte nicht gefehlt, und Herz-
mannski wäre durch die treue Liebe ſeines
Herrn abermals gerettet worden — zur
Freude der Förſterin. Doch erſchrocken
packte der Schrabenhauſer den Sterzen-
bacher am Arm und verſuchte ihn mit ſich
fortzureißen. Und kreiſchte: „Biſt narret?
Da kunnten mer hin ſein alle zwei!“ Und
weil der Sterzenbacher noch immer ſtand
wie eine Säule, rannte der Schraben-
hauſer, der als Bergmann die Wirkung
der Schießbaumwolle gründlich kannte,
für ſich allein davon. }

Nun fuhr auch dem Sterzenbacher ein
heiliger Schreck in die Wadenmuskeln. Er
ſtammelte ein „Mar' und Joſeph!“ — und
fing zu ſpringen an — ſehr ſchnell. Und
als Herzmannski der Getreue den 107 Kilo
ſchweren Förſter ſo angſtvoll die Beine
rühren ſah, da dachte er vermutlich an
irgendeine, ſeinem geliebten Herrn dro-
hende Gefahr und dachte auch ſogleich: Da
muß ich mit! Er machte einen Sprung.
Und überſchlug ſich beim Widerſtand des
Pfahles. Und mit den letzten Kräften ſeines
alten Lebens begann Herzmannski zu reißen
und zu zerren — bis das morſche Holz
zerbrach. Und glückſelig aufheulend rannte
er mit der glimmenden Schießbaumwoll-
patrone ſeinem Herren nach.
 
Annotationen