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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 2.1913/​1914

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Förſter Sterzenbacher — ſo laut er beim
Springen auch keuchte und mit dem Atem
raſſelte — hörte hinter ſich den freuden-
reichen Spektakel ſeines immer näher
kommenden Hundes. Er drehte im Springen
das Geſicht. Und erſchrak, daß er kreide-
blaß wurde. Sogar ſein Kropf erbleichte.
Und in Zorn und Sorge brüllte er: „Gehſt
weiter — du Miſtviech, du gottver-
fluchts!“ Und um die gute, aber in dieſem
Augenblicke höchſt gefährliche Kreatur zu
verſcheuchen, raffte er mit beiden Fäuſten
vom Boden auf, was er da nur erwiſchen
konnte — und warf — und ſprang — und
bombardierte wieder — und brüllte: „Miſt-
viech, miſerabligs!“

— Die menſchliche Dankbarkeit! Für
eines Tieres Treue bis in den Tod! — —

Herzmannski, dem ſich der Rauch der
Zündſchnur ſchon um die Naſe ſchlängelte,
hielt verdutzt inmitten ſeines treuen Ren-
nens inne und betrachtete nachdenklich ſei-
nen wie irrſinnig ſich gebärdenden Herrn,
der fauſtgroße Steine nach ihm warf, und
Raſenbrocken, und Holzſcheite, und Zaun-
latten — und ſchließlich gar den ſchönen,
in Salzburg neu erſtandenen Steyrerhut
mit dem koſtbarſten aller Gemsbärte.

Herzmannski ſchüttelte die Ohren. Er
begriff die Menſchen und die Welt nicht
mehr. Und hätte er ahnen können, wie
bald er ſie möglicherweiſe ſchon verlaſſen
ſollte — er ſelbſt würde geſagt haben: „No
alſo, fort, in Gottes Namen!“

Doch anſtelle eines philoſophiſchen Ge-
dankens kam in ſeiner verblüfften Seele
nur wieder die unerſchütterliche Treue
obenauf. Und da fing er von neuem zu
rennen an. Immer auf der Fährte ſeines
geliebten Herrn! Und trotz der Moroſität
ſeiner vier alten Beine kam er noch flinker
vom Fleck, als dieſer 107 Kilo ſchwere
Mann, der nur zwei Füße zu verſchwen-
den hatte. Förſter Sterzenbacher fühlte
plötzlich ſehr viel Luft in ſeinem Kropf und
konnte ſpringen, wie er noch nie geſprungen
war in ſeinem Leben. Und dennoch hätte


eingeholt, wenn nicht plötzlich — als
zwiſchen Sterzenbacher und Herzmannski
nur noch wenige Meter Luftraum waren


wäre.
Verzweifelt machte der Förſter Sterzen-

bacher einen Sprung und Purzelbaum —
und 107 Kilo bayeriſcher Forſtverwaltung
lagen jenſeits der rettenden Mauer. Wäh-
rend der roulierende Jägersmann über die
kleinen Gräber unſchuldiger Kindlein koller-
te, dachte er: ‚So! Da können s' mich
nachher gleich eingraben!“

Eine fürchterliche Detonation.

Die Berge warfen das Echo mit grollen-
dem Hall zurück. Und von der Friedhofs-
mauer fielen Mörtelbrocken und große
Steine herunter. Dann tiefe Stille.

Schwer aufatmend, nur langſam den
zinnoberroten Kopf und Kropf erhebend,
ſagte Förſter Sterzenbacher noch ein letztes-


Dann guckte er vorſichtig über die ſchad-
haft gewordene Friedhofsmauer.

Da draußen war nur ein keſſelförmiges
Loch im Boden zu ſehen. Sonſt nichts.

Herzmannski der Getreue war ver-
ſchwunden, war vermutlich in Atome auf-
gelöſt und mit dem Weltall eins geworden
— ſchnell und völlig ſchmerzlos — wie
es der Schrabenhauſer verſprochen hatte.
Das war der Troſt, an den der Förſter
Sterzenbacher ſich klammerte. Und da kam
in ſeiner tragiſch erſchütterten Seele plötz-
lich wieder die alte Liebe obenauf — und
er ſagte in tiefer Wehmut: „So a Hunderl
— ſo a guts!“

Als Förſter Sterzenbacher in der ſinken-
den Dunkelheit ſein trautes Jägerheim
erreichte — da war Herzmannski ſchon
lang zu Hauſe. ;

Wie das zugegangen? Das wurde nie
erforſcht.

Die ſeelenvolle Schießbaumwolle hatte
augenſcheinlich nur gegen die Erde und
gegen die Friedhofsmauer geſchoſſen —
nicht gegen den treuen Herzmannski, dem
die zahlreichen Pferdekräfte des Luftdrucks
möglicherweiſe ſogar noch ein Stück des
Heimweges erſpart hatten. Weil er ſo
ſchnell zu Hauſe war! ;

Ja! Es gibt Dinge im Leben, für deren
Rätſel keine exakte Wiſſenſchaft mehr aus-
reicht. Da muß man fromm werden und
an Wunder glauben.

Und wenn Herzmannski der Getreue
nicht inzwiſchen eines natürlichen Todes
verblichen iſt, ſo lebt er — zur großen
Freude der Förſterin Sterzenbacher —
noch heute!
 
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